Ja, es sind nur Testfahrten. Und ja, man soll sie nicht überinterpretieren. Trotzdem laufen nicht nur die tausenden Sensoren für die Ingenieure, sondern auch die Stoppuhr für uns. Und die Uhr lügt nicht. Ja, man kann sie mit verschiedenen Reifen und mit unterschiedlichen Benzinmengen in die Irre führen, aber trotzdem lassen sich erste Erkenntnisse gewinnen. Motorsport-Magazin.com liefert die Analyse zu den ersten Wintertestfahrten in Barcelona.

Am einfachsten ist natürlich der Blick auf die schnellsten Rundenzeiten. Doch im Gegensatz zu den Rennwochenenden haben die Teams bei den Testfahrten komplett freie Reifenwahl. Pirelli brachte vom Ultrasoft bis zum harten Reifen alle Mischungen an den Circuit de Barcelona-Catalunya. Die Teams durften sich ihre Reifen innerhalb des Test-Kontingentes selbst aussuchen.

Und die Herangehensweisen waren durchaus unterschiedlich: Während unter anderem Red Bull und Ferrari schon die Ultrasoft-Reifen testeten, ging Mercedes nicht über die Medium-Reifen hinaus. Doch mit Erfahrungswerten lassen sich die Zeiten korrigieren. Natürlich ist die Umrechnung fehlerbehaftet, aber das Bild ist deutlich realistischer als die nicht relativierte Tabelle.

Reifen-Korrektur-Faktor bringt Licht ins Dunkle

Die absolut schnellste Runde der ersten vier Testtage drehte Sebastian Vettel mit dem neuen Ferrari SF16-H auf Ultrasofts. Nico Rosberg war auf Medium gut zwei Sekunden langsamer als Vettel. Mit den Korrektur-Faktoren ergibt sich ein realistischer anmutendes Bild.

Force India machte in Barcelona einen hervorragenden Eindruck, Foto: Sutton
Force India machte in Barcelona einen hervorragenden Eindruck, Foto: Sutton

Im vergangenen Jahr brachte Pirelli die Mischungen Hart und Medium nach Barcelona. In diesem Jahr wird es noch eine dritte Mischung geben, die Soft-Reifen kommen nach Spanien. Der Sprung von Soft auf Medium ist besonders groß. Pirellis Analysen sprechen von 1,2 Sekunden. Die Supersofts sind hingegen nur 0,5 Sekunden schneller als die Softs. Bei den Ultrasofts sind die Erfahrungswerte geringer. Die Italiener gehen nochmal von einem Vorteil von 0,8 Sekunden auf den Supersoft aus. Der harte Reifen wurde wegen der niedrigen Temperaturen übrigens kaum gefahren.

Hülkenberg virtuell Schnellster

Wir rechnen auf den Soft-Reifen, weil er in diesem Jahr wohl im Qualifying zum Einsatz kommen wird. Rechnet man die Zeit-Handicaps mit in das Klassement ein, ergibt sich eine überraschende Reihenfolge: Nico Hülkenberg führt das Tableau plötzlich mit Mini-Vorsprung vor Nico Rosberg an. Auf Rang drei folgt Sebastian Vettel mit vier Zehntelsekunden Rückstand. Dahinter schon Sergio Perez im zweiten Force India.

Pos Fahrer Team Reifen Zeit Handicap Korr. Zeit Gap
1 Hülkenberg Force India SS 1:23,110 + 0,5 1:23,610
2 Rosberg Mercedes M 1:24,867 - 1,2 1:23,667 + 0,057
3 Vettel Ferrari US 1:22,810 + 1,2 1:24,010+ 0,400
4 Perez Force India SS 1:23,650 + 0,5 1:24,150+ 0,540
5 Sainz Toro Rosso M 1:25,393 - 1,2 1:24,193+ 0,583
6 Hamilton Mercedes M 1:25,409 - 1,2 1:24,209+ 0,599
7 Räikkönen Ferrari US 1:23,477 + 1,2 1:24,677+ 1,067
8 Ricciardo Red Bull US 1:23,525 + 1,2 1:24,725+ 1,115
9 Celis Force India S 1:24,840 1:24,840+ 1,230
10 Ericsson Sauber S 1:25,237 1:25,237+ 1,627
11 Magnussen Renault S 1:25,263 1:25,263+ 1,653
12 Verstappen Toro Rosso M 1:26,539 - 1,2 1:25,339+ 1,729
13 Kvyat Red Bull US 1:24,293 + 1,2 1:25,493+ 1,883
14 Gutierrez Haas S 1:25,524 1:25,524+ 1,914
15 Bottas Williams S 1:25,648 1:25,648+ 2,038
16 Grosjean Haas S 1:25,874 1:25,874+ 2,264
17 Wehrlein Manor S 1:25,925 1:25,925+ 2,315
18 Nasr Sauber S 1:26,053 1:26,053+ 2,443
19 Alonso McLaren S 1:26,082 1:26,082+ 2,472
20 Palmer Renault S 1:26,189 1:26,189+ 2,579
21 Massa Williams S 1:26,483 1:26,483+ 2,873
22 Button McLaren S 1:26,735 1:26,735+ 3,125
23 Haryanto Manor S 1:28,249 1:28,249+ 4,639

