Was für eine Rückkehr in die Formel 1. Nachdem Nico Hülkenberg bereits in Silverstone als Edelreservist für den an Corona erkrankten Sergio Perez überzeugt hatte, lieferte der Emmericher bei seinem zweiten unverhofften Kurz-Comeback in der F1-Saison 2020 eine mindestens genauso beeindruckende Vorstellung. Vom letzten Startplatz katapultierte sich Hülkenberg im Formel-1-Rennen auf dem heimischen Nürburgring bis auf Platz acht in die Punkteränge.

Noch spontaner - oder wilder, so formulierte es Hülkenberg am Samstag selbst - lief der zweite Einsatz des Deutschen, jetzt sogar bei seinem Heimrennen in der Eifel. Erst kurz vor dem Qualifying, erfuhr Hülkenberg, dass er erneut im RP20 ran durfte, diesmal für den an einer Magenverstimmung leidenden Lance Stroll. Ein „Kaltstart aus der kalten Hose“, sagte der 33-Jährige.

Hülkenberg ging ohne große Erwartung ins Rennen

Platz 20 im Qualifying, so ganz ohne Training, kam deshalb nicht überraschend. Nur zehn Runden - inklusive In- und Outlaps, exklusive Sichtungsrunden vor dem Rennen - hatte Hülkenberg vor dem Start absolviert. Im Renntrimm jedoch fand sich der Deutsche vor Heimpublikum schnell zurecht.

„Das Rennen hat Spaß gemacht. Es fiel schwer, mit so wenig Vorbereitung viel von diesem Rennen zu erwarten. Die anderen sind voll in der Saison, voll in ihrem Auto. Ich wurde hingegen wurde ins Eiswasser geworfen und habe versucht zu schwimmen und irgendwie zu überleben. Ich bin erleichtert, dass ich so eine Performance geschafft habe“, freute sich Hülkenberg nach dem Rennen.

Nicht so schlecht für einen Halbtagsarbeiter, oder?!

„Nicht so schlecht für einen Halbtagsarbeiter, oder?! Ich bin einfach nur durchgefahren und habe einfach versucht, die Karre auf dem Schwarzen zu halten. Ich bin mit allem sehr zufrieden.“

Das gelte selbst für den Start. „Der war zwar nicht toll, aber das hatte ich schon irgendwie erwartet“, sagte Hülkenberg angesichts mangelnder Praxis. „Aber in Runde eins habe ich es geschafft, dann zwei Stellen zu finden, glaube ich.“ Tatsächlich waren es drei. Aus der ersten Runde kam Hülkenberg bereits auf P17 zurück.

Nürburgring: Hülkenberg marschiert durchs Feld

Von da an ging es weiter nur noch in eine Richtung: nach vorne. Geschuldet war das auch der Strategie. Racing Point ließ Hülkenberg einen besonders langen ersten Stint auf dem Soft-Reifen fahren. Erst in Runde 29 bog der Emmericher, bereits auf P9, zum einzigen geplanten Boxenstopp ab. Der zweite Service erfolgte in Runde 44 - wie bei vielen anderen auch - unter Safety-Car-Bedingungen.

Formel 1, Nürburgring: Hülkenberg lässt Vettel alt aussehen! (09:54 Min.)

Zurückgefallen auf Platz 14 überholte Hülkenberg rasch Latifi, gewann zwei Runden später die nächste Position durch einen Boxenstopp Kevin Magnussens. Genauso ging es kurz darauf an Antonio Giovinazzi vorbei. Kimi Räikkönen überholte Hülkenberg direkt, lag damit ab Runde 39 wieder in den Punkten und steckte direkt im Getriebe des Ferrari von Sebastian Vettel. Ehe der eine Deutsche den anderen kassiert hatte, bog der Heppenheimer an die Box ab. Hülkenberg war Neunter. Den achten Rang gewann er letztlich durch den Ausfall Lando Norris’.

