Ist das der lang ersehnte (und ursprünglich angekündigte) Durchbruch? Zumindest zum Team der Stunde schlechthin hat sich Renault in der Formel-1-Saison 2020 zuletzt ganz klar gemausert. 63 Punkte erzielten Daniel Ricciardo und Esteban Ocon in den vergangenen vier F1-Rennen für die Franzosen. Eine bessere Ausbeute gelang einzig und allein Mercedes. Selbst Red Bull sammelte sechs Punkte weniger als der einstige Motorenpartner.

Formel 1: Bereut Ricciardo den Wechsel von Renault zu McLaren?: (14:42 Min.)

In die Riege der Top-Teams aufgestiegen - und damit aus eigener Kraft in Reichweite des Podiums gelangt - ist Renault deshalb noch nicht. „Ich will nicht pessimistisch sein, aber noch sind wir mit der Pace nicht ganz da. Bei Mercedes definitiv nicht und Max fährt auch sehr gut, er fühlt sich mit seinem Auto sehr wohl“, sagt Ricciardo. „Deshalb brauchen wir ein Zuverlässigkeitsproblem bei ihnen - oder ein Debakel in Runde eins.“

Daniel Ricciardo: Das fehlt für Formel-1-Podium 2020

Ersteres sei ihm lieber. „Ich wünsche niemandem einen Crash“, sagt der Australier. „Wenn einer von ihnen aber mal ein Problem haben will, wenn ich mal auf P4 liege, dann wäre das cool. Die Realität ist aber, dass wir das viertschnellste Auto auf der Strecke haben können, wenn wir in Bestform sind.“

Demzufolge scheint die Truppe aus Enstone nun immerhin auf der Pole Position zu stehen, wenn es darum geht, welches Team sich womöglich vom eng umkämpften Mittelfeld der Formel 1 zu emanzipieren vermag. So sieht es etwa Ross Brawn. „Wenn sie noch etwas Speed finden und ihre Konstanz halten, dann dauert es nicht mehr lang, bis sie im Mittelfeld die Besten sind - was gerade Ferrari einschließt“, schreibt der Sportchef der Formel 1 in seiner aktuellen Kolumne. Davon sei er beeindruckt.

Renault übertrumpft McLaren & Racing Point

Zumindest auf dem Papier übertrumpfte Renault seine direkte Konkurrenz zuletzt deutlich. Seit Beginn eines großen Aufschwungs ab dem Belgien GP erbeuteten Ricciardo und Ocon 22 Punkte mehr als Racing Point und 19 mehr als McLaren - obwohl diese beiden Teams neben AlphaTauri zu den großen Gewinnern des Ausreißer-Wochenendes in Monza zählten.

Damit trennen die Franzosen im WM-Stand nur noch sieben Punkte vom dritten Rang der Konstrukteure. Dort rangiert mit 106 Punkten aktuell McLaren vor Racing Point (104; Achtung, inkl. 15 Punkten Abzug wegen illegaler Bremsbelüftungen) und Renault (99). Nach den ersten beiden Tripleheadern des Jahres sah das noch gänzlich anders aus. Mit nur 36 WM-Zählern lag Renault als Gesamtsechster deutlich zurück. 27 Punkte fehlten auf Racing Point, 26 auf McLaren und selbst Ferrari war um deren 25 enteilt.

Während gerade bei Scuderia seitdem so gut wie Stillstand herrschte - nur 13 Punkte in vier Rennen - zeigte die Tendenz bei Renault steil nach oben. Aber warum? Wie gelang der Aufschwung? „Bei den Testfahrten war das Auto schon etwas besser als erwartet, aber wir sind nicht mit großem Selbstvertrauen aus Barcelona abgereist“, erinnert sich Ricciardo. „Die Updates, die wir beim ersten Rennen in Österreich gebracht haben, waren dann aber ein echter Schritt“, erklärt der Australier.

Formel 1 WM-Stand 2020: Das Rennen hinter Mercedes & Red Bull

WM-PositionTeamPunkte
3McLaren 106
4Racing Point 104*
5Renault 99
6Ferrari 74

*15 Punkte Abzug für Racing Point beim Steiermark GP wegen illegaler Bremsbelüftung

Formel 1 2020: Renault-Updates gut, Verständnis spät

Auf der Strecke spiegelte sich das allerdings nicht aus dem Stand in guten Resultaten. Mehr als dreimal vier Punkte in Serie brachte Renault beim ersten Tripleheader nicht zustande. Der Grund: Renault benötigte eine gewisse Zeit, um nicht nur die Neuerungen, sondern den R.S.20 als Gesamtpaket vollumfänglich zu verstehen. „Wir haben uns dieses Jahr konstant verbessert, das fühlt sich echt klasse an. Wir haben neue Teile gebracht und vielleicht nicht immer sofort das Beste damit herausgeholt, aber wir haben es von Rennen zu Rennen besser verstanden. Das war der Schlüssel“, analysiert Esteban Ocon.

