Vor mehr als einem Jahr kündigte Andretti an, in die Königsklasse einsteigen zu wollen. Und dann war es so weit: FIA-Präsident Mohammed Ben Sulayem warb im Frühjahr 2023 um neue Formel-1-Teams. Die US-Marke nutzte die Gunst der Stunde und holte sich General Motors Cadillac als Partner an die Seite. Damit begannen auch die Unruhen im Fahrerlager: Die Teams stellten sich beim Neueinsteiger quer.
10 Monate später hatte Andretti Phase 1 und 2 des Bewerbungsverfahrens überwunden. Die FIA erteilte dem Rennteam die Lizenz, in die Königsklasse einsteigen zu dürfen. Nun steht Andretti aber die dritte Hürde bevor: die Prüfung durch den kommerziellen Rechteinhaber Liberty Media.
Hier kommen auch die 10 bestehenden Teams ins Spiel, die den Einstieg unter allen Umständen verhindern wollen. Motorsport-Magazin.com verschafft einen Überblick, über die Meinungen der einzelnen Teamchefs.
Christian Horner: Gegen Andretti, aber für GM-Motor
"Ich denke, dass der Einstieg von General Motors in die Formel 1 eine sehr positive Sache ist. Ford wird 2026 zurückkommen. Ford gegen GM wäre fantastisch", sagte Christian Horner gegenüber Sky. Laut dem Red-Bull-Teamchef sollte jedoch nur General Motors mit einem eigenen Motorenprogramm in der Königsklasse einsteigen.
Andretti hatte zunächst geplant, mit dem Renault-Motor an den Start gehen, doch dieser Vertrag soll jetzt vorerst erloschen sein. Der Kunden-Motor sollte als Übergangs-Lösung dienen, bis General Motors ein eigenes Motorenprogramm auf die Beine stellt. Daran findet Horner keinen Gefallen. Stattdessen soll Andretti es Audi gleich machen und ein bestehendes Formel-1-Team aufkaufen.
"Schauen wir, wie Audi in den Sport eingestiegen ist. Sie haben ein bestehendes Team, ein bestehendes Franchise gekauft. Warum sollte es für andere anders sein? Liberty und die FIA müssen eine gemeinsame Position entwickeln. Denn es kann nicht sein, dass für die einen andere Regeln gelten als für die anderen", fordert Horner.
Der größte Streitpunkt sei jedoch die Finanzierung eines weiteren Teams. "Natürlich ist Geld das A und O. Und das ist es, worauf jedes Team empfindlich reagieren wird, wenn der Franchise-Wert verwässert wird, weil man plötzlich von 10 auf 11 kommt", so der Red-Bull-Teamchef. Ein weiteres Team würde nämlich bedeuten, dass der Preisgeld-Kuchen in Zukunft auf 11 Team aufgeteilt wird.
Verluste zu groß: Williams ist gegen Andretti-Einstieg
In puncto Preisgeld ist der Andretti-Einstieg allen 10 Teams ein Dorn im Auge. Doch eine Meinung stach vor kurzem besonders heraus: und zwar die von Williams-Teamchef James Vowels. "Meine Gedanken dazu sind sehr klar. Williams ist gegen ein elftes Team, wir sind entschieden dagegen", sagte der Brite.
Dafür lieferte Vowles auch eine ausführliche Erklärung. "Meine Verantwortung gilt 900 Mitarbeitern in meiner Firma. Wenn man sich unsere Bilanzen ansieht, dann sieht man, dass wir deutliche Verluste hinnehmen mussten. Im Vergleich von 2021 zu 2022 waren die Verluste im zweistelligen Millionenbereich höher. 2023 werden sie, das garantiere ich, nochmal um ein Vielfaches höher sein", so der Williams-Teamboss.
Trotz der aktuell laufenden Investitionen von Dorilton Capital hat Williams kein Interesse an schrumpfenden Einnahmen. "Deswegen sollte es klar sein, warum wir sehr vorsichtig sind, wenn es darum geht, das zu verwässern, was wir haben. Es liegen dann einfach mehr Verluste auf dem Tisch." Laut Vowles ist der Traditionsrennstall mit den Verlusten nicht allein. "Es sollte auch bekannt sein, dass es nicht nur wir sind, die finanziell instabil sind. Ich würde sagen, dass das etwa für die Hälfte des Starterfeldes gilt."
Für den Williams-Teamchef kommt erst dann ein 11. Team infrage, wenn alle 10 Rennställe finanziell stabil sind. Ähnlich wie Christian Horner würde auch er General Motors mit offenen Armen begrüßen: "Das geht nicht gegen Andretti oder GM. Im Gegenteil: Ich würde GM bei Williams mit offenen Armen willkommen heißen. Ich hoffe, eine Beziehung mit ihnen aufzubauen, sollte es für sie nicht funktionieren. Sie sind ein unglaubliches Unternehmen, das den Sport besser machen würde."
