"Mein Vater hat mir gelehrt, Ergebnisse sprechen zu lassen. Ich habe nicht viel zu sagen." Lewis Hamilton eröffnete die Pressekonferenz nach dem Türkei GP mit einem Statement. Das wahre Statement hatte der Mercedes-Pilot aber zuvor auf der Strecke gegeben.
Es war nicht der siebte WM-Titel, den Hamilton unmittelbar zuvor in trockene Tücher gebracht hatte, der die Kritiker verstummen ließ. Sieben Weltmeistertitel in der Formel 1 - das hat vor ihm nur Michael Schumacher geschafft.
Nicht das Einstellen des nächsten großen Schumacher-Rekords schrieb die Geschichte an diesem Sonntagnachmittag in Istanbul, es war die Art und Weise, wie Hamilton den Sack zu machte. Dem 35-Jährigen hätte es gereicht, nicht mehr als sieben Punkte auf Teamkollege Valtteri Bottas zu verlieren, um drei Rennen vor Ende der Formel-1-Saison 2020 den Titel zu gewinnen.
Sebastian Vettel adelt Hamilton: War nicht sein Sieg
Statt weniger als acht Punkte auf Bottas zu verlieren, baute er den Vorsprung um 25 Zähler aus. Hamilton siegte in der Türkei, Hamilton gewann ein Rennen, "das nicht für ihn bestimmt war, zu gewinnen", wie sein langjähriger Titelkonkurrent Sebastian Vettel später feststellte.
Mercedes war auf dem Istanbul Park Circuit schon am Trainingsfreitag chancenlos. Da bot die Strecke aufgrund des neuen Asphalts kaum Grip, aber noch immer deutlich mehr als am Samstag, als der große Regen kam. Hamilton und Mercedes betrieben Schadenbegrenzung, mit fünf Sekunden Rückstand blieb dem Briten nur Rang sechs.
Der Mercedes F1 W11, das überlegene Auto der Formel-1-Saison 2020, bekam die Reifen schlichtweg nicht ins Arbeitsfenster. Auch am Rennsonntag sollte Regen für eine wahre Rutschpartie sorgen, doch aus fünf Sekunden Rückstand pro Runde machte Hamilton plötzlich eine halbe Minute Vorsprung im Ziel.
Dabei sah es lange nicht unbedingt nach Sieg Nummer 94 für Hamilton aus. Nach einem guten Start schien ihn die Realität schnell wieder einzuholen. Ein kleiner Fehler warf ihn sofort wieder hinter Sebastian Vettel und die beiden Red Bulls zurück.
Vettel-Stopp bringt Hamilton in Schwung
Auch als das gesamte Feld von Regenreifen auf Intermediates wechselte, hatte Hamilton mit seinem Arbeitsgefährt zu kämpfen und bestach nicht unbedingt mit Pace. Während Teamkollege Valtteri Bottas aber im Minutentakt von der Strecke kreiselte, konnte Hamilton den Silberpfeil immerhin auf der Strecke halten.
Erst in Runde 33 nahm das Rennen von Auto Nummer 44 Fahrt auf. Bis dahin war Hamilton hinter Vettel auf Rang fünf festgesteckt. "Ich sah die anderen vorne davonfahren und habe den Sieg entgleiten sehen", so Hamilton. Als Vettel in die Box kam, um sich frische Intermediates zu holen, schlug Hamiltons Stunde.
Während immer mehr Piloten neue Reifen aufzogen, blieb Hamilton draußen. "Ich habe mir gedacht: No way, dass ihr mich jetzt reinholt! Diese Reifen sind noch nicht hinüber. Und die Strecke war auch nicht so, dass sie komplett abtrocknen würde. Ich habe hier meine ganze Erfahrung ausgespielt und all mein Wissen angewandt", erklärt der 35-Jährige seine Entscheidung.
Eine Entscheidung, die sich auszahlen sollte. Nicht nur, dass die Konkurrenz viel Zeit beim Boxenstopp verlor, Hamilton konnte die alten Reifen in freier Fahrt erst richtig nutzen: "Ich hatte zuvor schon Graining und habe auch Zeit auf Sebastian verloren. Aber dann ging das Graining weg und der Grip kam zurück."
