Die Formel 1 ist am Scheideweg angekommen. Das aktuelle Concorde Agreement läuft Ende 2020 aus. Damit steht der Sport vor der Stunde Null. Die kommerziellen Verträge zwischen Teams und Liberty Media laufen aus, genauso die Regierungsvereinbarung der Formel 1. Auch das Technische und Sportliche Reglement könnte revolutioniert werden.

Erstmals sind auch die Piloten in die Entscheidungen involviert und bei den wichtigen Meetings vertreten. Allen voran natürlich GPDA-Präsident Alexander Wurz - oder 'Wurtz', wie die FIA den Österreicher bei den Meetings gerne nennt. Für Motorsport-Magazin.com nahm sich der Fahrergewerkschaftspräsident reichlich Zeit, die Formel-1-Zukunft zu besprechen.

Als Liberty Media von Bernie Ecclestone übernommen hat, hast du die Formel 1 mit einem Haus verglichen. Mit einem renovierungsbedürftigen Haus, in das man erst einmal Geld reinstecken muss, ehe man es teuer vermieten oder verkaufen kann. In welcher Phase der Renovierung befinden wir uns?
Alex Wurz: Das kann ich genau sagen: Wir sind an einem Punkt, an dem der Architekt ganz verrückte Pläne hat, aber noch nicht bei der Genehmigung war. Möglicherweise wird die Genehmigung nicht stattfinden. Dann kann man das Haus so nicht weiter bauen. Wir haben nämlich eine Situation, in der es um eine neue Regierungsstruktur und eine neue Geldverteilung geht. Das ist, wie wir wissen, der absolute Schlüssel zur Zukunft der Formel 1. Das wird in den nächsten Wochen passieren.

Ich bin extrem überrascht von der Ruhe, die hier herrscht. Denn in der Vergangenheit hatten wir ja zwei, drei Monate lang mediales Säbelrasseln, wenn es um Änderungen des Concorde Agreements ging. Also irgendwas ist im Busch. Entweder ist schon alles vorher vorvereinbart und die Top-Teams sind deshalb so still, weil sie wissen, was rauskommt, oder es ist die absolute Ruhe vor dem Sturm und dem großen Kampf, wer nun welche Macht behalten und mehr bekommen wird. Für die Formel 1 sind die nächsten Wochen vielleicht die einschneidendsten Wochen unserer Zeit. Vom Geschäftsmodell bis hin zum Sport und der Technik kann sich viel verändern oder eben auch nicht.

Ist der Ausgang für dich ungewiss?
Alex Wurz: [denkt lange nach] Leicht unberechenbar, weil doch sehr viele Dynamiken einfließen.

Das heißt, du kannst dir durchaus vorstellen, dass es einen ganz großen Knall gibt und das Kartenhaus vielleicht zusammenfällt?
Alex Wurz: Er könnte angedroht werden. Wie wir es damals 2009 mit einer Piratenserie hatten, als schon Vorverträge mit Strecken unterschrieben wurden. Ich bin sehr gespannt, was auf uns zukommen wird. Ich hoffe, die Vernunft siegt. Wir haben schon einmal als GPDA - und ich als Person - kundgetan, dass das jetzige Regierungssystem der Formel 1 nicht wirklich fit ist für einen modernen Sport ist, der sich in einer Welt behaupten muss, in der sich unser Consumer-Verhalten ändert und wir uns gegen andere Entertainment-Formen behaupten müssen, damit wir überhaupt noch Fans haben und wachsen. Das ist ja schon ganz schwierig. Und wenn deine Struktur nicht fit ist, dass du diese Änderungen ganz vorsichtig und überlegt, aber teilweise auch rasch, machen kannst, ist das eine schwierige Balance.

Mit den aktuellen Strukturen ist die Formel 1 ein schwerer Tanker. Kurskorrekturen brauchen da...
Alex Wurz: Genau. Es ist weder eine Diktatur noch eine Demokratie. Ich kenne keine Demokratie, in der man 100 Prozent der Stimmen braucht, um eine Entscheidung durchzusetzen. Es ist eigentlich zum Scheitern verurteilt. Was dem damaligen Regime ja gut gepasst hat. Wenn du nicht Mehrheitseigentümer bist, aber alle Leute unter Kontrolle hast, brauchst du natürlich ein System, das keine Einheit hervorbringt. Meine Meinung ist, dass dieses System die Formel 1 sicherlich nicht gefördert hat. Sogar teilweise mit wirklich verrückten Ideen und Adhoc-Änderungen geschadet hat. Das haben wir damals mit der GPDA im Jahr 2016 in einem offenen Brief den Entscheidungsträgern mitgeteilt. Die Position hat sich nicht geändert. Das heißt, wir hoffen jetzt alle, dass das System, das danach kommt, alle miteinbezieht, aber besser in der Entscheidungseffizienz ist.

