Das Mexiko-Wochenende ist wohl das spannendste der gesamten Formel-1-Saison. Nicht, weil die Rennen so besonders spannend sind - eher im Gegenteil. Es ist die extreme Höhenlage von Mexico City, weshalb die Königsklasse hier die Unberechenbarkeit, die ihr sonst so oft fehlt, plötzlich wieder hat.

Zugegeben, noch immer dominieren die üblichen drei Teams. Gegen Mercedes, Ferrari und Red Bull hilft dem Mittelfeld auch eine um 23 Prozent dünnere Luft nicht. Aber unter den Top-Teams geht es dafür munter zur Sachen.

Während Lewis Hamilton im 1. Freien Training noch die Bestzeit holte, war Mercedes am Nachmittag im Nirgendwo. Sechs Zehntel fehlten Valtteri Bottas auf die Bestzeit von Sebastian Vettel, Hamilton hatte fast eine Sekunde Rückstand.

Mercedes im 2. Training auf dem Holzweg

"Das Auto fühlte sich im ersten Training gut an. Danach haben wir vor der zweiten Session einige Änderungen vorgenommen", erklärt Hamilton den großen Unterschied. Gleichzeitig änderte sich die Strecke stark. Das 1. Training begann noch auf leicht feuchter Strecke, am Nachmittag war es wärmer und die Strecke hatte mehr Grip.

"Deshalb haben wir das Setup nicht perfekt getroffen, mir ist aber auch keine perfekte Runde gelungen", gesteht Hamilton und kündigt an: "Wir können also noch nachlegen." Trotzdem geht Mercedes nicht als Favorit in die Qualifikation. Denn das Gesamtbild bei den Silberpfeilen sieht nicht besonders rosig aus.

"Heute war kein toller Tag, aber das sind wir in Mexiko fast schon gewohnt", übt sich Hamilton in Galgenhumor. Mercedes Ingenieur Andrew Shovlin stimmt zu: "Wir wussten nicht, was uns hier erwarten würde, schließlich war Mexiko im vergangenen Jahr unser schlechtestes Rennen."

Mercedes hat gleich an mehreren Fronten zu kämpfen. Dass der Silberpfeil im ersten Sektor, der fast ausschließlich aus Geraden besteht, Probleme haben würde, war klar. Bottas und Hamilton rangieren hier gar nur auf den Rängen sechs und neun, verlieren bei 27 Sekunden Fahrzeit eine satte halbe Sekunde auf Vettel.

Formel 1 Mexiko, Sektorzeiten 2. Training

Sektor 1Sektor 2Sektor 3
Vettel27,008Verstappen29,408Verstappen19,898
Leclerc27,227Vettel29,69Vettel19,909
Magnussen27,403Hamilton29,702Bottas19,95
Verstappen27,416Bottas29,741Leclerc20,06
Grosjean27,528Leclerc29,785Gasly20,102
Bottas27,53Norris29,815Perez20,121
Gasly27,538Sainz29,853Sainz20,161
Hulkenberg27,539Kvyat29,937Kvyat20,179
Hamilton27,549Gasly30,138Hamilton20,195
Sainz27,575Ricciardo30,307Hulkenberg20,203
Stroll27,604Hulkenberg30,308Raikkonen20,267
Kvyat27,631Albon30,329Norris20,288
Ricciardo27,642Giovinazzi30,415Stroll20,329
Giovinazzi27,709Stroll30,429Grosjean20,355
Raikkonen27,754Perez30,479Ricciardo20,375
Perez27,766Raikkonen30,629Giovinazzi20,382
Norris27,77Grosjean30,755Magnussen20,519
Albon27,953Magnussen30,933Russell20,658
Russell28,028Russell31,06Kubica20,676
Kubica28,206Kubica31,259Albon22,619

Aber auch in den kurvigen Sektoren zwei und drei kann Mercedes keine Zeit gutmachen. Hamilton und Bottas hatten Probleme, die sensiblen Pirelli-Pneus in das Arbeitsfenster zu bringen und darin zu halten. Deshalb verlor man auch in den langsamen Kurven, in denen vor allem mechanischer Grip gefragt ist. Nur in den richtig schnellen Ecken war Mercedes Klassenprimus.

Red Bull in Mexiko wieder top?

