Der Legende nach dauerte es elf Runden. Elf Runden, bis Daniel Ricciardo beim Reifentest in Silverstone Dr. Helmut Marko und den Rest der Red-Bull-Riege so überzeugt hatte, dass ein paar Minuten später Nyck de Vries nach nur zehn Rennen in Formel-1-Frühpension geschickt wurde.
Statt Liam Lawson wollte das Team einen Routinier neben Honda-Sprössling Yuki Tsunoda, und wurde im eigenen Team fündig: Die Rückkehr des Daniel Ricciardo in die Königsklasse. 243 Tage nach seinem Abschied.
Das Comeback des Honey Badger
"Es ist mir immer lieber, wenn er im Auto sitzt, anstatt unser Ersatzfahrer zu sein. Er verdient es, ein Cockpit zu haben. Also nehme ich diesen Verlust gern in Kauf, solange er im Auto sitzt", freute sich Max Verstappen über das Comeback von Daniel Ricciardo im Formel-1-Feld. Nicht als sein Teamkollege, sondern (vorerst) bei AlphaTauri. Aber offiziell bis zum Saisonende von Red Bull ausgeliehen.
Bei McLaren noch aufgrund fehlender Leistungen frühzeitig aus dem Vertrag freigekauft und durch Oscar Piastri ersetzt, ging es für Ricciardo 2023 zurück in seine alte Heimat Milton Keynes. Als dritter Fahrer sollte er hauptsächlich für PR-Arbeit und im Simulator eingesetzt werden. Und dabei sein Vertrauen zurückgewinnen.
"Es hat 2022 in einem Hotelzimmer in Mexiko begonnen", erinnert sich Christian Horner an die ersten Gespräche. "Damals wirkte er gebrochen." Gebrochen, wenig Selbstbewusstsein, das Stammcockpit, die Liebe zum Sport und ein paar Kilos verloren.
Horner: Mussten Ricciardo aufpäppeln
"Ich weiß nicht, was sie ihm zu essen gegeben haben, aber er kam etwas dünn zurück. Wir mussten ihn aufpäppeln", wunderte sich der Red-Bull-Teamchef nicht nur über das Catering bei McLaren. Denn: "Er hatte jede schlechte Angewohnheit angenommen, die man sich vorstellen konnte."
Durch kontinuierlich harte Arbeit mit seinem alten Renningenieur Simon Rennie, jetzt zuständig für die Simulator-Abteilung bei Red Bull, verbesserte sich der Australier stetig und fand wieder zurück zum alten Daniel. Der, der Max Verstappen nicht nur in Baku 2018 die Stirn bot.
Bevor er den österreichischen Rennstall verließ und auf Weltreise nach Enstone und Woking ging. "Am Ende war er auf gleichem Niveau wie Verstappen und Perez", verriet der Teamboss. "Das Schöne war: Sobald ich die Spinnweben abgeschüttelt hatte, fühlte sich das Auto noch immer wie ein Red-Bull-Auto an", freute sich der Angesprochene über das vertraute Gefühl im RB19. Das machte ihm die Entscheidung zurückzukehren (noch) einfacher.
"Es stellte sich nie die Frage, ob ich ja sage oder nicht. Da musste ich gar nicht viel überlegen", stellt Daniel Ricciardo klar. Einem Cockpit bei Haas erteilte er zum Saisonende 2022 noch eine definitive Absage. Grund: "Ich möchte nicht in der Startaufstellung sein, um dann um Platz 18 zu kämpfen." Lange Gespräche mit Mercedes (!) und Red Bull folgten, schließlich heuerte der Australier bei seinem ehemaligen Team als Ersatzfahrer an.
Warum Ricciardo zurückkehrte
Warum jetzt doch die Rückkehr zu AlphaTauri? "Es haben sich einige Dinge verändert", verrät Ricciardo. Zuerst wollte er die Rennen der Königsklasse nicht einmal im Fernsehen verfolgen. In Melbourne das erste Mal wieder an der Strecke, brannte das Feuer für die Formel 1 spätestens beim Qualifying in Monaco wieder lichterloh.
"Je mehr Rennen ich besuchte, und je mehr Zeit ich im Simulator verbrachte, desto mehr wollte ich wieder ins Cockpit zurück." Und dann nach ein paar Runden im RB19 beim Pirelli-Reifentest war klar: Das Mojo ist zurück. "Ich weiß, dass es schwer wird, wieder an die Spitze zurückzukommen. Für mich ist das im Moment der beste Weg dorthin", erklärt er.
Jetzt will der Ex-Teamkollege von Max Verstappen bei AlphaTauri beweisen, dass er nicht nur gut fürs Marketing ist. Keine leichte Aufgabe im zickigen AT04, mit nur drei Punkten laut Konstrukteurs-WM das schlechteste Auto im Feld.
