Ruhe war im Formel-1-Team aus Enstone in den letzten Jahren Mangelware. Eine Reihe von Personal-Umbauten im Management stellten beinahe jährlich die Struktur von Alpine beziehungsweise von Renault auf den Kopf. Der letzte Umbruch fand im Sommer statt, als Teamchef Otmar Szafnauer und Motorsport-Direktor Alan Permane entlassen wurden. Bereits kurz zuvor musste Alpine-CEO Laurent Rossi gehen. Im Dezember verließ mit Davide Brivio auch das letzte Mitglieder der ehemaligen Führungsriege das Team.
Seitdem befindet sich Bruno Famin am Ruder. Er vereint in Personalunion die Rollen des Motorsport-Oberhaupts der Renault-Marke mit jener des Teamchefs. Diese Ausgangslage war ursprünglich zwar nur als Übergangslösung angedacht, scheint jetzt aber doch bis in die F1-Saison 2024 zu halten.
Motor vs. Chassis: Differenzen zwischen den beiden Standorten?
Famin ist gleichzeitig auch Chef der Motoren-Schmiede der Franzosen. Das Verhältnis zwischen der Power-Unit-Abteilung im französischen Viry-Chatillon und dem Hauptsitz des Teams im britischen Enstone ist seit jeher schwierig. Für Famin ist es als Leiter in beiden Werken seit Dienstantritt wichtig, erst einmal die Kluft zwischen ihnen zu schließen.
"Ich erinnere mich, als ich vor etwa einem Jahr nach Viry kam, sagten einige Leute zu mir: 'Wir haben nur noch ein Kundenteam.'", erinnert sich Famin. Dabei handelt es sich bei Alpine um ein klassisches Werksteam. Andererseits bekam der Franzose in Enstone offen zu hören, dass man etwa mit einem Mercedes-Motor weiter vorne landen würde. Eine Aussage, die zwar aufgrund des Leistungsdefizits von etwa 15 Kilowatt zweifelsohne zutrifft, die aber gleichzeitig auch eine von dessen Chef ungern gehörte Verzichtbarkeit des Formel-1-Projekts in Viry suggeriert.
Famin fordert neue Denkweise: Wer das nicht versteht, der fliegt
Schuldzuweisungen von beiden Seiten, die eine gefährliche Eigendynamik annehmen und Fortschritte blockieren können, wie McLaren während der Honda-Ära mahnt. Damals war die Power Unit aus Sakura häufig der Sündenbock für die schwache Performance des einstigen Topteams. Das verdeckte allerdings, dass McLaren auch auf Chassis-Seite zunehmend in Rückstand geriet.
Famin will deshalb dieser Denkweise einen Riegel vorschieben. "Nachdem ich mit einigen Leuten gesprochen habe und nach der Ansage von (Renault-CEO) Luca de Meo bin ich mir sicher, dass es niemand mehr erwähnen wird", erklärte er. "Ich bin mir sicher, dass jeder weiß, was wir tun müssen, um das Auto zu verbessern."
Alpine-Teamboss: Müssen in allen Bereichen gut sein
"Es geht nicht nur um eine Sache, nicht nur um die Aerodynamik, den Motor, die Reifen… Das Feld ist so konkurrenzfähig, dass man überall gut sein muss und alles zusammen gut funktionieren muss. Jeder weiß das und jeder fokussiert sich auf das und die Leute, die damit nicht glücklich sind, sie gehen", drohte der ehemalige Peugeot-Mann.
Dass es eine gewisse Reibung zwischen den Motoren-Designern und jenen des Rennteams gibt, sei hingegen normal. "Das betrifft nicht nur Alpine", so Famin. "Ich denke es ist ein guter Kampf, denn er zeigt, dass alle nur das Beste für das Projekt wollen."
"Die Motor-Leute wollen geringere Temperaturen, damit die Power Unit gut, sicher und zuverlässig funktioniert. Die Aerodynamik-Leute wollen höhere Temperaturen oben, um den Luftwiderstand zu verringern", illustrierte er das an einem Beispiel und wiederholte: "Das ist ein gutes Zeichen."
Dass die über 600 Kilometer Distanz zwischen den beiden zentralen Pfeilern des Formel-1-Projekts von Alpine dennoch nicht optimal sind, gibt auch er zu. Doch beides an einen einzigen Standort zu verlegen, sei aus logistischen und vor allem aus finanziellen Gründen kein gangbarer Weg. "Ich wäre mir nicht sicher, ob das tragfähig wäre, weil es so ein großes Investment ist. Den Windtunnel und die Prüfstände zu verlegen wäre so teuer wie einen neuen zu bauen."
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