2018 wird der Cockpit-Schutz Halo in der Formel 1 eingeführt. Doch es gibt am unästhetischen Bügel mehr Kritik als nur die Optik. Warum die nicht immer berechtigt ist und wie sich die FIA selbst in die Zwickmühle brachte.

Für viele Formel-1-Puristen ging der 19. Juli 2017 als schwarzer Tag in die Geschichte ein. An diesem Mittwoch tagte in Genf zum ersten Mal in der Geschichte die Strategiegruppe der Formel 1 in Anwesenheit aller Teams und nicht nur im kleinen Kreis der Privilegierten. Doch das dürfte Puristen eher erfreuen, denn als schwarzer Tag in die Annalen eingehen. Grund für den Missmut der Fans ist der Beschluss, 2018 den Cockpit-Schutz Halo in die Königsklasse einzuführen. Dabei war es gar keine Entscheidung der Teams, den unförmigen Bügel verpflichtend ab der kommenden Saison auf die Autos zu bauen. Es war in letzter Konsequenz die Entscheidung von FIA-Präsident Jean Todt. Nach monatelangem Hin und Her war es Todt leid: die Sicherheit in der Formel 1 muss verbessert werden - und sei es mit einem Teil, das selbst auf einem Traktor deplatziert wirken würde.

Den Anfang nahm das Unheil im Juli 2009, als Henry Surtees, Sohn des legendären Motorrad- und Formel-1-Weltmeisters John Surtees, bei einem Rennen der Formel 2 tödlich verunglückte. Ein herumfliegendes Rad traf den Nachwuchspiloten am Kopf - Surtees verlor sofort das Bewusstsein und verstarb wenig später im Krankenhaus. Eine Woche später kam Felipe Massa auf dem Hungaroring gerade noch so mit dem Leben davon, als ihn eine Stahlfeder am Helm traf. Im Oktober desselben Jahres trat Jean Todt die Nachfolge von Max Mosley als FIA-Präsident an und gab als oberstes Ziel aus, Leben zu retten - sowohl im Straßenverkehr, als auch im Motorsport. Die FIA forschte zu diesem Zeitpunkt bereits an weiteren Sicherheitsverbesserungen der Formel 1, vor allem im Bereich des relativ schlecht geschützten Kopfes. Doch die beiden Unfälle von Surtees und Massa beschleunigten die Projekte enorm.

Als 2015 Jules Bianchi beim Japan GP schwer verunglückte und im Jahr darauf an den Folgen des Unfalls verstarb, gab es für die FIA kein Zurück mehr: der Kopf des Fahrers muss besser geschützt werden. Als Mercedes mit der Idee des Heiligenscheins aufkam, war das Sicherheitsinstitut der FIA sofort Feuer und Flamme für diese Lösung. Im Labor wurde der Bügel weiterentwickelt und schließlich bei den Wintertests 2016 erstmals auf ein Auto montiert. Praktische Probleme gab es keine, aber viel Hohn und Spott von Fans und Fahrern. Auch nach ausgiebigen Tests in Trainingssitzungen konnten aus Fahrersicht keine Beeinträchtigungen festgestellt werden. Die FIA war fest entschlossen, Halo 2017 einzuführen. Doch den Teams war das zu kurzfristig, sie hatten ihre Autos schon entwickelt - ohne Halo. Um Zeit zu schinden, um möglicherweise noch eine schönere Lösung zu finden, wurde der Kopfschutz auf 2018 verschoben - verbindlich.

Die Entwicklung des AFP (Additional Frontal Protection), wie die FIA den zusätzlichen Cockpit-Schutz intern bezeichnet, ging weiter. Jeder wusste, der Automobilweltverband will 2018 unbedingt etwas auf dem Cockpit, aber niemand wollte Halo. Red Bull entwickelte in Eigeninitiative den Aeroscreen. "Eigentlich wäre der Aeroscreen der beste Schutz, weil er ein Halo mit einer Scheibe ist, die auch kleinere Teile abhalten kann", erklärt Laurent Mekies, FIA Sicherheitsdelegierter. "Aber strukturell ist der Aeroscreen noch nicht stark genug, um einen Reifen abzuhalten. Die Entwicklung geht hier weiter, vielleicht schafft er das in Zukunft." Auch bei der FIA ging die Entwicklung weiter. Insgesamt kamen mehr als zehn verschiedene Varianten auf den Tisch, vom Jet-Cockpit bis zu einem kompletten.