So traditionell wie Mercedes in Mexiko Probleme hat, so war es in den letzten Jahren Usus, das Red Bull mit der Höhenluft besonders gut zurechtkam. Dabei profitierten die Bullen auch vom Renault-Antrieb, der dank eines größeren Turboladers in Mexiko besser funktionierte.

Von einem Power-Vorteil kann in diesem Jahr nicht mehr die Rede sein. "Wir verlieren hier neun Zehntel auf der Geraden", schimpft Red Bulls Motorsportberater Dr. Helmut Marko. Dabei kritisiert er aber nicht den Honda-Antrieb, sondern stellt vielmehr den Ferrari-Vorteil in Frage. Denn auch Mercedes und Renault verlieren auf Ferrari exorbitant.

Dass Ferrari auf den Geraden schnell ist, ist 2019 nichts Neues. So eklatant wie in Mexiko war der Unterschied aber noch nie. Sebastian Vettel und Charles Leclerc führen die Topspeed-Wertungen an allen vier Messstellen an.

Am Ende von Start und Ziel, wo die höchsten Geschwindigkeiten der gesamten Formel-1-Saison erreicht werden, wurde Vettel mit 358,8 Stundenkilometer gemessen. Max Verstappen hatte an der gleichen Stelle 348,0 Sachen drauf, Hamilton gar nur 345,3 km/h.

Formel 1 Mexiko, Topspeeds im 2. Training

FahrerTeamMotorGeschwindigkeit
VettelFerrariFerrari358,8
LeclercFerrariFerrari356,5
PerezRacing PointMercedes355,3
GaslyToro RossoHonda354,9
StrollRacing PointMercedes353,1
GrosjeanHaasFerrari353,0
MagnussenHaasFerrari352,2
RaikkonenAlfaFerrari351,4
KvyatToro RossoHonda349,1
RussellWilliamsMercedes348,7
HulkenbergRenaultRenault348,6
RicciardoRenaultRenault348,0
GiovinazziAlfaFerrari348,0
VerstappenRed BullHonda348,0
SainzMcLarenRenault347,8
AlbonRed BullHonda346,4
NorrisMcLarenRenault345,8
BottasMercedesMercedes345,6
HamiltonMercedesMercedes345,3
KubicaWilliamsMercedes343,7

Im Gegensatz zum Mercedes macht der Red Bull aber Zeit in den Kurven gut. Verstappen fuhr im zweiten und dritten Sektor Bestzeit. Vor allem beim mechanischen Grip gibt der RB15 den Ton an. Red Bull macht Zeit gut, aber eben nicht genug. Am Ende fehlte Verstappen zwar nur eine Zehntel auf die Tagesbestzeit von Vettel, aber im Qualifying sieht man bei den Bullen keine Chance.

"Wir haben keinen Qualifying-Modus", klagt Marko. Verstappen stimmt zu: "Ich glaube nicht, dass wir realistisch mit Ferrari um die Pole kämpfen können. Sie sind auf den Geraden einfach zu schnell und wir können in den Kurven nicht genug aufholen."

Sebastian Vettel schlägt Charles Leclerc im Training

Also ist bei Ferrari alles gut? Tatsächlich zeigte sich Vettel für seine Verhältnisse fast überschwänglich: "Hier hast du nie ein tolles Gefühl, weil sich das Auto so sehr bewegt. Aber am Nachmittag hatte ich trotzdem einen ganz guten Rhythmus."

Teamkollege Charles Leclerc kam nicht so gut zurecht. Dem Monegassen fehlten vier Zehntel auf Vettel. "Ich hatte mit der Fahrzeugbalance etwas Probleme und ich muss noch an mir arbeiten", gestand der gewohnt selbstkritische Shootingstar.

Im Qualifying scheint Ferrari wieder einmal unantastbar zu sein. Seit der Sommerpause stand in allen fünf Rennen ein roter Bolide auf Pole. Aber wie sieht es im Rennen aus? Vor zwei Wochen in Suzuka machte Ferrari im Renntrimm keinen Stich gegen Mercedes.

Sind die Reifen Ferraris größter Feind?

Der Reifenverschleiß ist Ferraris Achillesferse. Und das Autodromo Hermanos Rodriguez frisst die weichen Pirelli-Pneus regelrecht. Nach den Trainings waren die Piloten alles andere als begeistert von den Longrunqualitäten der Reifen. Auch Pirellis Mario Isola musste gestehen: "Es gab heute starkes Graining."