Besteht dann nicht Gefahr, dass man sich schneller in kleineren Sachen verzettelt? So ein Grand Prix ist seit Ewigkeit 300 Kilometer lang. Das ist die DNA. Hast du nicht Angst, dass das verloren geht?
Alex Wurz: Du denkst an sportliche Änderungen. Ich denke nur in der Entscheidung.

Aber das ist ja eine Konsequenz. Wenn ich sportliche Entscheidungen schneller treffen kann, bin ich schneller dabei, etwas zu verändern.
Alex Wurz: Ich würde sportlich keine dramatischen Änderungen machen, wie du sie im Kopf hast. Der Sport ist mit 300 Kilometer langen Grands Prix groß geworden. Wir sind groß geworden mit einem Qualifyingsystem. Wir wollen alle, dass die Fahrer innerhalb von ein, zwei Zehntel sind. Dass wir uns auf der Strecke richtig bekämpfen können, weil wir wissen, wenn wir guten Sport liefern, ist die Show automatisch da. Das wollen die Fahrer zu 1000 Prozent. Was wir nicht wollen - und das muss ich ganz klar unterstreichen - ist, dass wir eine künstliche Show kreieren, damit wir Entertainment sind. Nein, wir sind Sport und der soll von den besten Leuten mit den coolsten Autos auf den gleisten Rennstrecken der Welt ausgefightet werden. So sind wir zum Milliarden-Sport geworden. So können wir auch wachsen.

Nur wenn zwischen dem Ersten und dem Letzten so viel Unterschied ist, die Möglichkeitenverteilung so extrem ist, dann sehen wir Fahrer, dass wir uns sehr schwertun, das als extrem konkurrenzfähigen Sport zu sehen. Du merkst ja jetzt schon, wie viel Aufregung eigentlich da ist, wenn zwei, drei Teams, zusammen kämpfen. Stell dir vor, wir haben teilweise einen Außenseiter, der bei gewissen Rennen mitmischen kann. Liberty ist ja auf einem guten Weg. Sie sollten dort weitermachen. Die Kameraperspektiven, die Art, wie wir uns präsentieren, einfach ein bisschen dynamischer und an die Zeit anzupassen. Mehr brauchen wir nicht machen, das ist eine Anpassung und keine Veränderung. Keine Revolution, nur Evolution.

Das ist ganz interessant, weil die Formel E auf der einen Seite genau das ist und auf der anderen Seite genau das Gegenteil. Du hast Autos, die ganz ähnlich sind, in denen der Fahrer den Unterschied machen kann. Auf der anderen Seite hast du ein sportliches System, das komplett auf Show ausgelegt ist und nicht so sehr auf Sportlichkeit.
Alex Wurz: Das ist bei einem neuen Produkt durchaus okay, wenn eine Nische dafür da ist. Und ob die Nische später einmal in einem oder in 15 Jahren den Markt beherrscht, das kann ich dir jetzt nicht sagen. Es kann ja auch durchaus Platz für eine wesentlich größere und mächtigere Formel E sein. Das hängt natürlich davon ab, wie sich die Mobilität entwickeln wird, wie sich das Kundenverhalten zum Sport einstellen wird. Das ist für uns alle sehr schwierig. Der Motorsport ist jetzt erst einmal diversifiziert aufgestellt. Aber wenn du nur einmal die Zahlen anschaust, ist ganz klar, dass die Formel 1 das absolute Zugpferd ist. Ich sitze hier als Gesprächspartner der Formel 1. Ich liebe andere Rennserien. Ich liebe die WEC, ich liebe die Formel E, ich liebe MotoGP. Ich finde, wir müssen mehr Crosspromotion machen. Die Serien müssen sich mehr aneinanderfügen, damit wir den Zuschauer von A, nach B, nach C schicken und ihn wieder nach A zurückholen. Wir dürfen ihn nicht stehen lassen. Wir müssen ihn gut betreuen.

Alex Wurz: Ich liebe die Formel E, Foto: LAT Images
Alex Wurz: Ich liebe die Formel E, Foto: LAT Images

Sollte sich die Formel 1 gezielt von dem Abgrenzen, was die Formel E macht?
Alexander Wurz: Wir müssen uns nicht abgrenzen von dem, was die Formel E macht. Aber wir müssen ganz klar sehen, wo wir herkommen, was uns zum Milliarden-Sport gemacht hat, zu einem der größten Sportevents, die weltweit gesehen werden. Warum wir jetzt intern glauben, unser Wachstum ist eingedämpft, da müsste man wirklich sehr selbstkritisch sein. Es ist klar, dass im Laufe der letzten 20 Jahre Fehler aufgrund kommerzieller Interessen begangen wurden. Deshalb sind wir eigentlich sehr unglücklich, dass wir aufgrund von kommerzieller Interessen in eine Gasse hinein gekommen sind, wo es jetzt gar nicht mehr so einfach ist, rauszukommen. Ich spreche vom Voting-System und so weiter.

