In Sotschi ging Mercedes einmal mehr als haushoher Favorit ins Qualifying - und erlebte eine nach eigenen Maßstäben unterirdische Leistung. Heute werden Lewis Hamilton und Valtteri Bottas nach Fehlern am Vortag das Formel-1-Rennen in Sotschi nur von den Plätzen vier und sieben aufnehmen.

Fix ist: Mercedes hat in Russland klar das schnellste Auto. Aber plötzlich treiben sich zwischen den Favoriten jetzt Lando Norris, Carlos Sainz, George Russell, Daniel Ricciardo und Fernando Alonso herum. Diese könnten zu legitimen Herausforderern zu werden, denn selbst im Trockenen drohen Hamilton und Bottas von ihnen ernsthafte Gefahren.

Startgefahr: Russisches Roulette für Hamilton in Sotschi

Wie ernst die Konkurrenz sein wird, das wird der Start entscheiden. Mit 890 Metern vollgas bis zum ersten Bremspunkt spielt der Windschatten die Hauptrolle in der ersten Runde. "Ich wäre nicht überrascht, wenn George das Rennen nach Kurve drei anführt", prognostizierte Toto Wolff am Samstag schon. "Der beste Startplatz ist wohl Platz drei."

Denn die rechte Seite der Strecke - also alle Startplätze mit geraden Nummern - wird kaum befahren und bietet daher sehr wenig Grip. Der dort startende Sainz meldete schon Sorgen an, Hamilton ebenfalls. Zwar hat er als Vierter gute Chancen, vom Windschatten der Vordermänner zu profitieren, aber Russell vor ihm und Ricciardo hinter ihm haben den Vorteil eines sauberen Startplatzes.

Topspeed-starke McLaren und Williams als unüberwindbare Hürden?

Wenn sich das Feld sortiert hat, und Hamilton infolgedessen noch immer auf dem dritten Rang oder gar schlechter rangiert, könnte Mercedes trotz großem Rennpace-Vorteil heute ein echtes Problem bekommen. Besonders, wenn man hinter George Russell und Lando Norris feststeckt. Besonders der Williams ist schnell auf den Graden, bewegt sich dort auf einem Level mit dem Werks-Mercedes.

Groß sind die Hoffnungen bei Ferrari und McLaren zwar nicht. "Sie sind hier ganz klar eine halbe Sekunde bis eine Sekunde schneller als wir", meint Carlos Sainz. Und McLaren-Teamchef Andreas Seidl: "Mercedes fährt in einer anderen Liga. Es wird sehr schwierig werden, Lewis abzuwehren, er ist nicht so weit weg." Einschränkung: "Wir haben aber in den letzten Rennen gesehen, dass es die Chance gibt, was Großartiges zu vollbringen, wenn wir vorne starten."

2. Training - Longruns auf Medium

FahrerReifen-AlterStint-LängeZeit
Bottas1441:39,785
Sainz1221:40,286
Hamilton1661:40,308
Verstappen1781:40,422
Leclerc1081:40,425
Gasly1471:40,905
Ocon1571:40,939
Alonso1451:40,977
Russell971:41,139
Räikkönen1561:41,187
Tsunoda1571:42,037
Schumacher1081:42,990

Das Albtraum-Szenario für Mercedes: Eine Kombination von Norris, Sainz und Ricciardo hat vorne freie Fahrt, während Hamilton und Bottas mehrere Runden hinter dem topspeedstarken Russell feststecken. Der erinnerte nach dem Qualifying: "Unsere Longrun-Pace war die beste des Jahres, aber noch weit weg von den anderen Jungs." Das könnte McLaren oder Ferrari, oder beiden, die Chance geben, eine Lücke aufzufahren, um Mercedes danach strategisch in Schach zu halten.