Keine Abschreckung für den Mann aus Perth: "Das Auto ist, wie es ist. Ich mache das Beste daraus." Es steckt Potenzial im Auto, das steht für ihn seit der ersten Runde in Budapest fest. Mit der guten Balance lässt sich arbeiten, und Franz Tost versprach bei seiner Abschiedstournee, die Defizite im Abtrieb bald in den Griff zu bekommen.
Die ersten Rennen bei AlphaTauri
In Ungarn ließ Zhou Guanyus Patzer am Start nach sensationellem Q2-Einzug nicht mehr als P13 zu, in Spa machte sich Ricciardo alle Chancen auf ein besseres Ergebnis als P16 durch ein Tracklimit-Vergehen im Qualifying zunichte. Fazit: Feuertaufe überstanden, Teamkollege Tsunoda in Budapest überstrahlt, im Sprint in Spa bis zum Einbruch seiner Reifen fast die ersten Punkte geholt.
Trotz Mini-Vorbereitungscamp (Reifentest und ein Tag im Simulator) nicht genug für die Ansprüche des Australiers. Besonders der Nacken macht Probleme, in Ungarn wünschte er sich schon nach 35 von 70 Runden die karierte Flagge und einen Drink ("Ich hatte das Gefühl, dass ich in den neuen Autos nicht genug zu trinken hatte") herbei.
Am liebsten wäre Ricciardo gleich nächste Woche wieder Rennen gefahren. "Ich freue mich schon darauf, wieder auf die Strecke zu kommen, mehr zu lernen und Feedback zu ein paar Dingen zu geben. Ich glaube, mit Ausnahme von mir freuen sich alle auf die Pause!"
Zuwächse bei seinen 32 Podien sind dabei vermutlich nicht zu erwarten. Aber: Die Rennen bei AlphaTauri sind vielleicht Ricciardos letzte Chance auf ein Top-Cockpit in der Formel 1. "Ich habe in den letzten Jahren so viel erlebt, ich habe keine Angst mehr vor dem, was auf mich zukommt", macht er sich keinen Druck.
Selbst berühmt-berüchtigte Anrufe des Doktors verursachen keine Schweißperlen auf der Stirn. "Du kannst versuchen, dich darauf vorzubereiten, aber das Beste ist, du hörst ihn einmal an, und schaust was passiert." Nachsatz: "Wieder öfter mit Helmut zu sprechen - das ist mein Ding!"
Ein alter Red-Bull-Bekannter
Der 34-Jährige kennt sich im Red-Bull-Kosmos bestens aus. 2011 bei HRT als Red-Bull-Junior in die Königsklasse gestartet, führte sein Weg über Toro Rosso 2014 zu Red Bull. Bei entsprechenden Resultaten verleiht nicht nur der Energydrink des Konzerns Flügel.
"Das Motto ist: Wenn du gute Ergebnisse erzielst, werden wir dich immer weiter pushen." Mit 7 Siegen, 29 Podien und 3 Pole Positions lief es für Ricciardo bei seinem ersten Stint bei Red Bull gut. In seinem Debütjahr beim Team schlug er 2014 gleich den vierfachen Weltmeister Sebastian Vettel. Apropos Weltmeister.
"Was passiert erst, wenn ich die Weltmeisterschaft gewinne?", scherzte der Honey Badger beim Massenansturm in der Red-Bull-Hospitality in Ungarn. Nicht zu 100 Prozent ein Scherz. Denn: Sein Traum ist es nach wie vor, seine Karriere bei Red Bull zu beenden. Das gibt er offen zu. Detail am Rande: Die erste Medienrunde von Ricciardo wurde von Red Bull, nicht AlphaTauri organisiert.
"Es ist kein Geheimnis, dass er zu Red Bull zurückkehren will. Dafür muss er Leistung zeigen", weiß auch Dr. Helmut Marko. Ein erster notwendiger Schritt ist Yuki Tsunoda: Den muss er unbedingt schlagen, wenn er sich für ein Cockpit im Schwesterteam bewerben will.
Weitere Probleme auf seinem Rückweg zum Klassenprimus: Max Verstappen hat praktisch Vertrag bis 2028 (und theoretisch, solange er will), Sergio Perez bis 2024.Aber Verträge und Red Bull, das ist so eine Sache.
"Nächstes Jahr werden Max und Checo unsere Fahrer sein. Aber es ist immer gut, Fahrer in Reserve zu haben. Und ich denke, Daniel will sich für den 2025er Sitz bei Red Bull bewerben", meint Christian Horner. Mit Ausnahme von Perez (zumindest manchmal), war Daniel Ricciardo der Einzige, der Verstappen teamintern in die Schranken weisen konnte.
Natürlich ist der Max Verstappen von 2016-2018 nicht mit dem zweimaligen Weltmeister von 2023 vergleichbar. Daniel Ricciardo aber auch nicht. Schlachtplan für den Rest der Saison: "Spaß haben. Und meinen rechten Fuß mehr einsetzen als den linken." Und das am liebsten im nächsten Jahr in Adrian Neweys RB19-Nachfolger. "Ich wollte nie, dass er weggeht" - Zitat Max Verstappen.
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