Nikita Mazepin hatte sich nach seinem emotionalen Auftritt in Brasilien wieder gefangen, als er nach dem Sprint der Formel 1 den Medien Rede und Antwort stand. Das Qualifikationsrennen lief für ihn als Letzter zwar nicht erfolgreicher als das Zeittraining, doch der Russe zeigte sich gefasst. Er lieferte die Erklärung für seine derzeitige mentale Verfassung. Hohe Fluktuation im Vertrautenkreis bei Haas verunsichert den Rookie. Teamchef Günther Steiner erkennt hingegen keine dramatischen Zustände.

"Ich arbeite ziemlich intensiv mit unterschiedlichen Spezialisten daran, dass ich meine Emotionen im Auto im Griff habe. Aber wenn du dann aussteigst und nur vier Minuten oder so hast, bevor du zu Journalisten sprichst, die dir Fragen stellen und diese Emotionen aufwühlen, und du weißt, dass du ein anderes Resultat hättest holen können, macht dich das einfach traurig", erklärt er, weshalb er nach dem Qualifying am Freitag mit den Tränen gekämpft hatte.

Die ausbleibenden sportlichen Erfolgserlebnisse scheinen langsam aber sicher an seinem Nervenkostüm zu zerren. "Es gibt in meinem Leben nicht viel anderes außer Motorsport. Tatsächlich gibt es da sonst gar nichts. Ich verschreibe mein Leben dieser Sache und es wühlt mich auf, wenn die Dinge nicht gut laufen, was normal ist", sagt er.

Mazepin hadert mit Verlust von Crewmitgliedern

Der Grund für seinen schwachen Moment war aber nicht nur die Enttäuschung über die eigene Leistung. "Ich habe seit den letzten Rennen eine ziemlich schwere Zeit. Das hat nicht nur mit der Balance des Autos zu tun, sondern auch mit ein paar internen Angelegenheiten innerhalb des Teams", so der 22-Jährige. Nach 18 Rennen in der Königsklasse ist es ihm bisher nur bedingt gelungen, im Sport Fuß zu fassen. Haas war von Anfang an damit beschäftigt, das unter seinen Fehltritten leidende Selbstvertrauen aufzubauen.

Nach der Sommerpause gab es bei Mazepins Crew allerdings einige personelle Veränderungen, die ihn mental zurückwarfen. "In jeder Branche sind die guten Leute natürlich etwas, woran du festhalten willst", erklärt Mazepin gegenüber Motorsport-Magazin.com. Vor dem Rennen in der Türkei musste er sich von seinem Renningenieur Dominic Haines verabschieden. In der Folge arbeitete er mit Chefingenieur Ayao Komatsu zusammen, der in der Vergangenheit Romain Grosjean als Renningenieur betreute.

Die Abwesenheit von Haines war allerdings nicht endgültig. "Dominic war für zwei Rennen in Elternzeit und jetzt ist er wieder da", stellt Steiner klar. Doch diese Personalie ist auch nicht der alleinige Grund für Mazepins Destabilisierung. "Mein Team von Ingenieuren ist seit der Türkei nicht mehr dasselbe und ändert sich permanent", klagt Mazepin. Die personelle Veränderung wird zudem auch Auswirkungen auf die kommende Saison haben.

Steiner spielt Situation herunter: Kein Drama

"Ich weiß, dass nicht alle, die dieses Jahr bei mir waren, nächstes Jahr noch hier sein werden", sagt er. "Ich habe diese Umgebung sehr genossen und ich war seit Beginn des Jahres von einigen tollen, ehrlichen Menschen umgeben. Leider hat mein Ingenieur uns letzte Woche für ein anderes Team verlassen und er ist leider nicht der Einige. Das ist eine Herausforderung."

Um welchen Ingenieur es sich dabei handelt, ließ Mazepin unbeantwortet. Steiner hingegen versteht die Aufregung nicht. "Der Rest, der uns verlässt, das würde ich nicht dramatisieren", sagt der Südtiroler. "Wir haben keinen Massenexodus oder so etwas, in keiner Weise. Es ist nur ein bisschen Fluktuation aus dem ein großes Drama gemacht wird, das es nicht ist. Das passiert im Motorsport einfach. Ende des Jahres werden neue Leute eingestellt und andere verlassen den Motorsport."

Mazepin zeigt Verständnis: Familie geht vor

Mazepin ist sich dieses Umstandes durchaus bewusst. Dennoch ist er enttäuscht. "Leider sind persönliche Beziehungen nichts, das Menschen in diesem Sport zum Bleiben bewegen kann. Es ist meistens eine Frage des Geldes. Oder Menschen bekommen Familie", sagt er. Für Letzteres hat er vollstes Verständnis: "Der Kalender wird immer ausufernder und dann haben sie in der Hinsicht natürlich Recht, dass die Familie an erster Stelle stehen sollte."

Er kann für sich selbst nicht ausschließen, dass diese Beweggründe auch ihn eines Tages vom Motorsport abbringen. "Dieser Sport ist alles, was ich in meinem Leben mache und ich bin erst 22 Jahre alt. Ich schätze, wenn ich zehn Jahre älter wäre und Kinder hätte, würde ich ähnliche Entscheidungen treffen", so der Moskauer.

Kalender und schlechte Performance vertreiben Personal

Steiner sieht in den Reihen seines Teams unterschiedliche Ursachen für den Ausstieg aus der Formel 1. "Dieses Jahr sind es insbesondere Menschen, die den Kalender mit 23 Rennen nächstes Jahr nicht mitmachen wollen", sagt er. Bei einem anderen Grund spielen wiederum auch Mazepins Leistungen eine Rolle.

"Wenn du hinten rumfährst, ist es oft so, dass die Motivation nicht so hoch ist, wie wenn du gewinnst. Dann halten dich die Resultate bei Laune. Wir haben dieses Jahr vielleicht etwas mehr Fluktuation. Ich sehe da eine Kombination. Die Ergebnisse sind es auch ein bisschen, besonders auf seiner [Mazepins] Seite und dann kommt der Kalender für 2022 dazu", so Steiner.

Mazepin findet es schwer, unter diesen Umständen in seiner Komfortzone zu operieren. "Es ist nicht wie ein Bürojob, wo du hingehst, dein Zeug machst und wieder gehst. Ich weiß, was es braucht, um im Motorsport erfolgreich zu sein. Du brauchst eine spezielle Verbindungen zwischen den Menschen, die sich für dich den Arsch abrackern und umgekehrt. Das treibt dich an und das ist etwas, das es mir in der Vergangenheit ermöglicht hat, Resultate zu holen", erklärt er.

Die ständigen Wechsel innerhalb seiner Crew stören die Chemie und damit auch sein Selbstvertrauen. "Es ist so, als ob dir jemand einen Gegenstand in die Fahrradspeichen schiebt. Es stoppt all das Momentum, von dem ich träume und alles was ich tue", sagt er. Doch der Rückschlag soll auf keinen Fall seine F1-Karriere bestimmen: "Ich war schon einmal in dieser Situation und ich werde stärker als je zuvor daraus hervorgehen."