In die engere Auswahl schafften es nur Halo, Aeroscreen und schließlich auch das sogenannte Shield. Der grundlegende Unterschied zum Aeroscreen liegt im Winkel, in dem die gläserne Windschutzscheibe vor dem Cockpit angebracht ist. Doch die Entwickler waren spät dran, der erste Test sollte erst beim Italien GP 2017 stattfinden - das wäre schon zu spät für eine Einführung 2018 gewesen. Ferrari schaffte es mit dem Hersteller Isoclima, schon beim Großbritannien GP einen ersten Prototypen aufs Auto zu bringen. Doch der Prototyp war unausgereift, Testpilot Sebastian Vettel beklagte die verzerrte Sicht. Wenige Tage nach dem Test fand das historische Treffen der Strategiegruppe statt. Die Teams mussten nun wissen, wie die Regeln 2018 aussehen, weil das Monocoque schon wenig später in die Produktion musste. Nach dem missratenen Test war Shield aber keine Alterative mehr. Außerdem schaffte auch Shield den Reifen-Aufprall-Test noch nicht zufriedenstellend. Die Teams wollten wieder auf Zeit spielen - doch darauf ließ sich die FIA nicht noch einmal ein.

Weil Halo der einzig ausgegorene Schutz ist, kommt er in der nächsten Saison. Obwohl Kritiker bemängeln, Halo könnte eine Gefahr darstellen. Bei einem Unfall könnte sich der Bügel verformen und den Fahrer einsperren. Gegenstände könnten auf den Fahrer ungünstig abgelenkt, statt von ihm ferngehalten werden. Doch das Sicherheitsinstitut rund um Laurent Mekies hat auch diese Fälle wissenschaftlich untersucht. "Wir haben keine Zauberformel gefunden", gesteht der Franzose, "aber wir sind sehr analytisch vorgegangen." Untersucht wurden zahlreiche Unfälle aus verschiedenen Serien, bei denen der Kopf des Fahrers gefährdet wurde. Jeder dieser Unfälle wurde in mehrfacher Ausführung simuliert, damit nicht nur der jeweilige Spezialfall betrachtet wurde, sondern auch sehr ähnliche Szenarien, die sich nur um wenige Zentimeter anders abgespielt hätten. Dabei wurde jeder Fall einzeln bewertet. Hätte Halo geholfen, hätte es keinen Unterschied gemacht oder wäre es sogar nachteilig gewesen? Die Antwort war klar: Halo wäre in keinem dieser Fälle nachteilig gewesen. "Wenn man etwas vor den Fahrer baut, ist die Wahrscheinlichkeit geringer, dass ihn ein kleiner Gegenstand trifft", erklärt Mekies. Bei einem Überschlag können sich die Fahrer dank Halo sogar schneller aus dem Auto befreien, weil mehr Platz zwischen Cockpit-Öffnung und Untergrund ist. Und wenn sich Halo verbiegt und der Fahrer nicht mehr aus dem Auto kommt? "Dann müssen wir froh sein, dass Halo auf dem Auto war", meint Mekies. "Wenn nicht, dann wäre wohl der Kopf getroffen worden."

Dass die FIA ihre Agenda so rigoros durchziehen muss, hat noch einen anderen Grund: Was wäre, wenn tatsächlich ein Pilot von einem Rad getroffen wird? Spätestens seit die Bianchi-Familie rechtlich gegen die FIA vorgegangen ist, lässt sich der Automobilweltverband auf solche Spiele nicht mehr ein. Dabei hätte Jules Bianchi bei seinem schrecklichen Unfall in Japan auch Halo nicht helfen können - das haben die Analysen ergeben. Mit der Entwicklung des Cockpit-Schutzes wurde ein Fass geöffnet, das man nicht mehr zu machen konnte. Die Sicherheit steht an erster Stelle. Aber einen Hoffnungsschimmer gibt es für Formel-1-Puristen trotzdem noch: Sobald ästhetischere Lösungen ausgereift sind, könnte die Formel 1 den Heiligenschein zugunsten dieser wieder abnehmen. Bis dahin gilt für die Formel 1 ab 2018 jedoch nicht nur im übertragenen Sinne: breite Reifen, aggressives Aussehen und ein Heiligenschein auf dem Cockpit.

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