Nun setzt Vowles, wie auch alle anderen Teamchefs, auf die Vernunft vom kommerziellen Rechteinhaber: "Worüber ich als Person mit der Verantwortung für 900 Leute auf meinen Schultern spreche, und was wir erst noch sehen müssen, ist: Wie wird der Kuchen größer, sodass ich unsere Besitzer nicht erneut um mehr Geld bitten muss."
Preisgelder teilen? Diese Teamchefs sagen nein danke!
An der Meinung von Haas-Teamchef Günther Steiner hat sich seit der Bekanntgabe im Frühjahr nichts geändert. Schon damals kritisierte der Südtiroler, dass ein 11. Team nur Nachteile mit sich bringen würde. "Wenn jetzt ein elftes Team kommt und die Wirtschaft einbricht oder sonst irgendwas, wird wieder ums Überleben gekämpft", sagte Steiner.
Als das Concorde-Abkommen im Jahr 2020 beschlossen wurde, kämpften viele Teams um ihr Überleben, heute hat sich die finanzielle Lage der Teams laut Steiner wieder stabilisiert. Das Risiko wäre es aber nicht wert: "Warum sollte man dieses Risiko eingehen, wenn es keinerlei Vorteile hat? Ein elftes Team, wem nützt das?"
Ein Risiko, das auch Lawrence Stroll nicht eingehen will. Der glaubt in der Andretti-Sache nur an ein Motto: "Wenn etwas nicht kaputt ist, braucht man es auch nicht zu reparieren." Gegenüber Sky sagte der Vorstandsvorsitzende von Aston Martin, dass die Formel 1 noch nie besser dastand, als es derzeit der Fall ist.
"Ich glaube fest daran, dass es mit den 10 Teams im Moment wirklich gut funktioniert, und ich glaube, dass das auch so bleiben sollte. Es gab noch nie so viele Fans und Zuschauer bei den Rennen, die Zuschauerzahlen sind so hoch wie nie zuvor. Ich sehe weiterhin ein deutliches Wachstum, vor allem in den Vereinigten Staaten, dem größten Verbrauchermarkt der Welt", so Stroll. Gerade deshalb ist der Einstieg für Andretti als All-American-Team so attraktiv.
Ferrari-Teamchef Fred Vasseur schlägt sich ebenfalls auf die Seite von Günther Steiner: "Es ist kein Geheimnis, dass ich kein großer Fan bin. Als wir das letzte Mal im Concorde Agreement die Tür für ein 11. Team öffneten, geschah dies aus gutem Grund, denn zu diesem Zeitpunkt hatte Honda bereits erklärt, dass sie die Formel 1 verlassen würden, und Renault stand auf der Kippe."
Auch Vasseur warnt vor einer Wiederholung vergangener Ereignisse und wiederholt damit die Angst des Williams-Teamchefs: "Wir müssen bedenken, dass vor drei oder vier Jahren fast die Hälfte der Startaufstellung kurz vor dem Bankrott stand. Das Leben ist ein Zyklus und wir wissen nicht, was vor 2030 passieren könnte."
McLaren und Alpine machen einen Rückzug
Als Andretti die Planung zum Formel-1-Einstieg bekannt gab, hatte die US-Marke neben Mohammed Ben Sulayem noch zwei weitere Alliierte an der Seite: McLaren und Alpine. Aber auch die gingen Andretti inzwischen verloren. 2022 suchte der ehemalige Formel-1-Pilot im Fahrerlager nach Rückenstärkung, um für das neue Team zu werben.
Für Alpine kam Andretti wie gerufen: Der Rennstall hat in der Königsklasse kein Motor-Kundenteam. "Ich stehe sehr dahinter, ich habe auch mit Michael gesprochen", sagte der ehemalige Alpine-CEO Laurent Rossi. "Es passt zur Expansion in den USA. Ich denke, es wird zur Show passen, und ein amerikanisches Team wird direkt Interesse in den USA generieren. Und daher Umsatz."
Inzwischen ist der Vertrag mit Alpine-Renault zwar wieder erloschen, der französische Rennstall bleibt aber zuversichtlich, dass die Vertragsverhandlungen wieder aufgenommen werden, sobald Andretti die Zustimmung von Liberty Media erhält. "Wir brauchen eine Entscheidung der Formel 1, bevor wir die Zusammenarbeit mit Andretti wieder aufnehmen", so Bruno Famin.
