Die Formel 1 kam in Baku 2021 noch einmal glimpflich davon. Reifenplatzer lösten auf dem Stadtkurs zwei große Unfälle aus, Max Verstappen und Lance Stroll blieben dabei unverletzt. Der erste Fokus galt danach verständlicherweise der Ursache der Reifenschäden - doch nicht lange danach kamen neue Sicherheitsfragen auf.
Denn die Reaktion der Rennleitung unter Michael Masi auf die Unfälle war langsam. Zu langsam für einige Fahrer, die am Funk nicht mit Kritik sparten und danach Aufklärung forderten. Obendrauf vermied es die Rennleitung, gegen zu schnelles Fahren unter gelber Flagge in Aktion zu treten - auch das wirft Fragen auf.
Timing der Safety Cars in Baku: Fahrer äußern Kritik
Das Timing der Unterbrechungen wurde nach Baku zur größten Sicherheits-Story. Denn das Safety Car war nach beiden Unfällen lange an der Box gestanden - wodurch sowohl beim Abflug von Verstappen als auch beim Abflug von Stroll fast das ganze Feld die Unfallstelle im Renntempo passierte. Ein mitten auf der Strecke geparkter Stroll funkte nervös an die Box: "Rote Flagge, holt mich hier raus." Am Funk kann auch gehört werden, wie Renningenieur Brad Joyce seine Sorgen an Aston-Martin-Teammanager Andy Stevenson weiterleitete, damit der sich mit der Rennleitung in Kontakt setzt.
Bei Stroll dauerte es gut 40 Sekunden, bis das Rennen neutralisiert wurde. Mehrere Fahrer fuhren durch das Trümmerfeld um die Unfallstelle. Noch länger dauerte es beim Abflug von Verstappen. Fast 90 Sekunden, in denen beinahe das ganze Feld am gestrandeten Red Bull vorbeifuhr, ließen sich FIA-Rennleiter Michael Masi und seine Kollegen Zeit.
"Das ist ein Witz, schickt das verdammte Safety Car sofort raus! Worauf warten die?", war die erste Reaktion eines deshalb wütenden Charles Leclerc am Funk. Er war nicht der einzige. Pierre Gasly, Carlos Sainz, Fernando Alonso, George Russell und Nicholas Latifi äußerten ebenfalls schnell Bedenken. Als Latifi und Mick Schumacher ankamen, stieg Verstappen sogar schon aus - noch immer ohne Safety Car.
Nach dem Rennen wiederholte Leclerc: "Für mich war klar, dass ich aufhören würde zu pushen, bei so einem Unfall. Es war inmitten der Gerade, das war gefährlich. Es hat länger gedauert, als ich erwartet habe, und ich glaube, alle Fahrer waren überrascht davon." Teamkollege Sainz schloss sich an: "Wir mussten an einem schweren Unfall vorbei, der nur mit gelb gesichert wurde."
Warum wartet die Rennleitung mit Safety Cars?
Leclerc kündigte an, das Thema beim nächsten Fahrer-Briefing am Freitag in Frankreich zur Sprache zu bringen. Auch Sebastian Vettel, neben Russell und Alexander Wurz einer der Direktoren der Fahrergewerkschaft GPDA, äußerte Fragen: "Es war ziemlich klar, dass er inmitten der Strecke stand, und dass es etwas lange gedauert hat - mal schauen."
Verzögerte Safety Cars können logische Gründe haben. Etwa wenn bei einem Defekt abgewartet werden kann, ob der Fahrer das Auto erneut in Gang bringt. Oder wenn direkt hinter dem verunfallten Fahrzeug eine große Lücke ist. In Startphasen wird mit der Unterbrechung oft auch gewartet, bis sich das Feld sortiert, und das Verlangsamen für die Unterbrechung so sicherer ist.
Tatsächlich war es aber nicht die erste grenzwertige Situation des Jahres. In Barcelona stellte Yuki Tsunoda mit Defekt am Streckenrand ab - bis zur Neutralisierung durch das Safety Car dauerte es 90 Sekunden. Da stieg Tsunoda, der offensichtlich nicht weiterfahren konnte, bereits aus, und Autos passierten die Stelle im Renntempo. Und für Baku lässt sich erst recht nur schwer eine Erklärung finden: Beide Unfälle passierten an gefährlichen Highspeed-Stellen, und hinterließen ein großes Trümmerfeld.
Rennleitung schiebt Gelb-Verstöße auf: Keine Strafen
Stattdessen aber passierte der Großteil des Feldes beide Unfälle unter Doppelgelb. Per FIA-Code bedeutet das: Ein Fahrer muss bei zwei geschwenkten gelben Flaggen signifikant verlangsamen und bereit sein zu stoppen.
Das führte zu mehr Kritik, denn die Reaktionen der Fahrer waren höchst unterschiedlich. Nur Schumacher und Latifi am Ende des Feldes nahmen beim Verstappen-Zwischenfall viel Tempo raus. Die Mehrheit des Feldes ging zwar vom Gas, aber nur kurz. Manche, wie Kimi Räikkönen oder Yuki Tsunoda, verzögerten gar nicht, wie die Onboard-Aufnahmen belegen. Das entging auch McLaren nicht, wo Lando Norris Tsunoda per Funk angeschwärzt hatte.