Obwohl Pirelli in diesem Jahr eine Stufe härter ging als im Vorjahr, bereitet die weiche Mischung noch immer große Probleme. Die grüne Strecke in Verbindung mit wenig Abtrieb sorgt dafür, dass die Reifenoberfläche besonders hart rangenommen wird.

Das Graining auf den Soft-Pneus ist so stark, dass Pirelli nicht mit einem Einstopp-Rennen rechnet. Das Problem ist nicht nur, dass die Reifenperformance nachlässt. "Sie kommen dadurch an ihre Verschleißgrenze", erklärt Isola. "Ich glaube nicht, dass man das durch Pace-Management so gut kontrollieren kann. Man geht das Risiko ein, dass man nur noch auf der Schulter fährt und dann brechen die Rundenzeiten ein."

Auf Medium und Hard ist das Graining-Problem deutlich geringer. Deshalb werden die Top-Teams versuchen, sich auf den Medium-Pneus für Q3 zu qualifizieren, um den Soft-Reifen im Rennen überhaupt nicht fahren zu müssen. Möglicherweise versuchen das auch die Mittelfeld-Teams und verzichten lieber auf eine Startposition in den Top-10, als auf den Soft-Reifen losfahren zu müssen.

Graining bestimmt auch die Longrun-Daten. Die Soft-Runs sind deshalb nur bedingt aussagekräftig. Manch einer fuhr mit stark abbauenden Reifen noch weiter, andere gaben früher auf. Hamilton und Leclerc fuhren auf den letzten beiden Runden ihrer Soft-Stints drei, respektive vier Sekunden langsamer als zu Beginn. Deshalb sollte man in diese Daten nicht zu viel interpretieren.

Formel 1 Mexiko: Longruns auf Soft

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeZeit
VettelEnde1021:20,441
VerstappenAnfang1371:21,966
BottasAnfang1771:22,189
HamiltonEnde1481:23,004
LeclercAnfang2191:23,566

Weil die Top-Teams um den Soft-Reifen aber wohl ohnehin umherkommen, sind die Daten möglicherweise gar nicht Renn-relevant. Die Medium-Zeiten sind das schon eher. Allerdings gibt es auch hier nicht besonders viele relevante Zeiten.

Alex Albon flog im Training ab, konnte deshalb gar keine Longruns fahren. Valtteri Bottas probierte als einziger Top-Pilot die harten Reifen. Bleiben nur noch Verstappen, Vettel, Hamilton und Leclerc. Weil die Piloten unterschiedliche Herangehensweisen bei der Reihenfolge ihrer Longruns hatten, wird die Auswahl noch geringer. Vettel und Hamilton fuhren zu Beginn mit Medium, Leclerc und Verstappen am Ende.

Formel 1 Mexiko: Longruns auf Medium

FahrerGefahren gegenReifenalterStintlängeZeit
LeclercEnde1341:21,281
VerstappenEnde24111:21,871
HamiltonAnfang21101:21,927
VettelAnfang25151:22,108

Dass Leclerc deutlich schneller war als Verstappen liegt hauptsächlich daran, dass er nur vier Runden am Stück drehte. Der Niederländer fuhr hingen elf Mal um die 4,3 Kilometer kurzer Strecke. "Bei den Longruns scheinen wir auf Augenhöhe zu sein", glaubt Verstappen. "Unsere Rennpace sieht konkurrenzfähig aus und wenn wir die Reifen unter Kontrolle haben, wird es ein enges Rennen."

Hamiltons und Vettels Zeiten lassen sich besser vergleichen. Vettel war zwar zwei Zehntel langsamer, fuhr aber länger. Dazu sind zwei Zehntel für Ferrari am Freitag nichts. Die Scuderia macht normalerweise den größten Sprung von Freitag auf Sonntag. "Es war ein guter Tag was die Pace angeht - sowohl auf eine Runde, als auch im Renntrimm", bestätigt Vettel.

Ferrari ist in Mexiko Topfavorit. Im Qualifying ist schwer vorstellebar, dass die Scuderia die erste Niederlage der Rückrunde einstecken muss. Selbst der Renntrimm sieht für Ferraris Freitags-Verhältnisse gut aus. Ein großes Fragezeichen bleibt: Die Kühlung. Das dürfte weniger Mercedes' Hoffnung sein, als vielmehr Red Bulls großer Joker.