Dieses Interview erschien in Ausgabe 88, der neuesten Ausgabe unseres Print-Magazins. Am Ende des Jahres veröffentlichen wir traditionell einen kleinen Teil unserer Print-Artikel kostenfrei auf der Website. Viel Spaß beim Lesen!

MSM: Von 0 Punkten und Rang 10 in der Saison 2021 auf 37 Punkte und Rang 8: Eigentlich müsste Haas nach 2022 zufrieden sein. Aber wenn man sich ansieht, wie die Saison verlaufen ist, kann man das nicht zu 100 Prozent, oder?
Günther Steiner: Absolut. Man ist zufrieden, weil wir einen guten Schritt gemacht haben und besser werden. Aber ich glaube, es wäre mehr drin gewesen. Es gibt mehrere Faktoren, bei denen wir einfach nicht das Beste herausgeholt haben. Da haben wir nicht den besten Job gemacht und das ist mein Ziel für die Zukunft, das auszumerzen. Wir müssen nicht viel besser werden, sondern aus dem, was wir haben, das Beste rausholen.

Der Trend über die Saison ging ein bisschen nach hinten. Lag es daran, dass ihr nicht genug entwickelt habt während der Saison oder seid ihr einfach sehr gut gestartet?
Günther Steiner: Ich würde sagen, es ist eine Kombination aus beidem. Wir hatten immer ein auf und ab drin. Und das lässt sich nicht durch weniger Entwicklung erklären. Wie hatten gute Rennen und gute Qualifyings und dann wieder schlechte. Das ist dieses rauf und runter, das wir rausbekommen müssen.

Die großen Leistungsschwankungen sind nichts Neues bei Haas. Früher hast du sie damit erklärt, dass ihr ein junges Team seid. Wie lassen sie sich jetzt erklären?
Günther Steiner: Eigentlich mit derselben Argumentation. Die zwei Jahre haben uns in unserem Erwachsenwerden zurückgeworfen. Man spürt es nicht, solange es nicht da ist. Wir haben einfach irgendetwas verloren in diesen zwei Jahren. Wir haben nicht auf dem Niveau der anderen Teams gearbeitet und das müssen wir uns zurückholen. Das ist auch einer der Gründe, warum wir wieder einen erfahrenen Fahrer brauchen. Der muss uns wieder nach vorne bringen.

Nach allem, was 2022 passiert ist, haben wir fast schon wieder vergessen, wie das Jahr begonnen hat. Nikita Mazepin hätte ja eigentlich noch fahren sollen. Rein für das Team gesprochen, losgelöst von der Situation in der Ukraine, war das eine Gelegenheit oder ein Schock?
Günther Steiner: Jede Herausforderung ergibt auch Möglichkeiten. Und ich glaube, wir haben die Möglichkeit genutzt. Die Herausforderung war der Verlust des Titelsponsors und eines Fahrers. Wir mussten das Beste daraus machen und das ist uns gelungen. Es war herausfordernd im Moment, als es passiert ist, aber wir haben es auch genutzt und probiert, es besser zu machen. Ich glaube, das haben wir, zumindest teilweise, erreicht.

Der Russland-Ukraine Konflikt kostetet Nikita Mazepin sein Cockpit, Foto: LAT Images
Der Russland-Ukraine Konflikt kostetet Nikita Mazepin sein Cockpit, Foto: LAT Images

Hatte der Verlust von Titelsponsor Uralkali einen Einfluss auf die laufende Saison?
Günther Steiner: Logischerweise muss das Geld von irgendwo reinkommen, aber dann muss man halt Lösungen finden. Diese haben wir dann auch gefunden, deswegen hat es in der Hinsicht dann auch keine allzu großen Probleme gegeben.

Worauf ist euer Leistungsanstieg 2022 zurückzuführen? Budgetgrenze? Das neue Reglement? Die Konzentration auf das neue Auto? Oder ist es eine Kombination?
Günther Steiner: Es ist die Kombination, da gibt es nicht den einen Grund. Eine Sache, die in deiner Aufzählung fehlt, ist, dass wir in den Jahren davor gar nicht entwickelt haben. Wir haben erst wieder ein Team aufgebaut, das entwickelt, und wir haben dabei gezeigt, dass wir es immer noch können.