Hamilton überholet Perez und siegt
"Als die Reifen immer mehr zu Slicks wurden, war es genau das, was man gebraucht hat", erklärt Hamilton. "Dieser Intermediate hält die Temperatur. Mit Slicks wäre das nicht gegangen. Es war die beste Entscheidung, draußen zu bleiben." An der Spitze entschied sich einzig und allein Sergio Perez für dieselbe Strategie.
Allerdings hatte der Racing-Point-Pilot größere Probleme mit den alten Pneus und Hamilton konnte ihn auf der Strecke überholen. Als sein Vorsprung schließlich größer und größer wurde, überlegte Mercedes, einen Sicherheits-Stopp einzulegen. Schließlich war für die letzte Runde noch ein Regenschauer vorhergesagt. Auf den abgefahrenen Intermediates fürchtete man einen Abflug.
Doch Hamilton entschied sich gegen den Stopp. "In der Boxeneinfahrt war es noch nass. Und ich habe schon eine Weltmeisterschaft in der Boxengasse verloren", so Hamilton. 2007 flog er beim China GP in Shanghai mit abgefahrenen Intermediates in der Boxeneinfahrt ab und blieb im Kies stecken. Es war das vorletzte Rennen der Saison, Hamilton hatte - bei altem Punktesystem - 17 Punkte Vorsprung auf Kimi Räikkönen. Am Ende verlor er die WM noch.
"Ich habe meine Lehren aus 2007 gezogen", merkt Hamilton an. "Ich hatte es unter Kontrolle. Ich bin stolz auf das Rennen heute. All die Dinge, die ich über die Jahre gelernt habe, konnte ich heute anwenden. Ich habe an 2007 gedacht, aber auch an Monaco 2008." Damals holte sich Hamilton den Sieg auf abtrocknender Strecke.
"Je älter ich werde, desto besser ist mein Bauchgefühl. Das erste Gefühl, das ich habe, ist meist richtig. Auch das habe ich gelernt. 2007 als Rookie war ich sehr talentiert, aber ich hatte nicht das Wissen und die Erfahrung, das Team zu führen und ihnen zu sagen, was ich will", erinnert sich der heutige Formel-1-Rekordweltmeister.
Sein Rezept beim Türkei GP: "Ich habe versucht, die Reifen in Hochgeschwindigkeitspassagen zu schonen. Aber gleichzeitig muss man die Temperatur darin halten. Dabei geht es um Bremsbalance, den Kurvenausgang, die Linie an nassen Stellen, …"
Hamilton will Kritiker ruhigstellen: Verdiene meinen Respekt
Hamiltons 94. Sieg war zugleich einer seiner eindrucksvollsten. Ob er damit die Kritiker verstummen lässt? Die werfen ihm noch immer vor, nur aufgrund des starken Mercedes solche Erfolge einzufahren. "Ich will mehr von diesen Wochenenden! Öfter diese schwierigen Bedingungen! Je öfter ich diese Möglichkeit habe, desto mehr kann ich zeigen, was ich kann", so Hamilton.
Der erfolgreichste Formel-1-Pilot der Geschichte weiter: "Heute konnte man das hoffentlich sehen. Ich glaube, ich verdiene meinen Respekt. Ohne diese tolle Gruppe an Leuten, die hinter mir steht und ohne dieses Auto hätte ich das nicht geschafft. Aber es gibt auch noch einen anderen tollen Fahrer, der das gleiche Auto hat. Aber ich bin da ins Ziel gekommen, wo ich ins Ziel gekommen bin." Bottas, der andere tolle Fahrer, von dem Hamilton spricht, wurde auf P14 überrundet.
"Ich nehme diese interessanten Kommentare von ehemaligen Fahrern zur Kenntnis", verspricht Hamilton. "Ich verspreche euch - und ich hoffe, dass ich mein Wort halte: Wenn ich in 10 oder 20 Jahren aufgehört habe, will ich die Youngster mit offenen Armen begrüßen, ich will sie ermutigen. Aber natürlich brauchst du ein gutes Team und ein großartiges Auto. Noch nie hat ein Fahrer ohne das eine Meisterschaft gewonnen. Das gilt schon beim Kartfahren."
"Natürlich brauchst du das richtige Equipment, das wird in diesem Sport immer so sein. Aber dann kommt es auch darauf an, was du damit machst. Das zählt auch. Und ich hoffe, dass konnte man heute sehen", so Hamilton.
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