Hat Ferrari jetzt auch die letzte Hürde genommen? Kann die Scuderia dieses Wochenende - beim Russland GP der Formel 1 in Sotschi - auch die letzten Zweifel an ihrem jüngsten Aufschwung ausräumen? Zumindest nach den beiden Trainings zum F1-Rennen auf dem Sochi Autodrom deutet vieles darauf hin

Allem voran die Reaktionen aus dem Mercedes-Lager. Die Silberpfeile präsentierten sich im Tagesergebnis nur als dritte Kraft hinter Red Bull (Bestzeit Max Verstappen) und Ferrari (P2 Charles Leclerc.) und waren danach völlig desillusioniert.

Mercedes erklärt Ferrari zum Favoriten

Lewis Hamilton etwa sprach von acht Zehnteln Rückstand allein auf den Geraden, kritisierte lange vor dem Rennen schon einmal das in seinen Augen überholfeindliche Streckenlayout und führte einen halben Regentanz auf - bei dem er in Teamkollege Valtteri Bottas gleich einen Tanzpartner fand.

Doch genauso sprechen dafür - abseits des für Mercedes ernüchternden Resultats nun auch schon am Freitag - die Stimmen von Ferrari selbst. Sowohl Leclerc als auch Sebastian Vettel zeigten sich spiegelbildlich zu ihren Mercedes-Pendants gut gelaunt.

Vettel wieder weit hinter Leclerc: Seine Erklärung

Selbst Vettel, der seine schnelle Runde nicht perfekt zusammenbekommen hatte, sich so sieben Zehntel von seinem jungen Teamkollegen hatte drücken lassen. Einmal mehr, könnte man anfügen. "Aber ich denke nicht, dass wir so weit voneinander entfernt waren", kommentiert Vettel Nachfragen zum Serie an Quali-Niederlagen gegen Leclerc in den vergangenen Rennen.

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"Das Bild trügt ein bisschen. Jedes Wochenende geht es sowieso von vorne los. Heute war der Schuss mit dem neuen Reifen einfach nicht gut. Der hat nicht geklappt. Aber ich denke, dass morgen, wenn der Rhythmus da ist, das auch wieder kommen sollte. Da mache ich mir keine Sorgen", so Vettel.

Leclerc mahnt nach Lorbeeren: Konkurrenz auch nicht im Uraub

Viel interessanter diesmal aber der Blick auf das Kräfteverhältnis. Hamilton erklärte Ferrari bereits zum Favoriten. "Kann er ja machen. Ich hoffe, er behält dann auch recht", reagiert Vettel darauf. "Das hört man gerne", sagt Leclerc. "Aber ich denke, dass sie morgen auch wieder stark sein werden."

Doch der Monegasse weiß auch um die neue Ferrari-Stärke. "Wir haben gerade generell eine gute Zeit. Aber wir müssen den Kopf unten halten und alles so sehr verbessern wie wir nur können. Denn die anderen sind auch nicht im Urlaub und wollen aufholen. Red Bull war heute ja auch stark", erinnert Leclerc.

Ferrari experimentiert mit Balance: Da kommt noch mehr

Tatsächlich deutet gegenwärtig mehr auf diesen Gegner als ersten Ferrari-Widersacher in Russland hin. "Red Bull sah heute Morgen sehr schnell aus, auch heute Nachmittag, vor allem in Sektor drei", bestätigt Vettel. "Ich denke aber, dass auch wir uns da noch verbessern können. Vor allem mit der Balance können wir das Auto noch besser zusammenbekommen."

Das gilt allerdings auch für die Konkurrenz. Jedoch womöglich mehr für Ferrari. Wie Vettel verrät, experimentierten die Roten im Training extremer als üblich. Wie Leclerc bestätigt, ging es dabei vor allem um den richtigen Kompromiss zwischen den extrem schnellen ersten beiden Sektoren und dem sehr langsamen letzten Abschnitt.

Leclerc schwärmt von besten Longruns des Jahres

Was der Konkurrenz Sorgen bereiten sollte. Das sei ein Erfolg gewesen, so Leclerc. "Wir haben das heute in beide Richtungen getestet und ich denke, wir haben unseren weg gefunden", sagt der Monegasse. "Es war echt ein guter Tag. Red Bull war ziemlich stark, aber wir können auch noch viel Rundenzeit rausholen", schwärmt er.

Vor allem im Quali-Run sei die Balance auch am Ende nämlich noch nicht ideal gewesen. Weil sich Ferrari mehr auf das Rennen konzentrierte. Und dabei habe es überragend ausgesehen, meint Leclerc [ausführliche Longrun-Analyse in Kürze auf Motorsport-Magazin.com]: "Die Rennpace sah stark aus. Das war vielleicht die stärkste Rennpace, die wir seit Saisonbeginn im zweiten Training hatten!"

Red Bull trotz Strafen auf dem Zettel

Etwas mehr zu kämpfen hatte auch dabei Sebastian Vettel. "Aber nichts, um das man sich Sorgen machen müsste", beruhigt der Heppenheimer. "Auf jeden Fall können wir uns steigern - und müssen das auch."

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Diese Meinung teilt auch Leclerc. Red Bull sei nicht zu unterschätzen. "Wir sehen keinen Grund, warum wir hier nicht konkurrenzfähig sein sollten. Aber mit Red Bull wird es schwierig, es wird ein enger Kampf mit ihnen, auch wenn sie morgen die Strafen haben", so Leclerc. Verstappen und Albon werden wegen Motorwechsel je fünf Plätze strafversetzt.

Regen? Vettel und Leclerc sehen kein Problem

Ein ganz großes Problem könnte Ferrari jedoch am Samstag von oben drohen. Es soll regnen. Doch während Lewis Hamilton darauf bereits seine fast schon letzte Hoffnung ruhen lässt, gibt sich Ferrari selbst bei diesem Thema tiefenentspannt. Das Selbstvertrauen dreier Siege macht sich bemerkbar.

"Schauen wir einfach, wie wir dann im Regen sind. Letztes Mal war es glaube ich in Deutschland so und da waren wir schnell", so Leclerc ganz cool. "Ich denke, beide Bedingungen sind gut für uns."

Vettel bestätigt: "Insgesamt weiß ich, dass das Auto gut ist. Wir müssen jetzt nur alle Dinge richtig zusammenbringen. Dann glaube, dass es egal ist, ob es morgen nass oder trocken ist!"