Wäre - wenn alles nach Plan gelaufen wäre - Platz sechs realistisch gewesen?
Günther Steiner: Ich würde Platz sieben sagen. Da würde ich ja sagen. Was P6 angeht, wenn alles nach Plan gelaufen wäre, dann hätten wir darum kämpfen sollen.

Zeigt die Budgetobergrenze überhaupt schon richtig Wirkung?
Günther Steiner: Ohne das Budget Cap wären die Abstände zu den großen Teams noch viel größer. Man sieht ja, wie die um jede Million kämpfen, nur damit sie Upgrades bringen können. Ich sehe das so: Mit diesem neuen Reglement ohne Budget Cap wäre das Feld viel zu weit auseinander. Die wären drei Sekunden schneller als wir. Speziell bei einem neuen Reglement gilt: Je mehr du am Anfang investierst, desto mehr Vorsprung holst du dir. Für mich ist es das Allerbeste für den Sport. Wir haben ein neues Reglement und alle Zehn Teams konnten Punkte holen, das ist schon großartig. So sollten wir das sehen.

Können wir schon von Chancengleichheit sprechen?
Günther Steiner: Nein, davon können wir noch nicht sprechen. Ich denke, mittelfristig sollte es aber möglich sein, das zu schaffen. Die Großen haben immer noch einen Vorteil. Damit meine ich die Teams, die selbst ihren Motor stellen. Die werden immer einen Vorteil haben, was ich aber auch nicht als ungerecht empfinde. Sie tätigen ja eine riesige Investition in den Motor, den sie dann verkaufen. Wenn du einen Motor selbst machst, dann kannst du das Auto einfach besser anpassen.

Du hast viel früher die Informationen, was du für die Kühlung usw. brauchst. Da wird immer ein kleiner Vorteil bleiben, aber mittelfristig wird das Feld näher zusammenkommen. Das Einzige, was die großen Teams auch noch haben, ist einfach die Erfahrung, die sie sich in den 'fetten Jahren' aufgebaut haben. Da hatten sie das dreifache Budget von uns. Um das wettzumachen, werden wir ein bisschen Zeit brauchen. Ich bin aber überzeugt: Wenn jemand im Mittelfeld einen super Job macht, dann wird er Rennen gewinnen können.

Kommen wir zu den Fahrern. Wie sehr warst du von den Diskussionen rund um das Schumacher-Cockpit genervt?
Günther Steiner: Ich würde nicht genervt sagen. Es ist Arbeit, die einfach dazugehört. Wir müssen immer sehen: Was kann man besser machen? Wie können wir das Team besser machen? Wir sind jetzt in einer Position, in der wir finanziell gut aufgestellt sind. Vom Reglement her, vor allem mit dem Budget Cap, sind wir gut aufgestellt. Deswegen müssen wir sehen: Wo muss ich Zeit und Geld investieren, um als Team besser zu werden? Da gehört nun Mal der Fahrer auch dazu, das ist ein großes Element im Team.

Ihr habt euch für Nico Hülkenberg und die Erfahrung entschieden. Du hast bei der Begründung auch ein düsteres Bild für Rookies gezeichnet in Zukunft. Wird es, wenn die Formel 1 finanziell so stark ist, immer schwieriger für Neulinge, in die Formel 1 zu kommen?
Günther Steiner: Wer ist denn im Moment da, der als Rookie für die Formel 1 bereit ist? Piastri, der hat seinen Sitz und wir müssen sehen, was er daraus macht. Bevor jemand ein Formel-1-Auto nicht im Rennen fährt, weiß man auch nicht, wie gut er wirklich ist. Und sonst ist dahinter eigentlich nicht sehr viel los im Moment. Das muss man so sagen. Ich würde nicht alles schwarzmalen, aber es ist nicht einfach. Es gibt reduzierte Testzeiten. Die Reifentests können die Rookies ja auch nicht fahren, denn das will Pirelli nicht. Jemand, der nicht einmal das Auto kennt, wie soll der etwas über die Reifen aussagen?