Norris, Sainz und Russell: Sieglose haben nichts zu verlieren

Hinzu kommt, dass das junge Trio auf den ersten drei Plätzen heiß auf gute Resultate ist. Norris und Sainz haben in der Vergangenheit Siege nur knapp verpasst. Russell kündigte schon an: "Es gibt keinen Grund, warum ich nicht ums Podium kämpfen können soll. Ich habe nichts zu verlieren."

George Russell könnte heute in Sotschi eine kritische Rolle spielen, Foto: LAT Images
George Russell könnte heute in Sotschi eine kritische Rolle spielen, Foto: LAT Images

Hamilton hingegen hat viel zu verlieren. WM-Kontrahent Max Verstappen ist in der Sotschi-Gleichung nicht zu finden, nachdem er mit Motorstrafe aus der letzten Startreihe startet. Hamilton will aber von Zurückstecken nichts wissen: "Das bedeutet nicht, dass ich nicht hart Rennen fahre. Es gibt eine Balance, die man braucht. In der Vergangenheit war ich da ganz gut."

Kommt Hamilton hingegen als Erster aus der ersten Runde, kann er sich den Sieg nur mehr selbst nehmen. Als Zweiter dürfte er ebenfalls sicher sein, und dürfte sich mit freier Fahrt durch Under- oder Overcut samt Pace-Vorteil die Führung beim Boxenstopp holen können. Nur wenn er in den Pulk zurückfällt, wird es gefährlich für ihn.

Freie Reifenwahl beim Start - Wildcard Verstappen?

Max Verstappen bleibt in Sotschi nach der Strafe der große Außenseiter: "Es hängt von der ersten Runde ab, und was im Rennen passiert. Ich brauche ein bisschen Hilfe, da müssen ein paar Dinge vorne schief gehen."

Mit einzuberechnen ist allerdings noch die freie Reifenwahl. Nach einem nassen Q2 gilt die für das ganze Feld. Pirelli rechnet mit einer Medium-Hard-Strategie, mehr als ein Boxenstopp gilt als unwahrscheinlich. Verstappen aber könnte auf Hard starten und lange draußen bleiben. Wenn die Konkurrenz stoppt, hätte er freie Fahrt. Kommt ein Safety Car, würde das seinen Zeitverlust bei einem Boxenstopp reduzieren. Der ist mit 25 Sekunden unter grün hier relativ hoch.

Verstappen aber weiß: Die größte Gefahr lauert zu Rennbeginn. Er wird überholen müssen, um den Anschluss ans Spitzenfeld nicht zu verlieren. Am Freitag war der Red Bull dafür zu langsam. Nach Setup-Änderungen soll es besser sein: "Aber es wird trotzdem schwierig." Verstappen, der Realist, rechnet mit ein paar Punkten, und schränkt zugleich ein: "Mit dem, was da vorne passiert, habe ich sowieso nichts zu tun."

Regen soll in Sotschi dem Rennen fernbleiben

Ebenfalls raus aus der Gleichung: Das Wetter. So prognostiziert es zumindest der offizielle Wetterdienst am Samstagabend. Die Regenwahrscheinlichkeit soll nie über 20 Prozent hinauswachsen. Davon war die Spitze ausgegangen. Von den Top-3 will niemand auf ein Kompromiss-Setup umgebaut haben.

Fazit: Dieses Rennen kann viele strategische Wendungen nehmen. Setzt sich ein Mercedes am Start durch und kommt als Erster oder Zweiter aus Runde 1 zurück, ist die Sache wohl gegessen. Doch je mehr Autos zwischen Hamilton, Bottas und dem Führenden liegen, desto schwieriger wird es für sie. Williams könnte zum Königsmacher werden. Wer hinter Russell landet, droht zu viel Zeit zu verlieren und aus dem Siegeskampf zu fallen.

Sollte der Regen dennoch kommen, ist das Glücksspiel ohnehin perfekt, und die Strategieprognose für die Mülltonne. Dann kann mit etwas Glück sogar Verstappen wieder gewinnen.