Mit dem elften Rennen zur Formel-1-Saison 2017 steht auf dem Hungaroring traditionell die Sommerpause vor der Tür. Für Fahrer und Teams bedeutet das: Es geht um mehr als nur WM-Punkte. In den vier Wochen zwischen Budapest und Spa-Francorchamps möchte jeder gerne auf ein Erfolgserlebnis zurückschauen, statt sich den Kopf über verpasste Ziele zu zerbrechen. Vor allem an der Spitze der Gesamtwertung geht es um den psychologischen Vorteil, als WM-Leader in den Urlaub zu reisen. Das sind die sechs Brennpunkte in Ungarn.

Brennpunkt #1: Vettel trotz Vollgas weiter im Rückwärtsgang?

Sebastian Vettel führt die Weltmeisterschaft seit dem Saisonauftakt in Melbourne an. Doch nach 18 Wochen an der Sonne, könnte die WM-Führung pünktlich zur Sommerpause tatsächlich in die Hände des großen Rivalen fallen. Seit der Silverstone-Pleite liegt Vettel in der Gesamtwertung nur noch einen Punkt vor Lewis Hamilton - und während der Mercedes-Pilot zwei der letzten vier Grands Prix gewinnen konnte, wartet Vettel seit Monaco auf den nächsten Sieg. Die Durststrecke nervte den Ferrari-Star schon bei seiner Niederlage gegen Valtteri Bottas in Österreich gewaltig: "Von außen kann man jetzt sagen, das sei gierig. Aber ich glaube, darum geht es ja im Sport - gierig zu sein."

Nachdem Vettels Gier auch in Silverstone nicht gestillt wurde, hat sich seine Sieglos-Periode mittlerweile auf über acht Wochen ausgedehnt. Für einen Piloten der Anspruch auf den Weltmeistertitel erhebt, nicht gerade ein Wunschszenario. "Es stimmt vielleicht, dass Mercedes in den vergangenen Rennen etwas stärker war", stellte Vettel in Großbritannien ohne Umschweife fest. Während sein SF70-H in Sachen Rennpace beinahe jedes Mal mit den Silberpfeilen mithalten konnte, macht ihm vor allem das Defizit im Zeittraining zu schaffen. "Wir arbeiten daran, aber das passiert nicht über Nacht. Wir dürfen nicht vergessen, wo wir herkommen. Uns ist der größte Schritt von allen Teams gelungen", gab Vettel zu bedenken.

Der Verlust seines nahezu gesamten Punktepolsters stellte für ihn aber trotz allem keinen Grund zur Panik dar. "Ich kümmere mich nicht wirklich um die Punkte", gab Vettel sich abgeklärt. Dementsprechend wird er auch in Ungarn mit dem gewohnten Mindset zu Werke gehen: "Du versuchst immer in dem Moment, in dem du bist, das beste Rennen zu fahren. Es macht zu diesem Zeitpunkt des Jahres keinen Sinn, etwas zu managen. Jetzt ist Vollgas angesagt." Angesichts Mercedes' aktueller Formkurve könnte es aber selbst mit Vollgas eng werden, die WM-Führung in die Sommerpause zu retten.

Brennpunkt #2: Hamilton vor Punktsieg gegen Vettel

Lewis Hamilton könnte in Ungarn erstmals 2017 die WM-Führung übernehmen, Foto: LAT Images
Lewis Hamilton könnte in Ungarn erstmals 2017 die WM-Führung übernehmen, Foto: LAT Images

Während WM-Leader Vettel angesichts seiner anhaltenden Sieglosigkeit versucht, mit Vollgas zurück auf die Erfolgsspur zu gelangen, kann Lewis Hamilton mit einem weiteren Triumph in Ungarn dem Rivalen den nächsten Tiefschlag im WM-Kampf verpassen. Vor wenigen Wochen sprach Hamilton in Österreich angesichts von 20 Punkten Rückstand noch von einer unkomfortablen Situation im WM-Kampf. "Je größer der Abstand wird, desto mehr baut sich Druck auf", so der dreimalige Weltmeister, nachdem er in Spielberg einen Getriebewechsel wegstecken musste und auch Mercedes-Teamchef Toto Wolff unterstrich, dass sein Pilot "wirklich nicht seine besten Tage" erlebte.

