Erlebt die Formel 1 2021 ihre beste Saison seit vielen Jahren? Der heiße WM-Kampf zwischen Max Verstappen und Lewis Hamilton, Red Bull und Mercedes lässt nicht wenige Beobachter zu diesem Schluss kommen. "Als Fan finde ich es natürlich unheimlich spannend und kann auch nachvollziehen, dass es für die Formel 1 sehr gut ist", sagt mit Toto Wolff sogar einer jener Beteiligten, die ihre jahrelange Vormachtstellung verloren haben.

Selbst in seiner Funktion als Mercedes-Teamchef mache die Saison, der Balanceakt zwischen Fahrer- und Konstrukteurswertung Spaß. Ähnlich sieht es Wolffs Pendant bei Red Bull. "Ich denke, das ist eine der großartigen Sachen der Saison - die verschiedenen Sieger, die wir hatten", sagt Christian Horner selbst nach dem ersten Saisonsieg des zweiten Mercedes-Fahrers Valtteri Bottas in der Türkei. "Da ist es fast schade, dass nächstes Jahr alles geändert wird", ergänzt der Brite.

Formel-1-Sportchef Brawn: Enges Racing noch immer knifflig

Damit zielt Horner auf die revolutionierten technischen Regularien der kommenden Formel-1-Saison 2022, welche die Boliden und damit wohl auch das Sportgeschehen vollständig umkrempeln werden und verbessern sollen. Doch ist genau das angesichts der hochspannenden Saison 2021 inzwischen gar nicht mehr nötig, ja sogar kontraproduktiv und eine Gefahr, wie Horner nahezulegen scheint? Immerhin rückten Teams wie McLaren und Ferrari Mercedes und Red Bull schon 2021 deutlich näher - und setzten zumindest auf manchen Strecken wie Monaco, Aserbaidschan, Monza oder Österreich erste Nadelstiche.

Ferrari vs. McLaren: Wer holt sich WM-Platz 3?: (02:00:00)

Dagegen wehrt sich nun Ross Brawn höchstpersönlich. "Ich habe ein paar Kommentare gehört, ob die 2022er Regeländerungen nötig sind, da wir gerade solch eine goldene Saison genießen", schreibt der Sportchef der Königsklasse in seiner obligatorischen Kolumne auf F1.com zum Türkei-GP. "Das vergisst den Fakt, dass - obwohl wir dieses Jahr eine aufregende Meisterschaft haben - die Autos noch immer damit zu kämpfen haben, einander dicht zu folgen und so Gelegenheiten für Überholmanöver zu kreieren."

Neue Autos sollen Racing verbessern, nicht Chancengleichheit

Genau das ist das eigentliche Leitmotiv der neuen Regeln. Mehr Chancengleichheit für alle gibt es ohnehin schon dank der bereits 2021 geltenden Budgetgrenze von 147,5 Millionen US-Dollar. Mit in den kommenden Jahren immer niedrigeren Limits und den dank neuer Regeln verlorenen Entwicklungsvorsprünge der Top-Teams aus dem aktuellen Reglement-Zyklus soll es hier fortlaufend fairer zugehen. Das ist allerdings nicht der Hauptzweck der neuen Autos. Hier geht es schlicht um besseres Racing.

Das sollen die neuen Autos Analysen und Prognosen eines eigenen Kompetenzteams der Formel 1 und FIA auch gewährleisten. Allerdings machte schon die FIA nie ein Geheimnis daraus, dass ein Allheilmittel auf Anhieb nicht garantiert ist und viel mehr mittelfristig große Erfolge zu erwarten sind. Das bekräftigt nun auch Brawn. "Die 2022er Regeländerungen werden die Situation nicht über Nacht verändern, aber sie sind eine viel bessere Plattform, um das Racing auf der Strecke zu verbessern", schreibt der Brite.

Formel 1 2022: Kurzfristige Dominanz zu befürchten?

Gerade im ersten Jahr eines neuen Reglements kann dieser Effekt 2022 kaschiert werden, sollte ein Team die neuen Regeln besonders clever nutzen, sodass eine große Überlegenheit dazu führt, dass engeres Racing zumindest an der Spitze ohnehin nicht existiert. Doch erwartet Brawn dank der Regeln in Kombination mit der Budgetgrenze, dass die üblichen Performance-Angleichungen im Lauf eines Reglement-Zyklus schneller vonstattengehen werden als bislang - und dann die große Stunde der überholfreundlicheren Autos schlagen wird.

Brawn: "Ich bin sicher, dass wir in Zukunft unglaubliche Rennen und Meisterschaften mit noch mehr Rad-an-Rad-Action sehen werden, wenn sich die neuen Regeln erst einmal gesetzt haben."

Wolff erwartet engeres Feld schon 2022

Persönlich hofft Toto Wolff auf etwas anderes. "Am liebsten würde ich natürlich im nächsten Jahr wieder in den Sonnenuntergang davonreiten und im Sommer die Meisterschaft haben. Aber für den Sport wäre das nicht gut", sagt der Mercedes-Leiter. Ohnehin erwartet Wolff etwas anderes. "Mit dem Cost Cap, der eingeführt worden ist, werden wir fast alle nahezu mit den gleichen Budgets arbeiten, das bedarf bei den großen Teams einer Umstrukturierung, die wiederum einen möglichen Wettbewerbsvorteil wettmacht", sagt der Wiener.

Für Wolff könne es sogar schon 2022 so weit sein. Der Österreicher erwartet im kommenden Jahr kein großes Nachtrauern der Vorjahressaison. Wolff: "Deswegen glaube ich, dass es im nächsten Jahr wesentlich mehr Teams geben kann, die gewinnen können und die vorne an der Spitze mitfahren können. Das wäre natürlich für die Formel 1 der Best Case, dass du vier oder fünf Teams mit zehn Fahrern hast, die Grands Prix gewinnen können. Das wäre für uns alle sehr schön." Vor einem halben Jahr vertrat Wolff hier allerdings noch eine andere Meinung.

Budgetdeckel und neue Regeln als perfekte Kombination?

Brawn unterdessen nennt neben der Budgetgrenze noch einen anderen Aspekt, der schon 2021 der Action zuträglich war: Regeländerungen können ein Feld auch zusammenbringen. Stichwort beschnittene Unterböden & Co. "Für mich besteht kein Zweifel, dass der Cost Cap und die vorgenommenen Regeländerungen einen positiven Einfluss auf die Enge und Intensivität der Meisterschaft genommen haben", schreibt Brawn.

Insgesamt soll es auch in Zukunft also genau diese Kombination richten: Neue Autos und finanzielle Chancengleichheit. "Wir wollen noch immer eine Leistungsgesellschaft, wir wollen noch immer, dass das beste Team gewinnt", schreibt Brawn. "Aber wir wollen nicht, dass sie mit einer Landmeile Vorsprung gewinnen, einfach weil sie ein größeres Budget haben als alle anderen. Es ist erfreulich zu sehen, wie sich die Dinge entwickeln."