17 Runden lang duellierten sich Max Verstappen und Charles Leclerc auf der Strecke und an der Boxenmauer um die Führung beim Formel-1-GP in Frankreich. Doch gerade zu jenem Zeitpunkt, als die Strategen bei Red Bull alles auf eine Karte setzen und den Undercut durchzogen, beendete Leclerc durch seinen Unfall jäh dieses Duell. Verstappen marschierte unangefochten zum Sieg und baute seinen WM-Vorsprung weiter aus. Hätte er seinen zweiten Frankreich-Erfolg auch ohne den Patzer von Leclerc geholt?

Nur so viel vorneweg: Eine eindeutige Antwort kann man auch nach einem langen Blick auf die Daten nicht geben. Dafür fehlen einfach die Erfahrungswerte auf dem Hard-Reifen. Denn da Leclerc gar nicht erst zu einem Stopp kam, Carlos Sainz seinen einzigen Hard-Stint am Anfang des Rennens im Verkehr verbrachte und schließlich aufgrund des Safety Cars auch viel zu früh auf die Medium-Reifen umsteigen musste, lässt es sich nur mutmaßen, wie schnell die Ferraris auf dem weiß markierten Reifen gewesen wären.

1. Stint: Reifen-Vorteil für Leclerc

In den Freitags-Trainings sah Red Bull auf dem Longrun deutlich stärker aus als die Konkurrenz aus Maranello. Über neun Zehntel konnte Verstappen die Roten abhängen. Auf der anderen Seite kontrollierte Ferrari auf eine Runde das Geschehen. Am Samstag relativierte sich das Bild deutlich: Ferrari stimmte sein Auto wieder mehr auf den Renntrimm ab und genau das zeigte sich auch am Sonntag.

Verstappen machte ab der dritten Runde Druck auf Leclerc, konnte aber jeweils die Attacken nicht durchziehen. In Runde 7 war Verstappen beispielsweise auf Start-Ziel auf 0,556 Sekunden dran. Zwischen Runde 3 und 9 waren Leclerc und der Weltmeister nur im Fenster zwischen einer halben und einer Dreiviertel-Sekunde getrennt. "Max war in der Lage, für eine lange Zeit sehr nah an Charles dranzubleiben ohne dass die Reifen exorbitant heiß wurden", freute sich Red-Bull-Teamboss Christian Horner.

Max Verstappen vs. Charles Leclerc, Foto: LAT Images
Max Verstappen vs. Charles Leclerc, Foto: LAT Images

In dieser Rennphase konnte Max Verstappen offensichtlich die bessere Pace gehen als sein Ferrari-Rivale. Dass er keinen Weg vorbei fand, lag auch an den Windverhältnissen. Hin zur besten Überholstelle des Kurses in Kurve 8 herrschte Rückenwind, was sowohl den Windschatten- als auch den DRS-Effekt dämpfte. Nach Runde 9 gewann Leclerc wieder etwas mehr Kontrolle über das Rennen, indem er den Vorsprung auf neun Zehntel ausbaute.

Obwohl er zuvor unter starkem Druck von Verstappen gestanden hatte, war es Leclerc besser gelungen auf seine Reifen aufzupassen. Denn in der Folge zog der Ferrari-Fahrer seine Pace eine Spur an. In Runde 13 erfolgte die Tempoverschärfung, mit der Verstappen nicht mehr mitgehen konnte. Während in den Runden zuvor das Duo durchschnittlich tiefe 1:39er-Zeiten abspulte, gelang Leclerc in der Folge der Sprung in die 38er-Bereiche.

Zwischen Runde 13 und 17 umrundete Leclerc die Strecke in durchschnittlich 1:38,866, während Verstappen bis zu seinem Stopp in keiner einzigen Runde mehr die 1:39er-Marke unterbieten konnte und Runde für Runde mehrere Zehntelsekunden einbüßte. Bis zu Verstappens Stopp in Runde 16 betrug der Rückstand bereits 1,8 Sekunden.