Dass zuletzt schlicht die Strecken sehr gut zu den Stärken Renaults gepasst hätten, denken weder Ricciardo und Ocon. Spa, Monza und Russland seien den Franzosen mit ihren Highspeed-Layouts zwar entgegengekommen, allerdings ist das Duo nun überzeugt, Renault sei nun endlich der Durchbruch gelungen und könne überall auftrumpfen - auch auf Strecken wie den Kursen in Ungarn und Spanien. Dort ging Renault in letzterem Fall leer aus, erzielte in ersterem zum vierten Mal binnen fünf Rennen nicht mehr als vier Punkte.

„Über die letzten Rennen hinweg haben wir ein gutes Verständnis dafür entwickelt, wie wir das Auto in Sachen Setup einstellen müssen und haben uns damit verbessert. Wir hatten auch ein paar kleinere Updates, die unserer Performance geholfen haben“, erklärt Ocon diese Zuversicht.

Esteban Ocon: Renault jetzt auch auf schwachen Strecken besser

„Wenn wir jetzt nach Budapest oder Barcelona zurückkommen würden, dann würden wir uns vielleicht nicht auf Platz fünf qualifizieren, aber ich denke, die Dinge würden dann anders laufen. Ich bin ziemlich sicher, dass wir sehr viel besser sein würden. Wir könnten mit dem Verständnis, das wir jetzt haben, mehr aus dem Auto herausholen und würden uns sehr viel wohler fühlen“, sagt Ocon.

Ricciardo stimmt zu. „Nach diesem Wochenende [Russland] bin ich zuversichtlicher, wenn ich nach vorne blicke. Nico [Hülkenberg] war hier letztes Jahr zwar stark, aber insgesamt war das hier nie unsere stärkste Strecke. Auch persönlich nicht für mich“, sagt der ‚Honeybadger’. „Hier ein gutes Resultat zu holen, und vom ersten Training an auch das Auto dazu zu haben, sagt viel. Das gibt mir Zuversicht für jede Strecke, auf der wir jetzt noch fahren.“

Ricciardo verlässt Renault im Aufschwung - aber keine Reue

Eine Garantie für die Top-5 könne er zwar nicht erteilen. „Aber es ist auf jeden Fall immer realistisch, dass wir das Q3 anpeilen können. Ganz egal, welches Layout“, sagt Ricciardo. Die Tendenz stimmt also bei den Franzosen, erstmals seit langer Zeit sieht die Zukunft für das Team aus Enstone nicht mehr ganz so trüb aus, wie in nahezu allen Jahren des zähen Voranschreitens seit dem Comeback als Werksteam zur Saison 2016.

Ricciardo allerdings wird davon nicht mehr großartig zehren. Für 2021 hat der Australier bei McLaren unterschrieben, dem Team der Stunde des Vorjahres und des Saisonstarts 2020. Bei Renault übernimmt Fernando Alonso. Bereut Ricciardo seine Entscheidung bereits? Der 31-Jährige winkt ab. „Nein. Es soll jetzt keine Respektlosigkeit gegenüber Renault sein, aber ich bereue es nicht“, sagt Ricciardo. „Bin ich happy, dass wir Fortschritte machen? Absolut! Wenn das heißt, dass wir nächstes Jahr bei McLaren Renault als Konkurrenten haben, der uns dort nur noch mehr antreibt, dann ist das doch gut für alle!“

Noch dazu lebt der siebenfache Rennsieger in der Formel 1 im Hier und Heute, will 2020 noch sei einige Erfolge mitnehmen. „Ich bereue es nicht, aber ich bin auch nicht unzufrieden mit dem Fortschritt hier. Ich will an der Spitze fahren. Jedes Rennen in der F1 ist so wichtig. Ich freue mich über jede Chance, die ich dazu bekomme. Je früher, desto besser“, sagt Ricciardo.

Formel 1: Bereut Ricciardo den Wechsel von Renault zu McLaren?: (14:42 Min.)

Renault sieht das offenbar genauso. Schlechter behandelt fühlt sich Ricciardo jedenfalls nicht. Das in der Formel 1 übliche Versteckspiel gegenüber Fahrern, die ein Team verlassen - zuletzt bei Racing Point von Sergio Perez scharf kritisiert -, sei seitens Renault nicht eingetreten.

„Ich bin froh, dass wir vorankommen und fühle mich als Teil davon. Das ist auch für mich und meine Entwicklung als Fahrer wichtig. Das Team lässt mich in keiner Weise außen vor“, berichtet Ricciardo. „Ich bin im Simulator und alles. Es ist echt gut, mit ihnen zu arbeiten. Aber natürlich ist es für ein paar Leute im bittersüß, dass ich nächstes Jahr nicht mehr hier bin.“

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