Es ist schwierig geworden. Vielleicht müssen wir uns in Zukunft mehr darauf konzentrieren, etwas für die Rookies zu tun. Was zum Beispiel die Pflichtfahrten in FP1 angeht. In FP1 kannst du zwar zeigen, dass du da bist, aber nicht, was du kannst. Ich würde niemals sagen, dass einer, der in FP1 schnell fährt, automatisch gut ist. Da kannst du eine Stunde lang fahren, das sind 20 Runden. Das kann auch komplett gegen dich gehen. Wenn du in FP1 ein Auto in die Leitplanke setzt, dann ist deine Karriere gleich vorbei, denn die ganze Welt sieht dich.

Du meintest, bei der Entscheidung für Hülkenberg und gegen Schumacher sollen die Medien keine Rolle gespielt haben. Du schaust zwar selbst kein Netflix, bekommst aber offenbar ganz gut mit, was in den Medien los ist. Sky hast du ab Baku keine Interviews mehr gegeben. Hat das alles wirklich keine Rolle gespielt?
Günther Steiner: Nein! Es spielt für mich keine Rolle, was die Medien über Mick sagen und denken, oder was sie über mich sagen und denken. Wir können ja auch zum Punkt kommen, was Sky über mich denkt. Jeder kann seine persönliche Meinung haben, aber das hat keinen Einfluss auf mich in der Entscheidung über Mick gehabt.

Ist der Sky-Boykott mit dieser Fahrerentscheidung damit beendet?
Günther Steiner: Es geht nicht um den Sky-Boykott aufgrund des Fahrers. Es ging darum, was über uns als Team geredet wurde.

Steiners Sky-Boykott hält bis heute an, ein Ende ist nicht in Sicht, Foto: LAT Images
Steiners Sky-Boykott hält bis heute an, ein Ende ist nicht in Sicht, Foto: LAT Images

Hast du Hoffnung, dass sich das in Zukunft bessert?
Günther Steiner: Ich habe gar keine Hoffnung, weil es mir eigentlich egal ist. Wenn ich nicht mit Sky rede, dann bin ich auch absolut glücklich damit. Da fehlt mir nichts.

In der Kritik an dir ging es oft darum, wie du mit den Piloten umgehst. Mit deiner direkten Art eckst du an. Glaubst du, in der heutigen Zeit ist es niemand mehr gewohnt, Klartext zu sprechen? Ist die Formel 1 verweichlicht?
Günther Steiner: Ich denke, manche Leute wollen das so und wollen das auch so sehen. Ich kann es nur erneut sagen: Es ist mir eigentlich egal. Ich lasse jedem seine Meinung, aber ich nehme mir auch das Recht, dass ich meine habe. Ich manage das so, wie ich es will. Ich passe mich da nicht an, nur weil irgendjemand sagt, der das Rennteam nicht führen muss, wie ich es machen soll. Wieso sollte ich mir das sagen lassen? Ich würde dir zum Beispiel nie sagen, wie du schreiben sollst. Das musst du selbst entscheiden. Du lebst mit deinen Entscheidungen und ich lebe mit meinen Entscheidungen. Jeder andere muss das auch.

Ich lasse aber andere leben. Ich nehme mir nie vor, jemanden zu sagen, wie er sich verhalten soll oder was er tun soll. Wenn du mir nicht sympathisch bist, dann rede ich vielleicht nicht mit dir. Wenn du nicht meiner Meinung bist, dann ist das ok für mich. Genauso kann es auch jeder mit mir machen. Wenn jemand mich nicht in Ordnung findet, dann muss er auch nicht mit mir reden. Da habe ich kein Problem damit. Mir fehlt nichts.

Aber gehen wir doch vom konkreten Beispiel des Boykotts weg: Wird Klartext heute nicht mehr so akzeptiert?
Günther Steiner: Genau, denn ich habe ja nie jemanden persönlich angegriffen. Ich wurde persönlich angegriffen und habe mich verteidigt - das Recht dazu habe ich. Oder das Recht nehme ich mir. Ob ich es habe oder nicht, das sollten vielleicht andere entscheiden. Ich nehme mir heraus, meine Meinung so zu vertreten, wie ich es auch sehe und nicht in eine Ecke gedrängt zu werden. Ich denke, dass der Job, den ich mache, in Ordnung ist. Die Leute, von denen ich kritisiert werde, brauche ich in meinem Leben nicht.

