Montag vor dem Spa-Wochenende: Motorsport-Magazin.com ist zu Besuch bei Renault Sport F1 in Enstone. Infiniti hatte zum Finale der Engineering Academy geladen. Techik-Chef Bob Bell führ uns in einen im Hügel integrierten Eingang. Es wirkt wie der Eingang zu einem Bunker. Ist es aber nicht. Der Gang führt zu einem lichtdurchfluteten Großraumbüro für Ingenieure. Lediglich die Ingenieure fehlen.

Renaults letzter Titel liegt schon lange zurück, Foto: FIA
Renaults letzter Titel liegt schon lange zurück, Foto: FIA

Die schlauen Köpfe haben aber nicht etwa ihre Sommerpause verlängert. "Sie sind nicht mehr hier in diesem Gebäude", erklärt Bob Bell. "Wir strukturieren hier komplett um." Es ist nur ein Zeichen des Umbruchs, den es gerade in Enstone gibt. Renault hatte das marode Lotus-Team Ende des vergangenen Jahres übernommen und baut jetzt zum zweiten Mal das Werksteam in Großbritannien auf.

In der Eingangshalle begrüßen die beiden Weltmeisterboliden von 2005 und 2006 die Besucher. Dorthin wollen die Franzosen zurück: Zu Siegen und Titeln. Renault hat sich das Unterfangen Formel-1-Weltmeister schon Mitte der 2000er Jahre viel kosten lassen. Der damalige Chefdesigner Mark Smith sagte kürzlich im Interview zu uns über die verrückten Zeiten bei Red Bull: "Es war nicht nur Red Bull: Als ich von 2001 bis 2004 bei Renault war, hatte Renault ein ziemlich gesundes Budget."

Neue Strukturen entstehen

Renault hat die Zeichen der Zeit erkannt und weiß, dass es heute nicht billiger ist, auf Spitzen-Niveau mitzufahren. Dazu gehört nicht nur die Motorenfabrik in Viry, sondern auch der Chassis-Standort Enstone. Red Bull zeigt ziemlich eindrucksvoll, was mit der aktuellen Renault-Power-Unit möglich ist.

"Der Wiederaufbau läuft gut", erklärt Bell. "Es gibt ein sehr großes Investment in das Team. Renault hat damit begonnen, uns mit den Werkzeugen auszustatten, die wir brauchen, um das Team voranzubringen. Wir erneuern Maschinenwerkzeuge und Equipment, um angefangen vom Windkanal-Modell bis hin zu fertigen Fahrzeugteilen alles herstellen zu können. Das funktioniert schon richtig gut."

Seit Renaults werksseitigem Ausstieg Ende 2009 wurde in Enstone nicht mehr richtig investiert. Dem kleinen Lotus-Rennstall fehlten die finanziellen Möglichkeiten, um mit den Big Boys mitzuhalten. Entsprechend müssen erst die Strukturen entstehen, bevor die Ergebnisse am Auto sichtbar werden. Der diesjährige Renault ist der unter extremem Geldmangel entwickelte Lotus-Bolide.

Erst jetzt beginnt die Arbeit von Renault langsam Früchte zu tragen. Kurz vor der Sommerpause zeigte sich der R.S. 16 deutlich verbessert, schien Manor und Sauber enteilt zu sein. Doch der Rückstand auf Red Bull, von Mercedes ganz zu schweigen, ist noch immer enorm.

Mercedes und Red Bull als Vorbilder

Bell versucht, Druck rauszunehmen: "Wenn man sich die Historie ansieht, ist es so: Renault hat fünf Jahre gebraucht, um die erste Weltmeisterschaft zu gewinnen, nachdem man Benetton gekauft hatte. Mercedes hat ebenfalls fünf Jahre gebraucht, um die erste Weltmeisterschaft nach dem Kauf von Brawn zu gewinnen. Und bei Red Bull hat es ebenfalls fünf Jahre nach dem Kauf von Jaguar gedauert, bis sie die erste Weltmeisterschaft gewonnen haben."

"Für mich ist ein Zeitfenster von fünf Jahren, von unserem heutigen Standpunkt bis hin zum Gewinn einer Weltmeisterschaft nicht unrealistisch", glaubt der Renault Technik-Chef. "Wir würden das gerne schneller schaffen und wir werden auch alles dafür geben, aber es ist kein unrealistisches Zeitfenster."

Red Bull zeigt Renault vor, was mit einem guten Chassis möglich ist, Foto: Sutton
Red Bull zeigt Renault vor, was mit einem guten Chassis möglich ist, Foto: Sutton

Allerdings gab es bei den von Bell genannten Beispielen immer einen Umbruch im Reglement: 2005 waren Reifenwechsel verboten und Ferrari büßte einen großen Vorteil bei der Reifenentwicklung ein, 2010 war das erste Jahr der neuen Aerodynamik-Regeln ohne den Doppel-Diffusor und 2014, als Mercedes die Sieges-Serie startete, wurden die Power Units eingeführt.

Der nächste große Umbruch in der Formel 1 steht 2017 an, wohl zu früh für Renault. "Aber ich denke, der Umbruch ist gut für uns, alles wird ein bisschen zurückgestellt. In unserer Position ist das ein Vorteil", glaubt Bell. Leidet Renault vielleicht in diesem Jahr besonders, weil die Entwicklung schon früher in Richtung 2017 ging? "Nicht alles, das wir im Moment für das aktuelle Auto entwickeln, muss man für das nächste Jahr wegschmeißen. Es gibt Elemente, die man mitnehmen kann."

Dabei ist die große Baustelle bei Renault das Chassis und ausgerechnet dort bleibt 2017 kaum ein Stein auf dem anderen. "Es gibt aber mechanische Dinge wie Aufhängungskonzepte, die man mitnehmen kann. Auch bei der Aerodynamik gibt es das. Es sind keine konkreten Teile, die man im nächsten Jahr noch hernehmen kann, aber es geht um das Verständnis, wie der Luftfluss funktioniert und interagiert. Es geht mehr um Konzepte, als um Teile."