Die Euphorie von Rossi spiegelt Famin zwar nicht wider, gegen den Einstieg des US-Teams ist der Interims-Teamchef von Alpine aber auch nicht. "Wir haben nichts gegen 11 Teams, wenn sie wirklich einen echten Mehrwert für das gesamte Geschäft und die Formel 1 im Allgemeinen bringen", so Famin. Unter einer Bedingung könnte die Beziehung zu Andretti aber doch noch knifflig werden: "Was wir nicht wollen, ist, dass ein elftes Team, das dunseren Wert in der Meisterschaft verwässert. Wenn das der Fall sein sollte, werden wir natürlich dagegen sein."
Ein ähnliches Szenario spielte sich bei McLaren ab. Andretti und McLaren-CEO Zak Brown kennen sich bereits aus anderen Rennserien. So stecke Brown anfangs schnell Vertrauen in den US-Amerikaner: "Ein sehr verlässliches Team, mit einer verlässlichen Marke, mit den richtigen Ressourcen, das ist denke ich eine Bereicherung für unseren Sport. Und das scheint das zu sein, was Michael zusammengestellt hat. Basierend darauf unterstützen wir es."
Inzwischen hat aber auch dieses Vertrauen Kratzer bekommen. "Das Einzige, was ich sagen würde, ist, dass der Wert eines Formel-1-Teams und eines Startplatzes im Vergleich zu dem, was er vor fünf Jahren war, wesentlich mehr wert ist. Dieser Punkt muss diskutiert werden", sagte der McLaren-CEO.
Ein Standpunkt, den auch McLaren-Teamchef Andrea Stella unterstützt: "Wenn der Eintritt eines elften Teams eine Bereicherung für den Sport darstellt, dann sehen wir das positiv. Und zu prüfen, ob dies ein Mehrwert ist, ist die Aufgabe der FIA und der F1."
Mercedes, AlphaTauri & Alfa-Sauber: 11. Team braucht einen Mehrwert
In der Debatte rund um Andretti machen die Formel-1-Teamchefs insbesondere von einem Argument immer wieder Gebrauch: Neue Teams müssen einen Mehrwert bieten. Deshalb plädierte Mercedes-Teamchef Toto Wolff darauf, dass Andretti nur im Schlepptau eines neuen Motorenherstellers von Nutzen wäre.
"Wenn ein Team mit einem neuen Motorenausrüster kommt und sagt, das ist es, was wir machen wollen, dann ist das natürlich ein ganz anderes Spiel und wird andere Überlegungen auslösen, das ist der Punkt für mich als Teambesitzer. Es ist kein Problem, den Kuchen zu teilen, wenn der Kuchen größer ist", sagte Wolff
Mit General Motors hatte Andretti diesen Partner schnell an seiner Seite. Damit änderte sich auch die Meinung des Mercedes-Teamchefs. "Cadillac und GM, das ist ein Statement", sagte Wolff nach der Bekanntgabe der Partnerschaft. "Die Zusammenarbeit mit Andretti ist definitiv positiv. Es ist ein weiterer Aspekt, der für die Formel 1 von Vorteil sein könnte."
AlphaTauri-CEO Peter Bayer arbeitete vor seinem Wechsel zum italienischen Rennstall selbst für den Automobil-Weltverband. Er war damals eng in die Ausarbeitung des Finanzreglements und der Budgetobergrenze eingebunden. "Ich denke, wenn man sich den Prozess ansieht, über den ich einiges weiß, muss man sich daran erinnern, dass die FIA, als sie den Prozess einleitete, davon ausging, dass ein Team ausgewählt werden würde", so Bayer.
"Denn soweit ich mich erinnere, führt der Regulator nur eine technische Analyse der Finanzen durch, und ich denke, dass sie dabei sehr gründliche Arbeit geleistet haben, ohne den Fall von Andretti zu kennen", sagte der AlphaTauri-CEO. Nun sei aber Liberty Media an der Reihe, das Team auf kommerzieller Basis im Fahrerfeld zu integrieren.
Und hier stimmt Bayer dem Rest zu: Andretti muss einen Mehrwert bieten. "Ich erinnere mich, dass wir vor der Einführung des Kostendeckels drei Teameigentümer hatten, die uns angerufen haben, und wir haben damals darüber gesprochen, dass sie diese Art von Investitionen nicht länger aufrechterhalten können", erinnerte sich der AlphaTauri-CEO.
Diesen Standpunkt vertritt auch Alfa-Sauber-Teamvertreter Alessandro Alunni Bravi: "Es muss ein solides Projekt sein, nicht nur für einen Zeitraum von fünf Jahren, sondern es muss ein wirklich langfristiges Projekt sein. Und natürlich muss jeder Neuzugang den Wert und die Investitionen anerkennen, die von den aktuellen Teams getätigt wurden."
Trotzdem begegnet Bravi Andretti mit offenen Armen: "Wir sind bereit, jedes neue Team willkommen zu heißen, das diese Eigenschaften aufweist. Aber wir müssen erst einmal verstehen, was langfristig gesehen das Beste für die gesamte Formel-1-Gemeinschaft ist."
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