Zwei Rotphasen, schier unzählige Safety Cars, sechs Ausfälle und Dreher ohne Ende - so lautete die Bilanz des spektakulären Brasilien Grand Prix. Der Regen von Sao Paulo stellte die Nerven der Fahrer ordentlich auf die Probe. Und in die Streckenbegrenzungen. Das halbe Feld hatte arge Probleme, die Autos bei den nassen Bedingungen zu kontrollieren. Besonders in der letzten Kurve segelten die Piloten reihenweise ab. Dazu Kimi Räikkönens heftiger Unfall mitten auf der Start/Ziel-Geraden.
Nach der Crash-Orgie zogen die Fahrer Bilanz - und die fiel vor allem für Reifenhersteller Pirelli alles andere als positiv aus. Einige Piloten haderten mit der Tauglichkeit der Regenreifen, die während des gesamten Rennens zum Einsatz kamen. "Wir haben einen Regenreifen, der nicht für Regen gemacht ist", formulierte es Sebastian Vettel - ohnehin kein Freund von Pirelli - recht drastisch. Der vierfache Weltmeister weiter: "Ich glaube, wir brauchen ganz einfach bessere Reifen. So viel Regen war es nicht."
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Endgegner: Aquaplaning
Dabei waren es nicht allgemein die nassen Verhältnisse, die den Fahrern zu schaffen machten. Vielmehr sorgte das auftretende Aquaplaning an einigen Stellen für wilde Fahrmanöver. Auf dem Weg zur Start/Ziel-Geraden erwischte es Marcus Ericsson und Felipe Massa kapital, Vettel und Fernando Alonso drehten sich ohne weitere Schäden. Max Verstappen rettete sich in letzter Sekunde, wenig später gelang Nico Rosberg eine ähnliche Rettungstat.
Kurios: Romain Grosjean flog an gleicher Stelle sogar noch vor dem Rennen ab, als er den Weg in Richtung Startaufstellung suchte. "Ich habe keine Ahnung, was da passiert ist", sagte der Franzose, der von Platz sieben gestartet wäre. "Ich habe zwei weitere Autos mit dem gleichen Problem gesehen - also müssen wir die Regenreifen verbessern. In meinem Fall habe ich nicht mal Gas gegeben. Das zeigt, dass der Regenreifen ziemlich schwach ist und keinen Grip bietet. Du musst sehr viel riskieren und kannst das Auto auf der Geraden nicht kontrollieren."
Ist der Regenreifen zu schlecht?
Nun stellt sich die Frage: Hat Pirelli einen schlechten Regenreifen gebaut, oder waren die Bedingungen in Interlagos wirklich zu extrem? Für die Rennleitung erschien die Angelegenheit eindeutig, FIA-Leiter Charlie Whiting befahl zwei aufeinanderfolgende Rotphasen - wenn auch zum Unverständnis vieler Fahrer und Zuschauer. Doch war am Ende insbesondere das Aquaplaning verantwortlich?
Nico Hülkenberg: "Von zuhause sieht es vielleicht entspannt aus, im Auto aber nicht. Die Reifen und die Autos kriegen so schnell Aquaplaning, das kann man nicht verantworten als Fahrer. Es ist wirklich Selbstmord, wenn man weiterfährt. Speziell in der letzten Kurve war es brutal."
Bei all der Kritik hatte Pirelli sicherlich keinen leichten Job. Der Rennsonntag war der erste Tag, an dem es dieses Jahr regnete. Der Reifenlieferant konnte nur bedingt auf Daten zurückgreifen, denn: Vor zwei Jahren wurde ein neues Asphaltband in Interlagos aufgelegt. Dadurch ändern sich die Gripverhältnisse natürlich drastisch, auch, wenn kleinere nationale Serien während des Jahres die Strecke benutzen.
Pirelli zunächst optimistisch
Am Freitag vor dem Rennen hatte Pirelli-Manager Mario Isola noch optimistisch geklungen. "Wenn man neuen Asphalt hat, könnte das den Grip ziemlich verringern", sagte er zu Motorsport-Magazin.com. "Aber weil sie die Strecke auf während des Jahres benutzen, ist der gut eingefahren. Ich denke also nicht, dass es mit den Regenreifen oder Intermediates Probleme geben wird." Dabei betonte er, dass die Fahrer sich vor Stellen, an denen viel Wasser steht, in Acht nehmen sollten. Aber: "Das Grip-Level sollte akzeptabel sein."
An den kritischen Stellen reichte der Grip der Regenreifen aber offenbar nicht immer aus. Die diesjährige Heavy Wet-Mischung soll laut Angaben von Pirelli ein möglichst weites Spektrum an Bedingungen abdecken. Auch auf abtrocknender Strecke sei der Reifen fahrbar, der pro Sekunde bis zu 65 Liter Wasser verdrängen kann. Ist der aktuelle Regenreifen vielleicht nicht speziell genug, um auch den härtesten Bedingungen Herr zu werden? Das Problem mit Aquaplaning ist nicht erst seit Brasilien bekannt.
Fahrt ins Ungewisse
"Wenn man durch mehr Wasser fährt, weiß man nicht, was passiert", sagte Nico Rosberg. "Es ist komplett unvorhersehbar. Die Reifen kommen nicht gut mit Aquaplaning klar." Vor diesem Hintergrund könnte die Entscheidung der Rennleitung, zweimal abzubrechen, etwas verständlicher werden. "Es ist unglaublich, wie schwierig und gefährlich es war", meinte Carlos Sainz, der sich durch den Regen bis auf Platz sechs kämpfte. "Das Aquaplaning war stark. Ich mache den Rennleiter deshalb keinen Vorwurf, bei diesen Bedingungen etwas sensibler gewesen zu sein."
Der Regenreifen als Problem-Reifen. Das wurde auch bei Pirelli erkannt. Im kommenden Jahr soll es anders laufen bei Regenrennen. Eine neuartige Mischung soll Abhilfe schaffen. "Sie arbeiten daran und führen Tests durch", sagte Rosberg. "Wir werden sehen, ob sie für nächstes Jahr Fortschritte erzielen können. Das wäre auch gut für das Racing, weil dann nicht mehr mit roter Flagge unterbrochen werden müsste." Pirelli drängt sehr darauf, vor dem Beginn der Saison 2017 einen Regen-Test mit den neuen Autos durchzuführen.
2017 wird es besser
Max Verstappen glaubte, dass sich die Situation nächstes Jahr verbessern wird. Eine Folge aus der Kombination neuer Reifenmischungen gepaart mit den neuartigen Rennwagen. "Dann sollte es gelöst sein", sagte der Niederländer. "Es wird viel einfacher werden, die Autos im Regen zu fahren, weil wir viel mehr Downforce haben. Wir arbeiten an einer Verbesserung der Reifen, aber der erhöhte Abtrieb sollte schon helfen."
Während das halbe Fahrerlager auf die Gefahr des Aquaplaning aufmerksam machte, nahm es einer sichtlich locker: Rennsieger Lewis Hamilton. Dem Mercedes-Piloten gelang in der Tat ein völlig fehlerfreies Rennen. "Das ist die Formel 1 und Regen sorgt für die kniffligsten Verhältnisse", sagte der Mercedes-Pilot. "Wenn jeder nur rumfahren und keine Fehler machen würde, wäre es zu einfach und jeder könnte das machen. Je schneller wir fahren, desto härter wird es für die Reifen. In Sachen Aquaplaning gab es auch schon viel schlimmere Rennen."
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