Das Tischtuch zwischen Valtteri Bottas und George Russell scheint nach dem Großen Preis der Emilia Romagna 2021 zerschnitten. Gegen Rennmitte des Formel-1-Rennens in Imola waren der Mercedes-Pilot und der Mercedes-Junior in Williams-Diensten nicht nur kollidiert, sondern hatten sich unmittelbar danach erst einen Austausch von vielsagenden Gesten geliefert, ehe es auch verbal zur Sache ging.

Bottas zeigte dem Briten mitunter den Mittelfinger und sah die Schuld für den Unfall, der die Rennen beider Piloten sofort beendete, eindeutig bei Russell. Der Brite wiederum gab an, Bottas habe gegen ein Abkommen unter den Fahrern verstoßen, sich bei derart großen Geschwindigkeitsunterschieden nicht zu wehren (Russell kam mit großem Überschuss), dem Finnen fehle es an Respekt für die Gefahren und den Speed eines F1-Boliden. Damit nicht genug. Russell brachte auch eine persönliche Dimension ins Spiel.

Russell unterstellt: Bottas wegen Mercedes-Rivalität so aggressiv

So unterstellte der Mercedes-Nachwuchsfahrer dem Stammpiloten, Bottas hätte sich bei keinem anderen Fahrer ähnlich aggressiv verhalten. Noch dazu müsse Bottas eigentlich ohnehin ganz woanders fahren, dürfte im Mercedes gar nicht erst in einer Situation sein, mit einem Williams um P9 zu kämpfen. Besondere Brisanz steckt in diesen Aussagen, weil Russell und Bottas sich in einer direkten Konkurrenzsituation befinden. Beide wollen 2022 ein Cockpit bei Mercedes.

Bottas selbst konnte diese Behauptung des Briten zunächst nicht parieren. Immerhin hatte er seine Interviews da bereits selbst erledigt - bis auf einen letzten Termin. Am Abend stand in Imola noch die virtuelle Runde für Printmedien mit dem Finnen an. Dort wurde Bottas nun doch noch den Unterstellungen Russells konfrontiert - und reagierte alles andere als deeskalierend.

Bottas fassungslos: Habe meine Alufolie verloren ...

„Sorry, ich habe meine Alufolie irgendwo verloren. Das ist ein ganz schöne Theorie“, konterte der Finne und stellte Russell so als paranoiden Verschwörungstheoretiker dar. Genau dafür steht der hier eindeutig mitschwingende abwertende Begriff des Aluhutträgers. „Ich werde mich immer gegen jeden Fahrer verteidigen. Ich will keine Positionen verlieren und Sie wissen, dass das normal verteidigt war. Ich hätte viel aggressiver sein können, wenn ich gewollt hätte“, sagte Bottas.

Tatsächlich - die Regeln brach Bottas nie, wechselte nicht einmal seine Linie. Einzig, weil die Strecke vor der Unfallstelle vor der Tamburello einen Linksknick macht, wurde es rechts außen so für Russell eng. Mindestens eine Fahrzeugbreite blieb dem Briten allerdings immer. Deshalb erteilten die Stewards auch keine Strafe. Nicht einmal Russell warf Bottas das vor, der Brite verwies schlicht auf das Gentlemens Agreement unter den Fahrern und packte Bottas bei der Ehre. Vergleiche mit Max Verstappen anno 2015, wie Russell sie auch anstellte, seien unangemessen, so Bottas.

Bottas widerspricht Russell: Abkommen eingehalten

„Das sehe ich überhaupt nicht so. Ich habe ja keine plötzliche Bewegung gemacht, das sieht man auch in seiner Onboard eindeutig. Von meiner Seite aus war es sauber. Ich habe mich natürlich verteidigt, ich mache ihm keinen Platz, aber wenn ich Rennen fahre, habe ich Respekt, das sehe ich anders als er“, sagte Bottas.