Man forderte per Funk von Rennleiter Michael Masi eine Untersuchung des "offensichtlichen" Tsunoda-Vergehens, ohne Erfolg. "Ganz einfach müsste für mich das ganze Feld bestraft werden, weil niemand für Doppelgelb verlangsamt hat. Im Sinne des Reglements", erklärte Masi. "Für mich sind alle offensichtlich. Vom Gas gehen ist nicht genug, und ich werde das allen Fahrern beim nächsten Meeting sagen."
McLaren konnte dem nichts abgewinnen. "Aus meiner Sicht sind heute Dinge passiert, die nicht okay waren", klagte Teamchef Andreas Seidl später. "Wenn der Rennleiter denkt, dass keine Untersuchung notwendig ist, weil es alle machen - etwas, dem ich ganz und gar nicht zustimme - dann musst du Michael Masi fragen, was er denn eigentlich will."
Sicherheitsfragen in der Formel 1 nach Baku
Der Austausch mit McLaren, der dank des neuen F1-Features, mit dem auch Funknachrichten für die Rennleitung an die TV-Zuseher übermittelt werden, für alle öffentlich zu hören war, macht die Sicherheitsfrage paradox. Masi räumte hier ein, dass die Fahrer sich bei Doppelgelb nicht angemessen verhielten und eigentlich bestraft werden sollten - und doch entschied die Rennleitung zweimal, das Rennen unter Doppelgelb weiterlaufen zu lassen, anstatt sofort mit einem Safety Car oder zumindest einem Virtuellen Safety Car zu unterbrechen, und die Gelbverstöße nicht einmal an die Stewards zur Begutachtung weiterzuleiten.
Aber Doppelgelb wird ohnehin schon lange nicht mehr im Sinne der FIA-Richtlinie behandelt. Wenn, dann sieht man Strafen für Verstöße im Qualifying, wenn es darum geht, ob ein Fahrer unter Doppelgelb seine Zeit verbessert hat. Fast niemand verlangsamt stark, und ist kaum bereit zu stoppen. Im Rennen ist die Angst vor Zeitverlust erst recht zu groß, und geahndet wird dieses Herangehen nie.
Bei McLaren ist man besonders irritiert, weil man in einer anderen Sicherheitsfrage im Qualifying bestraft wurde. Als Lando Norris kurz vor der Boxeneinfahrt die rote Flagge gezeigt bekam und aus Unsicherheit lieber auf der Strecke blieb und in langsamer Fahrt zurück an die Box kam, ging das an die Stewards. Die straften ihn mit Strafplätzen, aber vor allem auch drei Strafpunkten ab.
Für McLaren war das unverständlich, hatte Norris doch beim Team nachgefragt und nicht rechtzeitig eine Antwort erhalten. Es hätte ja zum Beispiel die Boxeneinfahrt blockiert sein können, rechtfertigte man sein Verhalten später. Noch schlimmer erwischte es Nicholas Latifi, der im Rennen nach einem Kommunikationsfehler unter Safety Car auf der Strecke blieb, als alle hätten durch die Box fahren müssen. Die Schuld lag eindeutig beim Team - trotzdem bekam Latifi drei Strafpunkte.
Das kommt auf einen anwachsenden Haufen weiterer Probleme. Unabhängig von der Frage, wie es zu den Reifenschäden hatte kommen können. So gab es Verwirrung beim ersten Safety Car - Streckenposten rund um den Kurs hielten schon Safety-Car-Schilder auf die Strecke, als noch keine offizielle Meldung von der Rennleitung gekommen war. Das verwirrte viele Fahrer, denn ein Safety Car wird über das elektronische Marshalling-System der FIA auch direkt im Cockpit sowie auf Leuchtpaneelen an der Strecke gezeigt. Diese gingen aber erst gute zehn Sekunden später in Betrieb. Auch diese Diskrepanz gilt es zu klären.
Kritik an Formel-1-Rennleitung nimmt 2021 zu
Die Rennleitung der Formel 1 hat im Jahr 2021 einen schweren Stand. Die Baku-Zwischenfälle waren nicht die ersten Entscheidungen, die hinterfragt wurden. Die Track-Limit-Debatte dürfte nach zwei Stadtkursen wohl beim nächsten Rennen in Frankreich ihr Comeback geben - Konstanz und Nachvollziehbarkeit stehen hier im Fokus.
In Imola sorgte auch der Neustart des Rennens nach der roten Flagge für Verwirrung - die Rennleitung teilte den Teams erst beim Verlassen der Boxengasse mit, dass der Start fliegend und nicht stehend erfolgen würde. Immerhin diese Frage stellte sich in Baku nicht: Hier wurde zeitnah vor dem Neustart übermittelt, dass stehend losgefahren werden würde.
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