Russland ist einfach Mercedes-Land. Man kann diese Statistik einfach nur immer wieder herauskramen: Seit 1913 hat den Russland GP kein anderer Hersteller als Mercedes oder Benz mehr gewonnen. Im Ernst: Auch bei der fünften Ausgabe der Moderne gehen die Silberpfeile heute in Sotschi als Topfavoriten ins Rennen.

Allerdings starten die Mercedes beim Russland GP 2018 in der 'falschen' Reihenfolge. Valtteri Bottas gewann das Q3-Duell gegen Lewis Hamilton. Der Brite dominierte das gesamte Wochenende, verpatzte ausgerechnet die beiden wichtigsten Runden des Wochenendes. Doch Hamilton kann angesichts der Konkurrenz beruhigt sein: Sebastian Vettel, Hamiltons ärgster WM-Konkurrent, startet trotzdem hinter ihm auf Rang drei.

Oder muss sich Hamilton doch Sorgen machen? Vettel jedenfalls muss in Russland Punkte gutmachen. Spätestens seit Singapur steht der Ferrari-Pilot in der Weltmeisterschaft mit dem Rücken zur Wand. Aber wie soll Vettel Punkte gutmachen, wenn Ferrari in Sotschi eine halbe Sekunde fehlt?

Vettel glücklich: Auto viel besser

"Das Rennen ist morgen", betonte Vettel nach dem Qualifying immer wieder. Hat Vettel also noch etwas in der Hinterhand? Anhand der Freitagsanalyse lässt sich das nicht sagen. Vettel selbst stieg nach dem 2. Freien Training enttäuscht aus und sagte: "Wir haben unsere Reifen härter und schneller verschlissen als jedes andere Auto."

Doch das war am Freitag. Trotz Riesen-Rückstand im Qualifying war Vettel am Samstag deutlich besser gelaunt. "Um ehrlich zu sein war ich sogar ziemlich glücklich", verriet Vettel. Der Grund spiegelte sich nur nicht in Rundenzeit wieder. "Die Balance war aber ziemlich gut. Gestern war kein guter Tag, ich habe mich nicht wohl gefühlt. Und das war heute deutlich besser."

Mit der besseren Balance könnten zumindest die Reifenprobleme passe sein. Auch wenn der Reifenabbau in den vergangenen Jahren in Sotschi keine große Rolle spielte, 2018 könnte es tatsächlich interessant werden. Den Hypersoft versuchen alle zu meiden wie der Teufel das Weihwasser. Deshalb kam es im Q2 auch zur Farce, als nur zehn Autos überhaupt versuchten, sich für Q3 zu qualifizieren.

Formel 1 Russland 2018, Freitags-Longruns Ultrasoft

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
HamiltonAnfang21121:39,600
BottasEnde20141:39,820
VerstappenAnfang15121:40,142
VettelEnde21121:40,366
RicciardoAnfang25161:40,485

Die Top-4 haben die Qualifikation locker auf Ultrasofts geschafft. Entsprechend müssen sie den Hypersoft im Rennen nicht fahren. Pirelli geht davon aus, dass die Ultrasoft-Starter etwa 15 Runden mit der mittleren Mischung haushalten müssen und dann für den Rest des Rennens auf Soft gehen können.

Einen zweiten Stopp wird es unter normalen Umständen nicht geben. Dafür ist der Abbau mit dem Soft-Reifen zu gering und der Verlust in der Boxengasse zu hoch. Tempolimit 60 macht den Russland GP endgültig zum Einstopp-Rennen.

Ob Ferrari aber - auch mit verbesserter Balance - beim Reifenabbau plötzlich in der Lage ist, Mercedes zu schlagen? Eher nicht. Aber es ermöglicht zumindest die Chance, unter bestimmten Umständen etwas ausrichten zu können. Zwei große Chancen hat Vettel, beide am Start.

Vettels größte Russland-Hoffnung: Start-Sprint

Der Sprint bis zum ersten Bremspunkt ist in Sochi länger als auf allen anderen Strecken. 1029,5 Meter messen die Statistiker von Pole bis zum Scheitelpunkt von Kurve zwei. Vettel darf den Windschatten von Startplatz drei aus noch 16 Meter länger genießen.

Nach dem Qualifying ging der Ferrari-Pilot zu Pole-Setter Bottas und erinnerte ihn an 2017: Damals startete der Finne von P3, Vettel von Pole. Nach Kurve eins lag Bottas in Führung und gewann das Rennen schlussendlich. Und das macht Vettel Hoffnung: 2017 war der Silberpfeil nicht unbedingt das schnellste Auto.

Aber die überholfeindliche Charakteristik des Sochi Autodroms half Bottas. Das funktioniert freilich nur, wenn das Auto mit den Reifen einigermaßen gut umgeht. Wenn der Ferrari die Reifen frisst wie am Freitag, hilft auch das wenig. Aber Vettel kann auf den Start und Sochis Langeweile-Garantie hoffen.