Verstappen überholt Leclerc virtuell

Red Bull musste zu diesem Zeitpunkt reagieren, ansonsten lief man Gefahr aus dem Undercut-Fenster zu fallen und dadurch diese strategische Option zu verlieren. Da die Reifen am Ferrari länger hielten, schien gleichzeitig ein Overcut als Reaktion auf einen Ferrari-Stopp keine erfolgsversprechende Option zu sein. Vor allem, da früh im Rennen klar wurde, dass eine 1-Stopp-Strategie die bessere Variante ist.

Christian Horner erklärte: "Es war der frühestmögliche Zeitpunkt, der innerhalb des Limits für eine 1-Stopp war". Durch den Boxenstopp drehte sich die Ausgangslage um. Obwohl Verstappen hinter Norris auf die Strecke kam und den McLaren-Piloten auf seiner Outlap überholte, hatte er bereits auf einer Runde den Rückstand unter das Boxenstopp-Fenster gebracht und damit virtuell die Führung übernommen. 27,4 Sekunden trennten Leclerc und Verstappen zu diesem Zeitpunkt. Ein Boxenstopp kostet auf dem Circuit Paul Ricard aber knapp über 28 Sekunden.

Red Bull vs. Ferrari: Topspeed gegen Reifen

Ferraris einzige Option lag darin, den ersten Stint von Leclerc zu verlängern, um so ein ausreichendes Reifendelta zu erschaffen. Dazu kam es dann aus bekannten Gründen nicht mehr. Red Bull hätte aber für dieses Rennsituation ein Ass im Ärmel gehabt: Den Topspeed. Auf der Geraden hatten die Bullen bereits am gesamten Wochenende wie schon seit Saisonbeginn die Nase vorne. Auf dem Circuit Paul Ricard betrug der Vorteil ungefähr fünf Km/h.

Leclerc hätte also auch mit frischeren Reifen und einer besseren Pace Mühe gehabt, eine erfolgreiche Attacke gegen Verstappen zu unternehmen. Den Beweis dafür lieferte Carlos Sainz, der sich rundenlang auf der Mistral-Geraden die Zähne an Perez ausbiss und erst durch einen Überraschungsangriff im letzten Sektor vorbeikam.

"Wir bauten auf die Track Position und wir wären einigermaßen komfortabel in der Lage gewesen mit unserem Speed in Sektor 2 zu verteidigen", ist Horner überzeugt. Der letzte Strohhalm, an den sich Ferrari im zweiten Stint noch hätte klammern können, war der Reifenverschleiß. Doch entgegen aller Prognosen von Pirelli-Chef Mario Isola, der ein 2-Stopp-Rennen erwartet hatte, hielten die Hard-Pneus mit etwas Reifen-Management bis ins Ziel durch.

Das unterstreichen auch die Rundenzeiten der Führenden. Verstappen und Hamilton wurden im Laufe des Stints etwa eine Sekunde langsamer, sie konnten aber auch aufgrund der deutlichen Führung früh etwas rausnehmen. Sergio Perez und George Russell, die lange Zeit in ein Duell involviert waren und deshalb bis ins Ziel pushten, drehten ihre schnellsten Runden kurz vor Schluss.

Fazit: Der Unfall von Leclerc kostete der Formel-1-Welt einen spannenden Grand Prix. Ferrari und Leclerc verfügten wohl in Le Castellet über das etwas schnellere Auto, Max Verstappen hatte hingegen die Track Position und den besseren Topspeed auf seiner Seite. Mit einem drängenden Charles Leclerc im Nacken wäre es Verstappen deutlich schwieriger gefallen, seine Reifen zu schonen. Ob das für Ferrari gereicht hätte, um den WM-Führenden zu überholen oder in einen Fehler zu treiben? Wir werden es leider nie erfahren.

Ferrari Katastrophe! Hat Perez den Restart verschlafen? (09:49 Min.)