Sebastian Vettel und Ferrari heißen die großen Gewinner des Qualifyings zum Singapur Grand Prix auf dem Marina Bay Street Circuit. Nach einem desaströsen Freitag, einer kaum besseren Generalprobe im dritten Training und selbst in Q1 und Q2 noch weiter anhaltender Dominanz von Red Bull Racing, konterte Vettel im alles entscheidenden Q3 mit einer Zauberrunde, wie Mercedes' Niki Lauda den neuen Streckenrekord des Ferrari-Piloten adelte.

Mit einer 1:39.491 Minuten sicherte sich Vettel die Pole Position in Singapur, seine bereits vierte beim Nachtrennen. Schon 2011, 2013 und 2015 hatte Vettel auf dem Straßenkurs den ersten Startplatz klar gemacht. Insgesamt war es Vettels 49. Karriere-Pole, nach Russland und Ungarn aber erst die dritte der Formel-1-Saison 2017. "Endlich sind wir, wo wir sein sollten", atmet Vettel auf. "Ich bin sehr erleichtert, dass wir diese Pole erreicht haben. Auf der Linie habe ich richtig auf den Call gewartet."

Vettel mit Mauer-Crash auf Zauberrunde zur Pole

Kaum war die Ansage von Ferrari dann da, flippte Vettel am Boxenfunk völlig aus vor Freude. Ein Grazie nach dem anderen schallte durch die Leitung. "Ich muss jetzt erstmal runterkommen und mich beruhigen", schnauft Vettel kurz nach dem Aussteigen. "Ich habe echt so laut geschrien wie das Publikum, bin voller Adrenalin."

Denn: Eine Spazierfahrt war dieses Qualifying nicht. Der Weg zur Pole kam eher einer Zitterpartie, einem regelrechten Drahtseilakt gleich. Vettel war am absoluten Limit unterwegs - und darüber hinaus. "In der letzten Runde hatte ich etwas Glück, denn ich habe die Mauer in Kurve 19 gestreift. Nein eigentlich war es kein Streifen, es war ein regelrechter Schlag. Das war schon wie im Tourenwagen, wie ich mich da angelehnt habe", berichtet Vettel. Daraufhin habe er heftige Vibrationen gespürt. "Aber hat ja geklappt. Zum Glück waren dann nicht mehr viele Kurven übrig."

Vettel fürchtete sich vor Red-Bull-Konter

Dabei hätte sich Vettel im Rückblick gar nicht mehr derart reinhängen brauchen. Auch seine Runde aus dem ersten Run (1:39.669 Min.) hätte noch halbwegs komfortabel für die Pole gereicht. "Ich bin mit beiden schnellen Runden in Q3 zufrieden", sagt auch Vettel. Doch musste der Ferrari-Pilot auf Nummer sicher gehen. "Ich habe so hart gepusht wie es nur ging. Ich wusste, dass diese Jungs hier (Ricciardo und Verstappen, Anm. d. Red.) vielleicht noch etwas in der Tasche hatten und ich es absolut richtig hinbekommen muss. Ich war zu diesem Zeitpunkt nicht überzeugt, dass meine Runde genug war", berichtet Vettel.

Ein Eindruck, der nicht von ungefähr kam. "Diese Jungs waren verdammt schnell. Ich weiß nicht wie sie in Q1 eineinhalb Sekunden gefunden haben", wundert sich Vettel noch immer über den starken Stark Red Bulls ins Qualifying. Andererseits mit Blick auf Ferrari und Motoren-Modi: "Es ist normal, dass du etwas konservativer anfängst und dann aufdrehst. Wenn du dir die Bedeutung der Sessions ansiehst - Q1 ist die unwichtigste. Klar, es ist wichtig durchzukommen, aber es ist unwichtig, eine richtig gute Rundenzeit zu fahren", berichtet Vettel Motorsport-Magazin.com.

Vettel weiter: "In Q2 musst du dann in die Top-10 kommen. Natürlich denke ich, dass die schnellen Teams mit den schnellen Autos da einen gewissen Luxus haben. Das ist kein großes Geheimnis, dass sie da etwas konservativer anfangen können und sich dann steigern, um im Q3 dann maximale Power abzurufen."

Ferraris Geheimnis: Charles Leclerc im Simulator!

Doch hätte alleine diese Extra-Power niemals gegen Red Bull gereicht, hätte sich Ferrari über Nacht nicht auch auf anderen Ebenen massiv gesteigert. Doch wie fand die Scuderia von Freitag auf Samstag einmal mehr - schlechte Freitage gab es in dieser Saison bei Ferrari bereits zuhauf - den Stein der Weisen? Vettel verrät das Geheimnis: "Wir haben nach einem etwas missglückten Freitag sehr viel gearbeitet. Unsere Jungs hier in Singapur haben fast rund um die Uhr geschuftet, um uns für heute Samstag ein besseres Auto hinzustellen. Ich weiß gar nicht, wann sie ins Bett sind."

Damit nicht genug. Ein vielleicht noch größere Schlüsselrolle kommt der Heimat und einem Nachwuchsfahrer Ferraris zu. "Leclerc saß in Maranello im Simulator, er wechselt sich da mit Antonio Giovinazzi ab. Sie können die Antworten finden, die Kimi und mir verschlossen bleiben, weil unsere Zeit auf der Strecke nicht reicht", berichtet Vettel. Ähnliches hatte Teamchef Maurizio Arrivabene bereits in Ungarn berichtet, als Ferrari eine vergleichbare Renaissance erlebte.

Formel 1: Ferrari-Land in Singapur? (02:45 Min.)

"Das Auto war heute somit viel besser und wurde lebendig", lobt Vettel. Aber nicht sofort. "Gestern war es schwierig, auch heute Nachmittag noch. Aber heute Nacht ist das Auto eben richtig lebendig geworden. Erst heute Abend ist das Auto wirklich so gewesen, wie ich es mir erhofft hatte. Und wenn du das hier in Singapur spürst, dann ist das im Auto ein unschlagbares Gefühl", schildert Vettel. "Es war, als hätten wir einen Schalter umgelegt. Es war viel besser. Ich wusste, dass auch die Strecke besser werden würde. Aber vielleicht nicht so viel", ergänzt der WM-Zweite.

Sebastian Vettel, König der Nacht von Singapur

Apropos Strecke: Der Marina Bay Street Circuit selbst spielte ebenfalls eine gewichtige Rolle bei der Vettel-Auferstehung. "Ich liebe diese Strecke, und ich wusste, dass der Speed im Auto steckt, wir mussten es nur schaffen, das aus dem Auto zu holen", sagt der viermalige Singapur-Sieger.

Mit Blick auf das Rennen bietet sich Vettel nun noch dazu eine extrem gute Gelegenheit im WM-Kampf. Lewis Hamilton startet nur von P5, beide Red Bull und Kimi Räikkönen liegen zwischen dem Briten und Vettel. Jede Menge Potential also für Punktediebe. Doch Vettel selbst möchte an derlei Zahlenspiele erst nach dem Rennen denken. Erst einmal müsse er selbst den Sieg einfahren.

Vettel: " Es wird ein hartes, langes Rennen. In diesem Rennen kann so viel passieren. Wenn unser Auto heute gut war, dann ist das vielversprechend für Sonntag, aber es ist noch keine Garantie für ein gutes Ergebnis. Ich darf zuversichtlich sein. Und die anderen ... mein erster Gegner ist Max, dann muss ich auf Ricciardo achten und so weiter. Es kümmert mich nicht so sehr, wo andere Leute (gemeint: Hamilton, Anm. d. Red.) dann sind.