Macht Mercedes heute den Ferrari-Fehler?

Und dann ist da noch ein Faktor: Die Reihenfolge, in der die Mercedes-Piloten starten. Es erinnert ein wenig an Monza: Dort war Ferrari im Qualifying offensichtlich überlegen - nur qualifizierten sich Räikkönen und Vettel in der falschen Reihenfolge. Das wurde Vettel gleich doppelt zum Verhängnis. Weil sich Räikkönen in Kurve eins heftig wehrte, musste sich Vettel anschließend gegen Hamilton wehren. Das Ergebnis ist bekannt.

Es sieht nicht gut aus für Ferrari und Vettel: Mercedes muss in Sotschi helfen, Foto: LAT Images
Es sieht nicht gut aus für Ferrari und Vettel: Mercedes muss in Sotschi helfen, Foto: LAT Images

Macht es Mercedes in Russland besser? Teamchef Toto Wolff gibt zumindest offen zu, dass man die Situation mit beiden Piloten vor dem Rennen bespricht. Bei Ferrari wollte man in Monza von Absprachen nichts wissen und schenkte den Sieg damit her.

Lewis Hamilton schickt jedenfalls schon eine Kampfansage Richtung Teamkollege Bottas: "Wir haben den tollen Start von Valtteri im Vorjahr gesehen und ich glaube, dass dies meine beste Chance auf den Sieg sein wird."

Auch Toto Wolff glaubt, dass der Start das Rennen entscheiden wird. "Deshalb werden wir versuchen, einen guten Start hinzulegen und vorne zu bleiben, um danach das Rennen zu kontrollieren", so Wolff, der selbstbewusst anfügt: "Das Auto sollte die Pace dafür haben. Es kommt nur darauf an, gut wegzukommen und die Position zu behalten."

Doch was macht Mercedes plötzlich so stark? "Einen leichten Leistungs-Vorteil scheint Ferrari noch immer zu haben", glaubt Wolff. Doch der scheint nicht mehr so groß zu sein wie noch vor einigen Wochen, als Ferrari und Mercedes neue Motoren brachten. Obwohl seither keine neuen Teile kamen, holte Mercedes offenbar auf. "Wir beginnen unseren Motor nun besser zu verstehen", erklärt Wolff.

Den Schlüssel sieht der Mercedes-Boss aber wo anders: "Ich glaube, wir haben die letzten Rennen die Reifen etwas besser verstanden." Das war auch der Erfolgsgarant für den Sieg in Singapur vor zwei Wochen. Das Rennen sah Mercedes selbst als eigene Achillessehne an. Die entscheidenden Daten lieferte Spa. Dort verlor Mercedes in La Source und der Busstop-Schikane - also den langsamen Ecken der Strecke. Die Probleme gehören nun offenbar der Vergangenheit an.

Verstappen & Ricciardo: Bullen bockstark

Und dann gibt es da noch eine Frage: Was kann Red Bull noch reißen? Daniel Ricciardo und Max Verstappen starten wegen Motor- und Getriebewechsel von den Plätzen 19 und 20 - haben aber wider Erwarten einen bockstarken Bullen unterm Hintern.

Formel 1 Russland 2018, Freitags-Longruns Hypersoft

FahrerGefahren gegenStint-LängeReifen-AlterDurchschntl. Zeit
VerstappenEnde1251:37,484
RicciardoEnde1231:38,183
HamiltonEnde1451:39,354
BottasAnfang1351:39,973
RäikkönenAnfang1351:41,949

Aus eigener Kraft - das ist klar - wird es maximal zu den Rängen fünf und sechs reichen. Doch mit einem Safety-Car gegen Rennende könnte es noch spannend werden. Red Bull hat zwar 2018 Probleme damit, die Reifen auf Temperatur zu bringen, hält sie dafür aber umso besser am Leben. Mit den Hypersofts in einem Schlussspurt könnte das spannend werden.

Die wahre Pace von Red Bull dürfte nämlich zwischen der von Mercedes und Ferrari liegen. Im Q1, als Red Bull eigentlich nur die 107-Prozent-Hürde überspringen musste, fuhren Verstappen und Ricciardo schneller als die beiden Ferraris. Im Renntrimm sind die Bullen ohnehin immer bei der Musik. Ganz abschreiben sollte man Red Bull deshalb noch nicht.

Motorsport-Magazin.com-Prognose: Aus eigener Kraft wird Ferrari keine Chance gegen Mercedes haben. Vettel braucht entweder die freundliche Mithilfe von Silber oder einen guten Start. Dann ist allerdings alles möglich. Und mit Saftey-Car-Glück kann sogar Red Bull noch ein Wörtchen mitsprechen.