Jetzt haben wir aber die goldene Chance, ja sogar die Platinum-Chance, mit Ende des Concorde Agreements etwas aufzustellen, wo man dann wieder die Entscheidungen treffen kann, selbst auch als kommerzieller Rechtehalter. Das ist gut für den Sport für die nächsten 15 bis 20 Jahre. Vielleicht verzichte ich als Rechteinhaber auf 20 Millionen Einnahmen von einem Einheitslieferanten, der mir etwas bezahlt. Vielleicht habe ich in einem Jahr 20 Millionen mehr Profit, aber ich weiß, der Sport wäre wesentlich cooler aufgestellt, wenn ich auf dieses Geld verzichten würde. Vielleicht ist es auch bei der Geldverteilung besser, wenn man kommerziell nicht den Adhoc-Profit sieht, sondern langfristiger. Wenn man selbst - oder zumindest einfacher - bestimmen kann, ist das ganz gesund für den Sport. Ich sehe enorme Möglichkeiten für den Sport, zu wachsen.

Du meinst, dass die Formel 1 auf sportlicher Seite keine Revolution, sondern eine Evolution braucht. Als wir mal vor längerer Zeit über die Autos gesprochen haben, meintest du, man braucht eine komplette Revolution, ein komplettes Neudenken. Man darf nicht immer nur feinjustieren, hier mal ein paar Zentimeter mehr Flügel, um das Überholen einfacher zu machen. Findest du, hier ist man mit den aktuellen Plänen auf dem richtigen Weg?
Alex Wurz: Ja, absolut. Wir sind intern alle sehr froh. Wir sehen die Richtung der Aerodynamik als richtigen Erfolg an. Wir machen da schon seit vielen Jahren Lobby, schon bevor Liberty gekommen ist. Man muss es erst einmal in die Köpfe hineinbekommen. Dann müssen auch die Journalisten darüber sprechen und dann wird es irgendwann zur Dynamik und zur Agenda. Es ist sich jeder klar, dass die letzten 30 Jahre der Formel 1 einen klaren Trend hatten. Auch wenn wir jetzt ein paar super spannende Rennen hatten. Das Problem ist, das knappe Hinterherfahren. Das Problem gibt es seit 30 Jahren, weil die Reglements sich nur leicht geändert haben und es eigentlich immer schwieriger wurde mit dem Stufen-Boden und dem hohen Frontflügel. Jetzt gehen sie mit dem Ground-Effect zurück, wo wir früher waren. Das ist viel besser. Das ist schon eine Revolution. Das ist absolut die richtige Richtung. Chapeau an alle, die mithelfen, dass das passiert.

Das Gewicht ist auch immer so eine Sache, aber da lässt sich ja nichts machen...
Alexander Wurz: Hätte man. Aber ich glaube, der Zug ist abgefahren. Wir werden weiterhin mit diesen wirklich interessanten Geräten [Motoren] fahren. Aber sie sind schwer. Worum geht's beim Gewicht? Natürlich um die Agilität des Fahrens. Und wenn sie schwer sind, sind die Fliehkräfte nicht so hoch. Das heißt, sie sind physisch nicht so anstrengend. Physische Anstrengung ist cool, das will der Fahrer, da muss er sich durchbeißen. Jeder Wettkampf soll hart sein.

Wurz ist kein Fan der 18-Zoll-Reifen, Foto: Pirelli
Wurz ist kein Fan der 18-Zoll-Reifen, Foto: Pirelli

Wir haben kommerzielle Entscheidungen, die zu einem Ungleichgewicht führen. Auch die 18-Zoll-Reifen, die kommen sollen. Als Fahrer sind wir nicht happy, weil sie 25 bis 27 Kilo für einen kommerziellen Output bringen. Der bringt uns gar nichts aus Fahrersicht. Sie sind vielleicht ein bisschen einfacher für die Aerodynamik, aber ich würde dieses Argument nicht zählen lassen. Aber sie sind wesentlich schwerer. Der einzige Vorteil ist das Marketing.

Und die Optik?
Alexander Wurz: Ich bin zweimal als Mister Halo abgestuft worden und viele Journalisten und Fans haben gesagt, wenn ein Halo kommt, ist die Formel 1 tot. Wir haben jetzt gesehen, dass es ein paar Fahrer gerettet hat und wir von den Einschaltquoten überhaupt nicht gelitten haben. Wir haben uns darauf eingestellt. Ich habe sogar ein paar Piloten, die ehrlich zugegeben haben, sie würden sich ohne Halo nackt fühlen und nicht mehr fahren wollen. Das war mit dem HANS-Device genauso. Es hat sich deshalb nichts geändert.

Optik ist für dich also kein Argument beim Fahrzeugkonzept?
Alexander Wurz: Ich bin extrem auf Design ausgelegt. Aber ob da jetzt ein 19 Zoll oder ein 13 Zoll Reifen drauf ist.... Wenn ein Auto stylisch gemacht ist und die Rennen spannend sind, dann ist es nicht das Element, das sich verkauft.