Dieser Text erschien in Ausgabe 88, der neuesten Ausgabe unseres Print-Magazins. In der Winterpause veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Viel Spaß beim Lesen!
Es war nichts weniger als eine Revolution. Eine Neuerfindung eines Wettbewerbs, in dem Geld seit jeher der Universalschlüssel für langfristigen Erfolg war. Die Rede ist von der Budget-Deckelung der Formel 1, dem Budget Cap. Am 23. Mai 2020 beschlossen die Teams der Königsklasse schattiert von der größten Krise der jüngeren Vergangenheit eine Ausgabenbeschränkung der F1-Teams von zunächst 145 Millionen US-Dollar.
Der Hintergrund, der die jahrelangen Diskussionen rund um den Budget Cap zu einer konkreten Entscheidung drängte, war überaus ernst. Die Corona-Krise stellte eine existenzielle Bedrohung der Formel 1 dar. Einnahmen fehlten, Renault drohte nach der Streichung von zehntausenden Arbeitsplätzen dem Sport den Rücken zu kehren, McLaren war dem Kollaps nahe, Williams befand sich vor dem Verkauf... Kurzum: Die Drohszenarien eines Falls in die sportliche Wertlosigkeit oder ein Zusammenbruch des Sports schienen nicht so weit hergeholt zu sein.
Formel-1-Wende, die Königsklasse boomt
In zweieinhalb Jahren hat die Formel 1 eine 180-Grad-Wende eingelegt. Nicht nur konnten sich die Rennställe wirtschaftlich aus dieser Misere erholen, sondern sie verfügen im Moment über ein ernstzunehmendes Geschäftsmodell. Neue Teams und Marken wollen in die boomende Königsklasse eintreten, gleichzeitig verabschiedet sich die F1-Welt zunehmend von Paydrivern. Diese Revolution liegt zwar nicht ausschließlich am Finanziellen Reglement, aber doch zu einem großen Teil.
Die Kostenspirale, durch die die großen Teams ihren Erfolg konservierten, wurde durchbrochen. Sponsoren, die es sich in der Vergangenheit dreimal überlegten, ob sie bei einem Mittelfeld- oder Hinterbänkler-Team einsteigen, können neben der sowieso gestiegenen Reichweite inzwischen darauf spekulieren, dass das jeweilige Team in Zukunft auch sportliche Erfolge für sich verbuchen kann.
Eines der im Regelwerk festgeschriebenen Hauptziele hat der Cost Cap damit schon im zweiten Jahr seiner Existenz erreicht: Langfristige finanzielle Stabilität der Teams. Die Eintrittsgebühr von 200 Millionen Dollar, die ein neues Team bei einem Einstieg in die Formel 1 begleichen müsste - vorausgesetzt die FIA und die F1 genehmigen diesen überhaupt - ist eine weitere Hürde, die den Preis der Formel-1-Franchises in astronomische Höhen treibt.
Ein kleiner Vergleich: 2018 wurde Force India von Racing Point zu einem Verkaufspreis von knapp über 100 Millionen Euro übernommen, die Übernahme von Williams durch Dorilton Capital 2020 bezifferte sich auf etwa 150 Millionen. Der Deal zwischen Audi und Sauber Motorsport erreichte 2022 hingegen eine Summe von 500 Millionen Euro und das, obwohl Audi dabei nicht das komplette Team übernahm, sondern "nur" 75 Prozent. Grob kalkuliert ist der gesamte Sauber-Rennstall rund 667 Millionen wert.
Spannender Konkurrenzkampf als Formel-1-Ziel
Neben der finanziellen Stabilität wurden aber auch noch weitere offizielle Ziele für den Budget Cap genannt. Nämlich die sportliche Fairness und ein ausgeglichener sportlicher Wettkampf. Ob der Budget Cap den Wettkampf in der Formel 1 tatsächlich enger zusammenbrachte, ist schwierig zu beurteilen. Einerseits entwickelte sich das Feld zwischen 2021 und 2022 weiter auseinander. Doch der massive Umbruch im technischen Reglement konterkariert die Entwicklung, denn ein neues Regelpaket führt in der Königsklasse immer dazu, dass das Feld sich weiter auseinanderzieht, wohingegen Regelkontinuität für geringere Abstände sorgt.
Der durchschnittliche Rückstand aller Teams im Qualifying lag 2022 bei 1,22 Sekunden und damit 0,12 Sekunden über dem Wert des Vorjahres. Noch ist die Wettbewerbsdichte also nicht auf dem Niveau von vor der Regeländerung, aber verglichen mit 2014 und 2009 verlief der Start in die neue Reglement-Generation deutlich ausgeglichener. Wie viel davon auf die Budgetdeckelung zurückzuführen ist, lässt sich nicht zweifelsfrei nachvollziehen. Haas-Teamchef Günther Steiner ist sich aber sicher: "Mit diesem neuen Reglement ohne Budget Cap wäre das Feld viel zu weit auseinander. Die [Topteams, d. Red.] wären drei Sekunden schneller als wir."