Beim Heimrennen in Silverstone wandte sich für Hamilton dann von einem auf den anderen Tag alles zum Guten. Mit seinem fünften Sieg auf britischem Boden inklusive Reifen-Pech bei Ferrari schmolz der Rückstand auf Vettel dahin. "Wir sind jetzt aber in einer viel besseren Position, weil wir nicht mehr diesen Rückstand haben", freute sich Hamilton, der sich mit Achterbahn-artigen WM-Duellen jedoch auskennt und nicht von einem neuen Kräfteverhältnis sprechen wollte: "Ich halte es immer für schwierig, von einem Wendepunkt zu sprechen."

Andererseits wird Hamilton auf dem Hungaroring alles daran setzen, an der WM-Spitze für eine neue Hackordnung zu sorgen. "Ich liebe es gerade zu fahren, fühle mich auf meinem Höhepunkt und denke, dass ich besser fahre denn je. Hoffentlich können wir das ins nächste Rennen mitnehmen", so der 32-Jährige, der vor den Toren Budapests bereits fünf Mal siegreich war. "Er fährt da toll", betonte Wolff, der jedoch auch an die schwachen Vorstellungen seines Star-Piloten in Sochi und Monaco erinnerte: "Mit den neuen Regeln ist nicht in Stein gemeißelt, dass es so läuft wie in der Vergangenheit."

Brennpunkt #3: Favoritenrolle, nein danke.

Mercedes ist am Drücker, will von der Favoritenrolle im Kampf gegen Ferrari jedoch nichts wissen, Foto: LAT Images
Mercedes ist am Drücker, will von der Favoritenrolle im Kampf gegen Ferrari jedoch nichts wissen, Foto: LAT Images

Nach Siegen steht es zwischen den WM-Aspiranten von Mercedes und Ferrari nach zehn Rennen sechs zu drei. Drei ihrer sechs Triumphe konnten die Silberpfeile in den letzten vier Rennen erringen, doch Toto Wolff will von der Favoritenrolle nach diesem starken Aufwärtstrend trotzdem nichts wissen. "Wenn man das sagt, reist man zum nächsten Rennen und bekommt einen Schlag ins Gesicht", so der Österreicher, dessen Team gerade in den vergangenen Jahren in Budapest oft Probleme hatte. "Ich würde gern sehen, wie das Auto in Budapest funktioniert mit langsamen Kurven, hohen Temperaturen und viel Abtrieb. Dann wissen wir vielleicht mehr."

Was Mercedes jetzt schon ganz sicher weiß, ist, dass das Team mit 55 Punkten Vorsprung definitiv als WM-Leader der Konstrukteurswertung in die Sommerpause gehen wird. "Wir gehen mit einer Führung in die Sommerpause, das ist schön", bemerkte auch Wolff nach dem großen Punktsieg in Silverstone. Bei Ferrari herrschte hingegen große Ernüchterung, nachdem die Italiener bei einem Rennen satte 22 Punkte auf die Silberpfeile einbüßten. "Die harten Tatsachen sind, dass wir hier eine Menge Punkte in beiden Meisterschaften verloren haben - Fahrer- und Konstrukteurs-WM", so Ferrari-Teamchef Maurizio Arrivabene.

Brennpunkt #4: Red Bull in Budapest am Drücker?

Vater Jos prophezeit für Budapest ein Podium von Sohn Max Verstappen, Foto: Sutton
Vater Jos prophezeit für Budapest ein Podium von Sohn Max Verstappen, Foto: Sutton

Red Bull hatte keine einfache erste Saisonhälfte. An den vergangenen fünf Rennwochenenden gab es in den Reihen der Österreicher immer einen Pechvogel. Meistens war es Max Verstappen, der erst beim letzten Rennen in Silverstone wieder zurück in die Spur fand und nach einem starken Zweikampf mit Sebastian Vettel Vierter wurde. "Vierter zu werden ist nicht allzu schlecht. Wahrscheinlich sogar eine Position besser, als wir erwartet hatten", freute sich der 19-Jährige, dessen Vater Jos Verstappen gegenüber dem niederländischen Sender RTL GP den nächsten Coup seines Sohnemanns prophezeite. "Max wird definitiv unter den Top-3 sein. Ich denke die Reihenfolge wird Vettel, Max und Hamilton lauten", so der ehemalige Formel-1-Pilot.

