Das Kräfteverhältnis in der Formel 1 ist 2022 überall neu. Ferrari hat in Bahrain in allen Belangen eine Duftmarke gesetzt, und nicht zuletzt bei der Power Unit. Fünf der zehn Autos in den Punkten waren am letzten Wochenende mit einem Ferrari-Motor unterwegs.

Das Fazit im Fahrerlager: Motoren-Platzhirsch Mercedes ist seinen ersten Rang los, und Ferrari stellt 2022 wieder den leistungsstärksten Motor. Das gesteht auch die Konkurrenz nach Bahrain freiwillig ein, und das könnte vor allem für Mercedes und seine Motorenkunden Probleme bedeuten.

Der Machtwechsel trat erstmals am Samstag im ersten Qualifying des Jahres klar hervor. Zum ersten Mal fuhren alle Hersteller gleichzeitig ihre Motoren im schärfsten Modus. Die besten Topspeeds von Ziellinie und Messpunkt kurz vor Kurve 1 sprachen dann eine doch scheinbar deutliche Sprache.

Formel 1 Bahrain - Topspeeds Qualifying T1

FahrerMotorkm/h T1
PerezRed Bull323.2
VerstappenRed Bull322.9
AlonsoRenault321.5
OconRenault320.4
LatifiMercedes319.4
SchumacherFerrari318.4
MagnussenFerrari318.2
TsunodaRed Bull318.1
GaslyRed Bull317.3
AlbonMercedes316.7
LeclercFerrari316.6
SainzFerrari315.9
NorrisMercedes315.7
BottasFerrari315.5
HamiltonMercedes315.4
ZhouFerrari315.1
RussellMercedes314.0
RicciardoMercedes311.6
StrollMercedes311.5
HülkenbergMercedes310.0

Formel 1 Bahrain - Topspeeds Qualifying Ziellinie

FahrerMotorkm/h Ziellinie
PerezRed Bull291.4
VerstappenRed Bull290.7
AlonsoRenault290.7
OconRenault289.7
SchumacherFerrari289.4
LatifiMercedes289.3
LeclercFerrari289.2
SainzFerrari288.7
AlbonMercedes288.6
MagnussenFerrari288.5
GaslyRed Bull288.3
ZhouFerrari288.0
TsunodaRed Bull287.9
NorrisMercedes287.5
BottasFerrari287.4
HamiltonMercedes286.3
RussellMercedes286.1
StrollMercedes284.6
HulkenbergMercedes284.3
RicciardoMercedes283.9

Mercedes-Autos schwächeln in Bahrain

Renn- oder Trainings-Topspeeds sind aufgrund von DRS und Motormodi nur schwer zu vergleichen, aber im Qualifying sind die Rahmenbedingungen für alle ident. Prompt füllten sechs Mercedes die untersten acht Plätze. Nur Williams schaffte es, sich aus dem Keller zu befreien.

Lewis Hamilton im schnellsten Werks-Mercedes fehlten auf der Ziellinie bereits 5,1 km/h, und vor Kurve 1 dann gar 7,8 km/h auf das schnellste Auto, den Red Bull von Sergio Perez. "Natürlich ist Luftwiderstand noch immer ein Faktor", meint McLaren-Mercedes-Pilot Lando Norris danach. "Aber ich bin sicher, wenn jeder auf die GPS-Daten schaut, kann man schnell sehen, dass wir als Gruppe von Mercedes-Jungs ein bisschen hinten dran sind."

Wolff spielt Mercedes-Defizit herunter

Bei der Werksmannschaft will man aber keine voreiligen Schlüsse ziehen. "Wir haben noch nicht alle Daten", meint Sportchef Toto Wolff. "Es wird da viel Luftwiderstand in die Geschwindigkeitsmessungen reinspielen. Das müssen wir uns zuerst anschauen." Mercedes kämpfte das ganze Wochenende mit Bouncing, musste das Auto höher legen, und kompensierte den dadurch verlorengehenden Abtrieb mit mehr Flügel.

Auch bei den Kundenteams McLaren, Aston Martin und Williams gibt es größere Probleme als bloß die Power Unit. Das verwässert das Bild. Trotzdem gesteht Wolff aber am Sonntag dann schließlich: "Ich glaube, es gibt keinen großen Unterschied zwischen den Power Units, und Ferrari hat ganz klar einen großen Schritt nach vorne gemacht."

