Wenn in der Formel 1 die Fabriken wegen des vorgezogenen Shutdown aktuell ruhen müssen, dann bezieht sich das einzig und allein auf die F1-Projekte selbst. In Großbritannien geht die Arbeit dennoch weiter - mit Tätigkeiten, die unmittelbar mit dem Grund für die gegenwärtig ruhige Lage der Königsklasse zusammenhängen.

Unter dem Dachnamen 'Project Pitlane' haben sich die sieben in England ansässigen Formel-1-Teams Mercedes, Red Bull, Racing Point, Haas, McLaren, Renault und Williams sowie deren Technologie-Zweige zusammengeschlossen, um gemeinsam gegen das Coronavirus zu kämpfen, respektive die britische Regierung dabei zu unterstützen. Die hatte die Unternehmen des Vereinigten Königreichs dazu aufgerufen, zu helfen - etwa mit technischen Maßnahmen und Know-How.

Formel 1: Ingenieure tüfteln an Atemhilfe

Ein ideales Szenario also für die Kernkompetenzen der Formel-1-Ingenieure: schnelles Design, die Herstellung von Prototypen, das Testen und die fachgerechte Montage. Die F1 besitzt die einzigartige Fähigkeit, auf technologische Herausforderungen schnell zu reagieren und ermöglicht es der Gruppe damit, ihren Teil zum Engagement der gesamten Branche beizutragen.

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Das erste Ergebnis meldeten nach einer offiziellen Bekanntgabe dieser Allianz von sieben Teams am Freitagabend durch die Formel 1 nun Mercedes-AMG High Performance Powertrains (Mercedes-AMG HPP), die Maschinenbauingenieure vom University College London (UCL) und Mediziner vom University College Hospital (UCLH) in einem gemeinsamen Statement. Zusammen adaptierte dieses Dreigestirn eine Atemhilfe, die dabei helfen soll, Covid-19-Patienten nicht auf die Intensivstation verlegen zu müssen.

So funktioniert das Gerät zur Atemhilfe

Die Atemhilfe ist bekannt als "Continuous Positive Airway Pressure" (CPAP) und ist in Krankenhäusern in Italien sowie China intensiv genutzt worden, um Covid-19-Patienten mit ernsthaften Lungeninfektionen das Atmen zu erleichtern, wenn Sauerstoff allein nicht ausreichend ist.

Das Gerät wurde nun für den Einsatz im Gesundheitssystem von Großbritannien (NHS) freigegeben und nun von der medizinischen Zulassungs- und Aufsichtsbehörde für Arzneimittel in Großbritannien (Medicines and Healthcare products Regulatory Agency, MHRA) für die Nutzung empfohlen.

CPAP-Geräte werden normalerweise durch das NHS eingesetzt, um Patienten mit Atemschwierigkeiten in Krankenhäusern und Zuhause zu behandeln. Sie blasen kontinuierlich eine Luft-Sauerstoffmischung in Mund und Nase, halten dabei die Atemwege offen und erhöhen die Sauerstoffmenge, die in die Lungen gerät. Invasive Beatmungsgeräte bringen den Sauerstoff hingegen direkt in die Lungen, setzen aber eine starke Sedierung des Patienten und einen Schlauch in der Luftröhre voraus.

Berichte aus Italien lassen darauf schließen, dass bei rund 50% der Patienten, die mit CPAP behandelt wurden, die Erforderlichkeit einer Intensivbeatmung verhindert werden konnte. Die Verfügbarkeit von CPAP-Geräten war in den britischen Kliniken bislang jedoch begrenzt.

100 Stunden von erstem Meeting bis Herstellung

Bei ihrer gemeinsamen Arbeit seit Mittwoch, dem 18. März, konzentrierten sich die Maschinenbauingenieure von UCL und HPP sowie die Mediziner vom UCLH vor allem darauf, das Gerät so zu rekonstruieren, dass es schnell in hoher Stückzahl produziert werden kann. Nicht einmal 100 Stunden seien von erstem Meeting bis zur Herstellung des ersten Geräts verstrichen, heißt es.

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"Angesichts der dringenden Notwendigkeit sind wir sehr dankbar dafür, dass wir einen Prozess, der Jahre dauern kann, in nur wenigen Tagen durchlaufen haben", sagt Professor Tim Baker vom UCL. "Nach dem Briefing haben wir rund um die Uhr gearbeitet, um ein patentfreies Gerät auseinanderzunehmen und zu studieren. Mit Hilfe von Computersimulationen konnten wir das Gerät weiter verbessern und so eine topmoderne Version entwerfen, die für die Massenproduktion geeignet ist."

Project Pitlane: Sieben Formel-1-Teams helfen

Den Turbo einzulegen, das gelang - wie könnte es treffender sein - dank F1-Support. Baker: „Wir waren in der privilegierten Situation, auf die Hilfe der Formel 1 zurückzugreifen - eine Zusammenarbeit, die durch die enge Beziehung zwischen UCL Maschinenbau und HPP ermöglicht wurde."

Andy Cowell, Chef bei Mercedes-AMG High Performance Powertrains, bezieht das Lob nicht nur auf seine Truppe, sondern das gesamte Project Pitlane. "Die Formel 1-Familie hat eine beeindruckende Reaktion gezeigt, um mit dem gemeinsamen "Project Pitlane" zum Wohl aller eine Vielzahl an verschiedenen Projekten zu unterstützen“, sagt Cowell. „Wir sind stolz darauf, dass wir dem UCL unsere Ressourcen zur Verfügung stellen konnten, um das CPAP-Projekt so schnell wie möglich und nach den höchsten Ansprüchen abzuschließen."

Gerät zugelassen, klinische Tests folgen

100 Prototypen werden nun für klinische Tests an die UCLH geliefert. Bei positivem Verlauf werden die Geräte im gesamten Land verteilt, um dem vorhergesagten Anstieg an Covid-19-Fällen zuvorzukommen. "Diese Geräte werden dabei helfen, Leben zu retten, indem sie sicherstellen, dass die in der Anzahl begrenzten Beatmungsgeräte für die am schwersten erkrankten Patienten eingesetzt werden können“, sagt Professor Mervyn Singer vom UCL.

"Die Geräte werden im UCLH zuerst getestet, aber wir hoffen, dass sie bald in Krankenhäusern im ganzen Vereinigten Königreich einen echten Unterschied machen werden, um die Auslastung des Personals sowie die Anzahl der belegten Betten auf den Intensivstationen zu reduzieren. Gleichzeitig sollen sie Patienten helfen, sich ohne den Einsatz von invasiverer Beatmung zu erholen."