Die finanzielle Fairness zwischen den Teams ist im Großen und Ganzen 2022 gegeben. Beinahe sämtliche Formel-1-Mannschaften operieren inzwischen am Budget Cap. Nur die teils enormen Gehälter für Fahrer und Teamleitung, die nicht Teil der Deckelung sind, treiben budgetmäßig eine Kluft zwischen die Spitzenmannschaften und die Mittelfeld-Teams. Alfa Romeo ist im Moment der einzige Rennstall, der bestätigt, noch deutlich unter der Budgetdeckelung zu sein.
Ungefähr zehn Millionen US-Dollar trennen die Truppe aus Hinwil von den 2022 zulässigen 145,5 Millionen. Haas plant dank der Millionen des neu angeworbenen Titelsponsors Moneygram den Budget Cap zu erreichen, Williams soll ebenfalls nur knapp darunter operieren. AlphaTauri erreicht den Kostendeckel zumindest auf dem Papier, was allerdings auch darauf zurückzuführen ist, dass man zahlreiche Teile von Red Bull ankauft. Im Budgetdeckel fallen erworbene Komponenten höher ins Gewicht als die Eigenherstellung dieser.
Dass sich die Hackordnung der Formel-1-Teams 2022 dennoch nicht sehr stark von den Vorjahren unterscheidet, liegt am technischen Vorsprung, mit dem die Topteams in die neue Regel- und Finanzära des Sports vorstießen. Die "Großen" können auf deutlich bessere Rahmenbedingungen zurückgreifen, die in den letzten Jahren aufgebaut wurden. Dazu zählen Topingenieure und bessere Tools.
Die Nachzüglerteams müssen hier erst durch Investitionen eine Parität herstellen - Investitionen, die natürlich den Budget Cap belasten. "Es braucht fünf bis zehn Jahre, bis sich das ausgleicht - wenn es sich überhaupt jemals ausgleicht", kalkulierte Ex-Williams-Teamchef Jost Capito gegenüber dem Motorsport-Magazin.
Standort der Formel-1-Teams, Nachteil für Alfa-Sauber
Ein weiteres Fairness-Problem in der Königsklasse ergibt sich aus den verschiedenen Standorten der Teams. Ein anderer Standort geht auch direkt mit veränderten Unterhaltskosten einher. Während der Großteil der Teams in Großbritannien stationiert ist, trifft das vor allem das Schweizer Sauber-Team hart. "Das Problem ist, der Budget Cap kompensiert aktuell nicht die Lebenskostenunterschiede zwischen den Ländern", beklagte sich Technik-Direktor Jan Monchaux und bezifferte den auf den Standort bezogenen Verlust auf 20 bis 30 Prozent.
In Italien, wo AlphaTauri und Ferrari beheimatet sind, liegen die Lebenshaltungskosten beispielsweise sogar drei Prozent unter jenen in Großbritannien. Dennoch war es die Scuderia, die 2022 eigenen Angaben zufolge als erstes der drei Topteams die Entwicklungsressourcen für die F1-Saison aufgebraucht hatte. Dagegen brachte Mercedes - vor allem als Vorbereitung für 2023 - bis kurz vor Saisonende noch Upgrades für den W13.
Red Bull-Strafe, Abschreckend genug?
Wie fragil das Konzept Budget Cap immer noch ist, bewies die geringfügige Überschreitung von Red Bull im ersten Jahr der Kostendeckelung. Die Bullen gaben 1,6 Prozent oder umgerechnet 1,864 Millionen Pfund (ca. 2,16 Mio Euro) zu viel aus und kamen mit einer relativ milden Geldstrafe sowie einer Beschränkung der Windkanal-Zeiten davon.
Ob diese Strafe abschreckend genug für das restliche Paddock ist, bleibt noch abzuwarten. Denn wenn dieses Beispiel Mode macht und Vergehen im Minor-Breach-Bereich einkalkuliert oder zumindest in Kauf genommen nehmen, drohen dem Finanz-Reglement bereits kurz nach seiner Einführung die ersten Zähne gezogen zu werden. Die Offenlegung der Teamausgaben für die Saison 2022 wird deshalb eine weitere Bewährungsprobe.
2023 steigt der Budget Cap übrigens an und das, obwohl im Regelwerk eigentlich eine weitere Abstufung von 140 auf 135 Millionen Dollar vorgesehen ist. Doch aufgrund der grassierenden Inflation, die schon eine außerordentliche Erhöhung von 3,1 Prozent für dieses Jahr zur Folge hatte, gibt es in der nächsten Saison einen weiteren Zuschlag. Dieser errechnet sich aus der vom IWF veröffentlichten Inflationsrate der G7-Staaten am 31. März. Derzeit liegt diese bei 4,3 Prozent. Dazu kommen noch Zulagen von 1,2 Millionen US-Dollar für jedes zusätzliche Rennen über dem 21. Grand Prix, sowie pauschal 300.000 Dollar pro Sprint. Je nach Inflationsrate und davon abhängig ob und wann der China-GP abgesagt wird, ergibt sich daraus ein Budgetdeckel rund um 153 Millionen Dollar.
Willst du noch mehr solcher spannenden Interviews oder Hintergrund-Geschichten aus der Welt des Motorsports? Dann haben wir HIER ein spezielles Angebot für dich!
diese Formel 1 Nachricht