Nach vorne schauen wollen Lewis Hamilton und Mercedes nach dem skandalösen Formel-1-WM-Finale nun wieder. Das betonten im Rahmen der Präsentation des neuen Mercedes F1 W13 sowohl der siebenmalige Weltmeister als auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff auf diverse Nachfragen zu dem noch immer allgegenwärtigen Reizthema. Ganz und gar abgehakt ist die "Freestyle-Auslegung" der Regeln (O-Ton Wolff) durch Rennleiter Michael Masi in Abu Dhabi - und schon zuvor - dennoch nicht. Gewisse Narben hat die Schlussphase der Formel-1-Saison 2021 hinterlassen.

Für keinen gilt das mehr als für Lewis Hamilton. Auch deshalb habe er sich unmittelbar nach Abu Dhabi ins digitale Nirvana begeben. "Ich habe den Stecker gezogen. Aber ich habe es sowieso verdient, nach der Saison abzuschalten", berichtet der amtierende Vize-Weltmeister. Seine gesamte Familie habe er dabei um sich geschart. Das sei ohnehin viel zu selten möglich. Dennoch sei es eien harte Zeit gewesen. "Es hat Zeit gebraucht, zu verdauen, was passiert ist - und es ist noch immer schwierig, alles ganz und gar zu verstehen", gesteht Hamilton.

Hamilton verlor in Abu Dhabi das Vertrauen ins System

An ein Karriereende habe er - entgegen unzähliger Gerüchte - nicht gedacht. "Das habe ich schon so oft gemacht", scherzt Hamilton. "Nein, aber ganz ehrlich habe ich es nicht." Nicht sehr konkret zumindest. Generell denke er am Saisonende lose darüber nach, ob er all die Anstrengungen, die seine Ambitionen, an der absoluten Spitze zu fahren, weiter auf sich nehmen will. "Viele Leute unterschätzen, wie viel Arbeit es ist, Weltmeister zu werden", sagt Hamilton. "Da gibt es so viele bewegliche Komponenten. Es geht nicht nur darum, aufzuschlagen und das Auto zu fahren. Die Frage ist: Willst du die Zeit opfern? Glaubst du, dass du weiter in deiner Gewichtklasse kämpfen kannst? Das ist ein ganz normaler Denkprozess bei mir."

In diesem Winter führte dieser Prozess allerdings durchaus etwas weiter als üblich. "Dieses Mal wurde es von einem signifikanten Faktor begleitet", schildert Hamilton. "In dem Sport, den ich mein ganzes Leben geliebt habe, gab es einen Moment, in dem ich ein wenig das Vertrauen ins System verloren habe." Genau dieses Gefühl umschreib Toto Wolff bereits im direkten Nachgang des Rennens damit, er und Hamilton seien desillusioniert. Hamilton selbst schwieg zu diesem Zeitpunkt wochenlang. Einzig sein Bruder Nicholas formulierte in den sozialen Medien ähnliche Worte, die nun auch der Mercedes-Pilot wählt: Große Enttäuschung von jenem System, jenem Sport, den Hamilton immer liebte.

Hamilton mit Kampfansage: Bester Lewis kommt erst noch

Dennoch besann sich Lewis Hamilton letztendlich seiner Ideale. "Was dich nicht umbringt, macht dich stärker", erinnert der Brite. "Ich bin generell eine sehr willensstarke Person. Ich denke mir gerne selbst: Momente wie dieser mögen die Karrieren anderer definieren, aber ich weigere mich, dass dieser Moment meine definiert." Hamilton will sich nicht zum Spielball der Umstände machen, sondern selbst das Heft des Handels fest in Händen halten. "Also bin ich nun darauf fokussiert der Beste zu sein, der ich nur sein kann und stärker zurückzukommen", erklärt der Rekordweltmeister.

Eine Kampfansage, fast schon eine regelrechte Drohung an die Konkurrenz, lässt Hamilton gleich folgen "Wenn ihr denkt, dass ihr Ende letzten Jahres mein Bestes gesehen habt, dann wartet, bis ihr dieses Jahr seht", verspricht Hamilton Großtaten in der neuen Saison. "Ich habe ihn noch nie entschlossener gesehen", staunt Teamchef Wolff angesichts dieser Mentalität. "Er ist positiv, entschlossen und einmal mehr wird all das Übel, das ihm entgegengeschleudert wurde, ihn nur noch stärker machen. Wie er gesagt hat: Es ist Attack-Mode!"

Formel 1 2022: Kampfansage von Hamilton! | Radikales Design (19:29 Min.)

Hamilton: Vertrauen zurückzugewinnen, dauert lang

Spuren hinterlassen hat dieses Übel dennoch. Hamilton hat in Abu Dhabi nicht nur für einen Moment das Vertrauen in das System verloren, dieses wurde nachhaltig erschüttert. "Vertrauen kann mit einem Wimpernschlag oder Fingerschnippen verlorengehen. Aber Vertrauen zu verdienen ist etwas, das lange Zeit dauert", sagt Hamilton.

Deshalb könne selbst der nur einen Tag vor dem Mercedes-Launch vorgestellte Aktionsplan der FIA nur ein Anfang sein. "Die Bekanntgabe gestern ist vielleicht ein erster Schritt in diese Richtung, aber das ändert nicht unbedingt schon alles", sagt Hamilton über die Absetzung Michael Masis, die Installation eines neuen Rennleiter-Duos samt Herbie Blash in beratender Funktion und Remote-Office im Hintergrund. Zahlreiche Maßnahmen, die sich Hamilton zufolge allerdings erst bewähren müssten.

FIA-Maßnahmen für Hamilton nur ein erster Schritt

"Das wird etwas Zeit brauchen", sagt der Mercedes-Star. Gut zu sehen seien die Vorhaben der FIA dennoch - auch wenn sich die Vergangenheit und seine damalige Gefühlswelt nicht mehr ändern lasse. "Rechenschaftspflicht ist entscheidend", betont Hamilton. "Wir müssen sicherstellen, dass wir diesen Moment nutzen, damit nie wieder irgendjemandem in diesem Sport so etwas widerfährt." Hamilton fordert: "Alles was gestern von der FIA gesagt wurde, begrüße ich. Aber wir müssen sicherstellen, dass wir ein Auge darauf habe und sicherstellen, dass wir diese Änderungen auch sehen und die Regeln fair und akkurat angewendet werden."

Kein Formel-1-Rücktritt: Lewis Hamilton ist zurück (06:54 Min.)

Deshalb blickt Hamilton auch dem noch unveröffentlichten Abschlussbericht der FIA gespannt entgegen. "Ich bin gespannt auf die Ergebnisse und hoffe, dass jeder es sehen kann, um ein besseres Verständnis [für die Vorfälle in Abu Dhabi] zu bekommen", sagt der Brite. Selbst habe er unterdessen nicht einmal das Rennen in der Wiederholung angeschaut. "Die Erfahrung war in meinem Kopf sowieso sehr deutlich. Das hat sich in meinen Gedanken über die Wochen nach dem Rennen hinweg sehr oft wiederholt", erklärt Hamilton.

All diese Negativität will Hamilton nun allerdings in Stärke umwandeln. "Ich stecke das in mein Training und in meine Arbeit mit den Männern und Frauen hier im Team", sagt Hamilton. "Ich stecke all meine Energie und Zeit da hinein, der beste [Lewis] zu sein, den ihr je gesehen habt!"