In der Pressemitteilung, in der ihr Nico Hülkenberg als Fahrer verkündet habt, wurdest du mit den Worten zitiert, dass er ein großartiger Qualifying-Pilot ist und ein zuverlässiger und solider Rennfahrer. Gibt es im Rennen bei ihm Nachholbedarf?
Günther Steiner: Nein! Wieso zieht ihr immer das Negative heraus? [lacht]

Nico Hülkenberg ersetzt Mick Schumacher und startet 2023 für Haas, Foto: LAT Images
Nico Hülkenberg ersetzt Mick Schumacher und startet 2023 für Haas, Foto: LAT Images

Weil wir deutsch sind.
Günther Steiner: Genau. Immer das Negative sehen und zum Lachen in den Keller gehen, oder? [lacht] Ich denke 'solide' ist doch nichts Negatives. Nico sehe ich als einen der Fahrer, der nach Alonso, das Rennen am besten versteht. Alonso ist da der King für mich. Der braucht gar keine Strategen an der Box, der macht das alles selbst im Auto. Nico ist da sehr ähnlich wie Alonso. Das ist das Gute.

Wir müssen das Team weiterbringen, wir haben überall etwas Nachholbedarf. Ich sage immer wieder: Ich gebe nicht einer Sache die Schuld und blicke dann nur auf die. Das ganze Team muss wieder nach oben kommen und dazu müssen wir zusammenarbeiten. Jeder innerhalb unseres Teams kann Kritik ausüben, wenn sie fundiert ist. Man muss aber auch Kritik einstecken können und da zähle ich mich genauso dazu.

Unter dem Haas-Logo ist noch das Logo eines deutschen Sponsors zu sehen. Hat das bei der Wahl, einen deutschen Fahrer durch einen deutschen Fahrer zu ersetzen, eine Rolle gespielt?
Günther Steiner: Nein, eigentlich nicht. Wir haben nun wieder die Freiheit, die Fahrer wählen zu können, die das Beste für das Team sind.

War es schlecht für Mick Schumacher, dass die Formel 1 insgesamt in einem so guten Zustand ist? Haas ist nicht mehr so sehr auf Ferrari angewiesen, wie das einmal der Fall war...
Günther Steiner: Nein, denn auf Ferrari sind wir weiterhin angewiesen. Wir sind ja ihr Kunde. Wir sind auf sie angewiesen, aber wir arbeiten seit Jahren sehr gut mit ihnen zusammen. Das Verhältnis ist sehr gut, sehr respektvoll und sehr professionell. Wir sind auf sie angewiesen und haben das auch mit ihnen diskutiert. Sie können auch gerne ihre Argumente bringen. Die Formel 1 ist in einem so guten Zustand, dass jeder probiert das Beste herauszuholen.

Mick Schumacher verlor sein Formel-1-Cockpit, Foto: LAT Images
Mick Schumacher verlor sein Formel-1-Cockpit, Foto: LAT Images

Konkrete Ziele gibst du für 2023 nicht aus. Aber mit Moneygram habt ihr wieder einen Titelsponsor, der euch an die Budgetobergrenze heranbringt. Spürt ihr die Auswirkungen dann schon nächstes Jahr oder erst 2024?
Günther Steiner: Ich hoffe, dass wird sich nächstes Jahr schon auswirken, dass wir besser werden. Wir müssen erstmal einen guten Job machen. Was in zwei, drei Jahren ist? Du kennst die Formel 1. Wir müssen erstmal einen guten Job machen, damit der Weg wieder nach oben geht. Damit haben wir letztes Jahr angefangen. Wir waren auch dieses Jahr nicht schlecht, nur einfach nicht gut genug. Wir sind viel besser, aber eben nicht gut genug. Wir müssen den nächsten Schritt machen und da wird es bestimmt wieder Dinge geben, die wir angehen müssen. Solange man daran immer arbeitet, wird man auch besser werden. Wenn man sagt: Damit sind wir ok, dann geht es nach hinten los.

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