"Wenn du dir dieses einzelne Event in Bahrain anschaust, sieht es so aus, als ob sie alle geschlagen haben", lautet Wolffs Fazit. Er ist nicht der einzige. Die Motorkunden bei Alfa Romeo und Haas zeigten sich ebenfalls hoch erfreut. "Ferrari hat denke ich jetzt den besten Motor", urteilt Haas-Teamchef Günther Steiner.

Ferrari hat 2022 komplettes Paket

Aber die Spitzenwerte des Wochenendes gehörten nie Ferrari, weder im Qualifying noch im Rennen. Red Bull führte stehts die Wertung an. Das ist ein Trugschluss, wie Red Bulls Motorsportchef Dr. Helmut Marko am Sonntag erklärt: "Die waren in Sektor zwei schneller und auf den Geraden schneller." Ferraris Qualifying-Zeiten zeigen das: Leclerc war sowohl im kurvigen zweiten Sektor als auch im Power-Sektor drei am Samstag der schnellste Fahrer.

FahrerMotorSektor 1Sektor 2Sektor 3
LeclercFerrari+ 0.145SchnellsterSchnellster
VerstappenRed BullSchnellster+ 0.130+ 0.054
SainzFerrari+ 0.066+ 0.140+ 0.001
PerezRed Bull+ 0.182+ 0.192+ 0.039
HamiltonMercedes+ 0.130+ 0.263+ 0.115

Auch Marko hält den Ferrari-Motor für den stärksten. Red Bull hatte nämlich die Flügel getrimmt, um beim Topspeed mitzuhalten. Der Ferrari-Motor hatte es der Scuderia im Gegenzug ermöglicht, mehr Abtrieb auf das Auto zu packen, ohne dafür auf den Geraden signifikant Zeit zu verlieren. Das zeigt sich teils auch dadurch, dass Leclerc und Sainz im Qualifying auf der Ziellinie noch weiter vorne in der km/h-Messung zu finden waren, als am Ende der Zielgeraden.

Red Bull bezahlte die Entscheidung im Rennen. Wenn Max Verstappen und Sergio Perez Tempo machten, gingen die Reifen in die Knie, denn der fehlende Abtrieb bedeutete, dass der RB18 die Reifen härter beanspruchte.

Auch dass Max Verstappen dreimal auf der Zielgeraden im Rennen an Charles Leclerc vorbeiflog, ist ein Trugbild. Leclerc spielte das DRS-Spiel, schaltete auf diesen Runden nicht einmal in den achten Gang und ging extra früh vom Gas, um beim DRS-Messpunkt vor der ersten Kurve hinter Verstappen zu sein. So ging Verstappen zwar für drei Kurven in Führung, aber Leclerc holte sich mit DRS den Platz in Kurve vier zurück.

Ferrari für Formel-1-Zukunft rechtzeitig gerüstet

Fazit: Ferrari ist zurück an der Spitze. Dort, wo sie 2019 schon waren, ehe sie infolge einer Kontroverse um Regelbrüche bei der Benzinzufuhr abstürzten und zwei Jahre das Motorenschlusslicht bildeten. "Sie mussten sich viel Scheiße anhören, und sie haben einfach ihre Hausübungen gemacht und sind mit etwas sehr gutem zurückgekommen", sagt Haas-Teamchef Steiner.

Im Vorjahr schon widmete Ferrari dem Motor viel Entwicklungszeit. Gepaart mit der Einführung von E10-Kraftstoffen öffnete sich 2022 die Tür für einen großen Sprung. Der dürfte auch gerade rechtzeitig gekommen sein, denn jetzt folgt ein Entwicklungsstopp. Teile der Power Units dürfen schon seit 1. März nicht mehr entwickelt werden, die letzten Hybrid-Komponenten werden mit 1. September endgültig eingefroren.

Was gute Nachrichten für Ferrari sind, müssen aber noch keine schlechten für Mercedes sein. Wie groß das Defizit - so es denn eines gibt - wirklich ist, kann erst beurteilt werden, wenn auch das Chassis funktioniert. Das Team hat bereits klargestellt: Das ist die größte Baustelle. "Es ist leichter, Luftwiderstand loszuwerden", kündigt Toto Wolff an. "Du nimmst einfach eine Kettensäge und schneidest den Heckflügel in zwei Teile! Das werden wir für Jeddah machen." Im Ernst: Mercedes vertraut fest darauf, das Chassis in den Griff zu bekommen. Wie viel vom Topspeed-Defizit übrigbleibt, das bleibt abzuwarten.

Formel 1 2022: Hat Mercedes den schlechtesten Motor?: (13:52 Min.)