Vor dem Grand Prix in Silverstone träumen die britischen Fans von einem Comeback der Silberpfeile mit den Lokalmatadoren Lewis Hamilton und George Russell, doch die Spitzenplätze in der Formel-1-Saison 2022 sicherten sich bisher andere. Ihr Landsmann Damon Hill, Weltmeister von 1996, konnte den britischen Fans in einem Interview mit dem 'Mirror' jedoch keine Hoffnung machen: "Die Weltmeisterschaft wird zwischen Max [Verstappen, Anm. d. Red.] und Charles [Leclerc, Anm. d. Red.] entschieden, dafür braucht es aber vermutlich ein paar Ausfälle von Max."

Der ehemalige Williams-Pilot zog seinen Schluss auch aus vergangenen Weltmeisterschaftskämpfen der Königsklasse. "Ich will nicht ausschließen, dass Mercedes noch etwas Magisches findet, aber wenn man sich die Historie ansieht, dann deutet alles auf einen Kampf zwischen den beiden hin", erklärte Hill. Momentan hat in diesem Kampf Red-Bull-Pilot Max Verstappen die Nase vorne. Der Weltmeister liegt 49 Punkte vor dem Ferrari von Charles Leclerc, der sogar nur Dritter der Wertung hinter dem zweiten Red Bull von Sergio Perez ist.

Für Hill ist der aktuelle Punktestand aber alles andere als eine Vorentscheidung: "Es sieht natürlich nach vielen Punkten aus, aber du brauchst nur ein paar Mal stolpern und schon sind 50 Punkte dahin. Es ist sehr eng. Das Pendel kann in beide Richtungen ausschlagen", erklärte der 61-Jährige. Tatsächlich sah es zu Saisonbeginn andersherum aus. Nach dem dritten Saisonrennen in Australien hatte Leclerc einen Vorsprung von 46 Zählern auf Verstappen.

Red Bull im Strategievorteil, wie einst Benetton mit Schumacher

Wie hat Red Bull das Ruder herumgerissen? Damon Hill machte dazu beim WM-Gegner Ferrari eine Beobachtung. "Teamchef Mattia Binotto hat sofort das Team für seine schnelle Entscheidung in Kanada gelobt, als Carlos [Sainz, Anm. d. Red.] während des Safetycars reinkam", bemerke der Ex-Weltmeister. Strategische Entscheidungen seien der Knackpunkt: "Ich denke, Ferrari war da ein bisschen plattfüßig im Vergleich zu Red Bull."

Hill bemühte einen Vergleich zu seiner eigenen Karriere: "Ich habe früher Williams als ein Ingenieursteam, das Rennen fuhr, bezeichnet. Benetton wiederum war ein Rennstall, der Ingenieursarbeit betrieb." Tatsächlich gibt es im Jahr 2022 Parallelen zu Hills WM-Duellen im Williams gegen Michael Schumacher im Benetton zu erkennen. Der Williams FW15 war das wohl schnellste Auto der Saison 1995 und holte zwölf Pole-Positions im Vergleich zu Benettons vier. Nach Siegen stand es jedoch elf zu fünf für Benetton, auch dank der genialen Strategien von Ross Brawn.

1995 fuhr Hill oft von der Pole-Position los, doch Michael Schumacher und Benetton gewannen meist die Rennen, Foto: LAT Images
1995 fuhr Hill oft von der Pole-Position los, doch Michael Schumacher und Benetton gewannen meist die Rennen, Foto: LAT Images

2022 wiederholt sich dieses Bild: Obwohl Leclerc die Qualifyings mit bereits sechs Poles dominiert, hat Red Bull die letzten sechs Rennen in Folge gewinnen können. Damon Hill ist daher voll des Lobes für die Strategen aus Milton Keynes: "Sie wissen, dass sie auch taktisch kämpfen müssen, um sich einen Vorteil zu verschaffen. Sie sind darin sehr geübt und haben einen guten Blick für die Rennstrategie. Sie reagieren schnell und haben einen Alternativplan im Ärmel."

Ferrari mit schnellem Auto, aber Strategieabteilung kann nicht mithalten

Bei der Konkurrenz sieht Hill diese Qualität nicht. "Die anderen Teams sind nicht so gut. Mercedes ist lange einfach vorneweggefahren, da musste man nicht alternativ denken wie Red Bull. Ich denke auch Ferrari kommt da nicht mit", stellte er den Vergleich der drei Top-Teams an. Vor allem in Maranello hätte es andere Prioritäten gegeben: "Sie haben sich so stark darauf konzentriert, ein schnelles Auto zu haben, dass sie ihre Strategieabteilung nicht so gut entwickelt haben wie Red Bull."

Der Kommandostand von Red Bull ist laut Damon Hill ein Trumpf im WM-Kampf, Foto: LAT Images
Der Kommandostand von Red Bull ist laut Damon Hill ein Trumpf im WM-Kampf, Foto: LAT Images

In einem Sport, in dem um jedes Tausendstel gekämpft wird, hat sich Red Bull für Hill einen kleinen Vorteil erarbeitet: "Es ist kein großer Unterschied, aber für mich scheint es so als ergreift Red Bull manchmal die Chance, etwas Cleveres zu machen, und dem Rest fällt das erst einen Sekundenbruchteil später ein."