Im Gegensatz zu Verstappen waren die ersten zehn Saisonrennen 2017 für Teamkollege Daniel Ricciardo eine regelrechte Erfolgsstory. Zwischen Barcelona und Spielberg stand er ganze fünf Mal in Folge auf den Podest, darunter ein Sieg in Baku. Und selbst ein Wechsel von Getriebe und Power Unit konnte den Australier in Silverstone nicht davon abhalten, vom 21. auf den 5. Platz nach vorne zu fahren. "Man kann sagen, dass der Honey Badger bei den letzten sechs Rennen am Sonntag auf jeden Fall am Start war", freute sich Ricciardo, der in Ungarn bei den seinen letzten drei Auftritten jeweils auf dem Podest stand - inklusive Sieg 2014: "Ich liebe die Strecke und es lief dort für mich immer gut. Ich hatte dort einige großartige Wochenenden, sogar noch vor meiner Zeit in der Formel 1."

Brennpunkt #5: McLaren setzt alles auf eine Karte

McLaren will in Budapest aus eigener Kraft in die Punkte fahren, Foto: LAT Images
McLaren will in Budapest aus eigener Kraft in die Punkte fahren, Foto: LAT Images

In Silverstone konnte Fernando Alonso in Q1 mit einer überraschenden Bestzeit für Aufsehen sorgen, doch unter dem Strich war das Heimspiel von McLaren wieder einmal ein Schuss in den Ofen. Alonso war nach einem Power-Unit-Wechsel mit einer Strafversetzung von 30 Positionen ohnehin schon in der Startaufstellung chancenlos und Stoffel Vandoorne konnte trotz eines Startplatzes in den Top-10 nicht in die Punkteränge fahren. In Ungarn rechnet sich das Team jedoch gute Chancen aus, aus eigener Kraft in die Punkte zu fahren.

Der winklige Hungaroring dürfte, ähnlich wie Monaco, dem MCL32 entgegenkommen. "Auf dem Papier stellt der Hungaroring für uns eine der besten Chancen in diesem Jahr dar. Der kurze, kurvige Kurs bedeutet, dass wir weniger von der Motorleistung abhängig sind" so Alonso, dessen Strafen in Großbritannien mit einer gewissen Weitsicht in Kauf genommen wurden. "Wir haben in Silverstone in Bezug auf die Strafversetzungen zur Vorbereitung auf dieses Rennen [in Ungarn] einige große Entscheidungen getroffen", so der Spanier weiter.

Brennpunkt #6: Endstation für Palmer?

Robert Kubica vor F1 Comeback? (02:04 Min.)

Für Jolyon Palmer könnte der Große Preis von Ungarn der vorerst letzte Auftritt in der Formel 1 sein. Der Brite in Renault-Diensten steht bereits seit Saisonbeginn in der Kritik und seine bisher punktelosen Darbietungen in diese Saison haben nur wenig geholfen, das Vertrauen des Teams in seine Fähigkeiten zurückzugewinnen. Renaults Managing Director Cyril Abiteboul zerschlug in Silverstone zwar Gerüchte über eine kurzfristige Verpflichtung von Carlos Sainz als Ersatz, garantierte Palmer dabei jedoch lediglich, auch in Budapest im Auto zu sitzen. Da von der zweiten Saisonhälfte keine Rede war, scheint die einzige offene Frage zu sein, wer nach der Sommerpause statt Palmer im Renault neben Nico Hülkenberg sitzen wird.

Beim zweitätigen offiziellen Test auf dem Hungaroring wird Robert Kubica erstmals die Möglichkeit erhalten, in einem 2017er Boliden auf die Strecke zu gehen. Mit dieser Standortbestimmung des Polen dürfte Renault in erster Linie feststellen wollen, ob dieser fit genug für einen Renneinsatz in der Königsklasse ist. Eine Rückkehr Kubicas scheint wahrscheinlich, ist aber alles andere als in Stein gemeißelt. Denn sollte sich seine Performance im R.S.17 als unzureichend erweisen, könnte dies für Palmer noch eine Galgenfrist bedeuten. Allein der Test Kubicas dürfte dem Briten jedoch vor Augen führen, wie ernst es um seine F1-Karriere steht.