Durchaus überraschend eroberte Lewis Hamilton in Baku nicht nur seinen ersten Saisonsieg 2018, sondern auch die WM-Führung. Der Mercedes-Star überzeugte abgesehen vom Auftakt in Melbourne bisher nicht und auch in Aserbaidschan hätte wahrscheinlich Valtteri Bottas gewonnen, hätte diesen nicht ein Reifenschaden ereilt. Bernie Ecclestone hatte zuletzt behauptet, Hamilton sei für ihn nicht mehr der Racer, der er einmal war. Vor allem für die britische Presse ein gefundenes Fressen.

Selbst in der Pressekonferenz nach dem Qualifying am Samstag wollten die Kollegen aus dem Königreichen statt der Erwartungshaltung für das Rennen lieber wissen, ob ihr Landsmann auf die Kritik des ehemaligen F1-Bosses nicht eine Antwort geben will. "Nicht wirklich, nein", erstickte Hamilton die Diskussion gleich im Keim - oder versuchte es zumindest, denn nach der Frage zu Ecclestones Behauptungen wurde gleich weitergebohrt.

Ob Hamilton glaubt so gut wie eh und je zu fahren, war die nächste Frage. "Das sehen wir am Ende des Jahres", wollte der viermalige Weltmeister sich nicht weiter mit der Thematik befassen. Einen Tag später saß er als Rennsieger und WM-Leader in der Pressekonferenz - und das nicht unbedingt verdient, wie er selbst erklärte: "Es sind mir im Rennen zu viele Fehler unterlaufen, was für mich ungewöhnlich ist."

Ecclestone-Kritik? Mercedes-Boss Toto Wolff nimmt's sportlich

Silberpfeil-Teamchef Toto Wolff hatte in China selbst erklärt, dass Hamilton in seinen Augen nicht in der besten Verfassung ist. Andererseits wird der Österreicher nie müde, seinen Glauben an die Fähigkeiten in den seiner Ansicht nach besten Rennfahrer im Feld zu unterstreichen. Die Aussagen Ecclestones nahm Wolff gewohnt sportlich: "Das ist Bernie! Er kommt, wirft eine Handgranate und es steht in den Zeitungen - das ist großartig."

"So läuft das mit den Nachrichten heutzutage. Wir bewegen uns zwischen Überschwang und Depression. Wenn die Dinge nicht in die richtige Richtung laufen, ist es dein Untergang. Wenn du Rennen gewinnst ist es das Gegenteil", fügte Wolff an, für den Hamilton im Gegensatz zu Ecclestone immer noch ganz der Erfolgsgarant ist, der seinem Team bisher drei Fahrer-Titel bescherte.

"Wir haben insgesamt nicht auf dem Level performt, auf dem wir sein wollen. Es gab drei Rennen die wir hätten gewinnen können, es aber nicht schafften. Das ist ein Fakt. Ich sehe in ihm immer noch sehr das Feuer und das Verlangen nach Siegen brennen. Die Rede ist von Lewis, nicht von Bernie", erklärte Wolff, laut dessen Aussage der Weltmeister mit Kritik von außen keine Probleme hat.

"Lewis nimmt diese Dinge bemerkenswert locker. Alle hier respektieren Bernie sehr, aber wir haben auch gelernt seine Kommentare mit einem Lächeln zu nehmen - und genauso macht er es auch", so Wolff. Hamilton selbst ist dafür bekannt, sich von seinen Emotionen leiten zu lassen. In den vergangenen Wochen hatte er dabei durchaus widersprüchliche Aussagen zu den eigenen Leistungen getätigt.

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Hamilton zwischen Selbstbestätigung und Selbstkritik

In China hatte Hamilton auf Fragen zu einem vermeintlichen Formtief mit Nachdruck versichert, immer noch wie der Weltmeister zu fahren, der er ist: "Ich habe definitiv das Gefühl, dieses Wochenende in Bestform gewesen zu sein. Ich habe mich auch exakt so vorbereitet wie immer, aber ich habe einfach mit dem Auto gekämpft", so der 33-Jährige, der in Baku auf einmal ganz andere Töne anschlug.

"Ich habe das ganze Wochenende gekämpft und hatte definitiv Probleme, das Potential voll auszuschöpfen - sowohl das des Autos als auch mein eigenes", räumte er in Aserbaidschan auch Defizite auf der eigenen Seite ein. Sebastian Vettel erklärte in Anbetracht der Hamilton-Kritik, dass ein Rennfahrer Jahr für Jahr an sich arbeiten muss, um sein Level zu halten oder sogar noch zu steigern. "Wie du in die Saison gehst, fühlt sich auf jeden Fall anders an als vor zehn Jahren", so der Ferrari-Pilot.

Seit 2009 zählt Vettel zu den Top-Fahrern in der Königsklasse. Doch auch er hatte in seiner Karriere bereits Durchhänger, wie zum Beispiel in der Saison 2014, als er bei Red Bull lustlos schien und gegen den damaligen Frischling Daniel Ricciardo keinen Stich landete. "Versteht mich nicht falsch, ich meine das nicht auf eine schlechte Weise. Aber ich denke, wenn du erwachsen wirst ändert sich deine Sicht auf einige Dinge - und hoffentlich wirst du etwas weiser. Dein Horizont und auch deine Motivation ändern sich."

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Sebastian Vettel erklärt: WM-Kampf ist kein Selbstläufer

Das richtige Mindset um sich langfristig an der Spitze zu behaupten, wird für Vettel durch einen Faktor maßgeblich bestimmt. "Für mich ist es so, dass ich genieße was ich mache. Ich liebe was ich mache, ich liebe Racing", so der 30-Jährige, der sich genau wie Hamilton schon mit viel Kritik an seiner Person und seinen Leistungen auseinandersetzen musste. "Natürlich gibt es viele Leute, die zu jedem einzelnen Tag den ich im Auto bin eine Meinung haben. Manchmal liegen sie richtig, manchmal nicht."

Entscheidend ist für Vettel, die kritischen und teilweise destruktiven Stimmen von Außenstehenden nicht zu nah an sich heranzulassen. Eine gefestigte Persönlichkeit sei dafür das A und O. "Das Wichtigste ist, dass du weißt wer du bist und dir selbst treu bist. Dann kannst du es dir erlauben, weniger auf das zu hören, was um dich herum gesagt wird, dich nicht ablenken zu lassen und einfach dein Racing zu genießen", erklärte er. Für ihn ist es kein Selbstläufer, wenn ein Rennfahrer über ein Jahrzehnt hinweg und länger um Siege und WM-Titel kämpft.

"Natürlich ist das Niveau hoch, wenn du an der Spitze kämpfen willst. Du kannst es dir nicht erlauben, viele Fehler zu machen. Wer auch immer an der Spitze fährt oder in der Vergangenheit über viele Jahre dort gefahren ist, hat in der Regel ein hohes Level und bringt dafür hohe Anstrengungen auf - nicht nur dabei, auf der Rennstrecke alles zusammenzubringen, sondern auch abseits davon. Es ist sehr viel Arbeit. Manchmal wird sie anerkannt, manchmal nicht."