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„Ich ziehe mein Ding durch, egal gegen wen ich mich da verteidigt hätte, es wäre immer genauso gewesen“, betonte Bottas nochmals. Russell sei schlicht unvorsichtig gewesen. „Natürlich wusste er ganz genau, dass es dort feucht sein würde, denn wir sind da ja Runde um Runde vorbeigefahren. Ich wusste auch, dass es bei diesen Bedingungen auf Slicks kein Ort ist, auf den du fahren kannst, aber er hat es trotzdem gemacht“, sagte Bottas. „Es war seine Entscheidung, dort hinzufahren. Ich habe nur meinen Job gemacht, indem ich versuchte, mich zu verteidigen. Ich fahre da ja nicht weg und biete ihm den trockenen Teil der Strecke an!“

Bottas kontert: Russell war unvorsichtig

Bottas weiter: „Ich wusste, dass es dort knifflig sein würde, zu überholen, also habe ich versucht, dass ich nicht Platz für ihn mache, aber habe gleichzeitig sichergestellt, dass ich mindestens eine Autobreite Platz lasse, wie es die Regeln bestimmen. Er hat es versucht, verloren und mich getroffen und dann war Game Over.“

Auch den Vorwurf Russells, Bottas hätte sich als Mercedes-Fahrer niemals derart weit hinten befinden dürfen, dass es zu einem Duell mit Williams komme, entkräftete der Finne zumindest etwas. „Ich glaube, er hatte zwei Runden früher gestoppt [Fakt, Anm. d. Redaktion], deshalb waren seine Reifen bereits warm und ich habe noch mit dem Aufwärmen gekämpft“, erklärte Bottas.

Toto Wolff kritisiert nur Russell, nicht Bottas

Gut für den Finnen: Nicht nur die Stewards urteilten auf Rennunfall, auch Mercedes-Motorsportchef Toto Wolff sieht offenkundig eher Russell in der Verantwortung. Eine klare Schuldzuweisung äußerte der Wiener zwar nicht direkt, bekundete allerdings eindeutig seinen Unmut gegenüber Russell, nicht gegenüber Bottas. Der Brite hätte das größere Bild nicht vergessen dürfen, kritisierte Wolff seinen Nachwuchsfahrer. Immerhin habe er einen Mercedes überholt. Noch dazu habe Russell das Team womöglich ein Upgrade gekostet. Das fressen in Zeiten des Budgetcaps nun womöglich die nötigen Neufertigungen der zerstörten Teile auf.

Bottas wollte sich dazu nicht wirklich äußern. Er habe zwar schon ein Gespräch mit Wolff geführt, wolle allerdings nichts zu den privaten Diskussionen sagen. Nur ein entscheidender Satz entglitt dem Finnen: „Insgesamt denke ich, dass definitiv nicht ich derjenige bin, der für den Crash beschuldigt wird.“

Bottas will Antworten: Warum überhaupt so langsam?

Fast noch mehr interessiert Bottas, warum er überhaupt derart schlecht unterwegs war. „Ich hatte ziemlich mit den Intermediates zu kämpfen und steckte in dieser Phase die ganze Zeit hinter Lance [Stroll]“, grübelte Bottas. Der Finne hatte schon zuvor im Qualifying die Reifen nicht ins Arbeitsfenster gebracht, qualifizierte sich so nur auf P8.

Wie es nun weitergeht, insbesondere mit Russell? Nicht großartig anders, schätzt Bottas. „Ehrlich gesagt habe ich nie sonderlich eng mit ihm gearbeitet. Natürlich ist er schon eine Weile hier, denn er war Reservefahre und hat ein paar Tests und Simulatorarbeit für das Team verrichtet. Ein bisschen kenne ich ihn also“, sagte Bottas. „Aber Probleme gab es nie.“

Bei seinem ersten und einzigen Einsatz für Mercedes war Russell sofort schneller als Bottas, Foto: LAT Images
Bei seinem ersten und einzigen Einsatz für Mercedes war Russell sofort schneller als Bottas, Foto: LAT Images

Auch nach Bahrain 2020 hätte sich da nichts verändert - dort hatte Russell den Finnen gleich bei seinem ersten Einsatz für Mercedes als Ersatz für den an Covid-19 erkrankten Lewis Hamilton alt aussehen lassen. „Ich war natürlich nicht happy, wie es ausging, aber ich bin ein umgänglicher Kerl, deshalb gibt es keine Probleme.“ Aber: „Befreundet bin ich nicht mit ihm, wie ich es aber auch nicht über die meisten anderen Fahrer behaupten kann.“ Ein Thema sei das jedenfalls nicht. „Heute war es aber nicht ideal, einen vielleicht guten Batzen Punkte zu verlieren. Und es war sein Fehler.“