Hülkenberg groovt sich ein: Langer Stint der Schlüssel

„Es hat natürlich auch geholfen, dass einige ausgefallen sind, aber es war noch immer eine ordentliche Fahrt“, kommentierte Hülkenberg die insgesamt fünf Ausfälle auf dem Nürburgring. „Ich habe mich einfach nur auf mich selbst konzentriert und versucht, mich einzugrooven, einen guten Rhythmus im Auto zu finden und am Limit zu sein, was zur Hälfte des ersten Stints soweit war.“ Dann habe er begonnen, die Reifen zu managen. „Ich denke, der damit lange erste Stint war der Schlüssel für das erfolgreiche Ergebnis.“

Nach der Safety-Car-Phase deutete sich zunächst ein sogar noch besseres Resultat an. Hülkenberg setzte auch den zweiten Ferrari unter Druck. Zu einem Angriff auf Charles Leclerc kam es jedoch nicht - weil Hülkenberg der inzwischen selten gewordenen Belastung Formel-1-Auto Tribut zu zollen begann. „Nach der Hälfte des Rennens ist mir der Nacken ein bisschen eingebrochen und es wurde echt anstrengend und zäh“, berichtete Hülkenberg.

Hülkenberg stoppt Schlussattacke: Körper machte nicht mit

„Nach dem Safety Car war es dann richtig hart, weil ich dachte, jetzt krieg’ ich auch noch Feuer von hinten. Aber es hat irgendwie alles geklappt, ich hatte neue Reifen“, schilderte der Emmericher. Sogar nach vorne orientieren konnte sich Hülkenberg deshalb, wegen des angeschlagenen Nackens entschied er sich jedoch zur Vernunft. „Das hatte einfach physische Gründe“, erklärte Hülkenberg die abgebrochene Schlussoffensive.

„Das hat nicht gehalten und gereicht. Wenn man dann im Windschatten ist, mit DRS und so weiter und den ganzen Bodenwellen auf der Strecke hier, dann sind es einfach so viele Turbulenzen. Ich war körperlich ein bisschen bei muss ich sagen. Deshalb hab’ ich gedacht, bring’ lieber das Ding nach Hause. Lieber nen sicheren Achten als irgendwas zu riskieren!“

Hülkenberg holt in zwei Rennen mehr Punkte als Vettel in acht

Genug, um Racing Point gemeinsam mit Sergio Perez’ zwölf Punkten für Rang vier auf Platz drei der Teamwertung zu katapultieren, war der achte Rang ohnehin. Mit 120 WM-Zählern rangiert das Team nun vor McLaren mit 116 und Renault mit 114. „Sie haben mir am Funk gesagt, dass Racing Point jetzt Dritter in der WM ist, das ist natürlich klasse für sie. Ich bin happy, dass ich dazu ein kleines Bisschen beitragen konnte.“

Für sich selbst freute sich Hülkenberg genauso. „Ich bin natürlich mega happy, was für eine Story“, jubelte der von den internationalen Fans offiziell zum ‚Driver of the Day’ gewählte Emmericher. In der WM-Wertung verbesserte sich Hülkenberg mit seinem zweiten echten Einsatz des Jahres - das erste Rennen in Silverstone nahm der Emmericher durch einen technischen Defekt vor dem Start nicht auf - zwar um keine Position und blieb weiter auf P15, liegt damit nach Punkten allerdings nur noch sieben Zähler hinter Landsmann Vettel. Allein mit seinen beiden Auftritten erzielte Hülkenberg mehr Punkte als der Ferrari-Pilot in den letzten acht Rennen insgesamt.

Hülkenberg arbeitet weiter an Formel-1-Comeback in Vollzeit

Weniger damit, mehr mit seinen starken Leistungen als solche betreibt Hülkenberg auch Werbung für sich selbst. Noch immer steht ein Comeback in Vollzeit, zur kommenden Formel-1-Saison 2021, im Raum. Etwa bei Haas oder Alfa Romeo. „Eile habe ich da nicht. Ich schaue mich um. Aber gut Ding will Weile haben“, sagte Hülkenberg dazu. „Seit Silverstone hat sich auch nichts Dramatisches verändert. Es ist ein Prozess. Aber die Leute sehen, dass ich noch da bin …“

Racing-Point Otmar Szafnauer rührte die Werbetrommel mit einem Extralob gleich mit. „Nico hat es voll und ganz verdient, zum Fahrer des Tages gewählt zu werden. Er stand vor einer unlösbaren Aufgabe - mit nur zehn Runden im Auto vor dem Rennen. Da Achter zu werden ist eine herausragende Leistung! Wir danken ihm, dass er für Lance eingesprungen ist.“ Dem Kanadier soll es inzwischen besser gehen. Stroll befindet sich aktuell Zuhause und arbeitet an seiner Rückkehr beim Portugal GP in Portimao in zwei Wochen.