Natürlich sind Benzinladungen und Motormodi, mit denen diese Rundenzeiten entstanden sind unbekannt und wahrscheinlich hat Force India die Karten auch schon etwas mehr aufgedeckt als die Top-Teams, aber ganz aus der Luft gegriffen ist diese Reihenfolge nicht. Der VJM09 ist ein Weiterentwicklung der B-Spezifikation des VJM08. Und beim letzten Saisonlauf in Abu Dhabi war Force India dritte Kraft hinter Mercedes und Ferrari.

Ebenfalls überraschend weit vorne: Toro Rosso. Carlos Sainz fehlen als Fünftem auf die korrigierte Bestzeit aber immerhin schon sechs Zehntel. Überraschend weit hinten liegt in der Wertung noch Red Bull. Daniel Ricciardo fehlt schon mehr als eine Sekunde. Dabei zeigte sich Motorsportberater Dr. Helmut Marko beim Test noch begeistert vom RB12.

Manor und Haas nicht abgeschlagen

Auch dahinter wird es spannend. Spannend, weil eng. Sauber mit dem Vorjahresboliden, Renault, Haas, Williams, Manor und McLaren befinden sich alle innerhalb von einer Sekunde. Williams testet generell meist etwas konservativer. Haas als komplett neues Team im Mittelfeld und Manor, das offenbar den Anschluss geschafft hat, sind eindeutig die positiven Überraschungen. Auch wenn es nur Testfahrten waren, diese Zeiten hätte der letztjährige Manor sicher nicht fahren können. 1:31.200 Minuten brauchte Will Stevens im Qualifying 2015.

Bei den Longruns müssen wir uns bis zur zweiten Testwoche gedulden. Mercedes spulte zwar schon Rennsimulationen ab, doch die Vergleichswerte fehlen. Dafür aber gibt es weitere interessante Zahlen: Die Topspeeds.

Mercedes bei Topspeeds wieder vorne

Grundsätzlich scheint sich das Kräfteverhältnis hier nicht gravierend geändert zu haben, Mercedes ist vorne. Williams ist ebenfalls ein bekanntes Gesicht an der Spitz. Etwas unerwarteter tauchen dann schon Sauber und Haas vorne auf. Schlusslicht: McLaren.

Pos Fahrer Team Motor Topspped
1 Rosberg Mercedes Mercedes 339,6
2 Bottas Williams Mercedes 338,5
3 Nasr Sauber Ferrari '15 338,5
4 Gutierrez Haas Ferrari '16 337,5
5 Hamilton Mercedes Mercedes 337,5
6 Ericsson Sauber Ferrari '15 336,4
7 Celis Force India Mercedes 336,4
8 Wehrlein Manor Mercedes 335,4
9 Perez Force India Mercedes 334,3
10 Massa Williams Mercedes 334,3
11 Hülkenberg Force India Mercedes 333,3
12 Haryanto Manor Mercedes 333,3
13 Magnussen Renault Renault 332,3
14 Palmer Renault Renault 332,2
15 Grosjean Haas Ferrari '16 331,2
16 Räikkönen Ferrari Ferrari '16 331,2
17 Vettel Ferrari Ferrari '16 329,2
18 Verstappen Toro Rosso Ferrari '15 327,2
19 Sainz Toro Rosso Ferrari 327,2
20 Ricciardo Red Bull Renault 325,3
21 Kvyat Red Bull Renault 325,3
22 Button McLaren Honda 324,3
23 Alonso McLaren Honda 324,3

Motorsport-Magazin.com hat aus allen verfügbaren Messwerten den Mittelwert der einzelnen Power-Units gebildet. Vorne ist klar Mercedes. Dahinter rangiert Ferrari. Auch das ist nicht gerade überraschend. Doch Sauber und Toro Rosso waren im Mittel schneller als Ferrari und Haas. Sauber und Torro Rosso fuhren mit 2015er Power Units von Ferrari, das Werksteam und der amerikanische Newcomer Haas haben natürlich das aktuellste Material.

Ferrari hat beim Packaging enorm nachgelegt, das lässt sich an den Seitenkästen des neuen Boliden sehen. Gut möglich, dass beim Fokus auf den Bauraum die Leistung etwas vernachlässigt wurde. Am Ende zählt Rundenzeit und dafür gibt es Simulationen, wie viel mit besserer Aerodynamik gewonnen wird und wie viel durch mehr Leistung. Allerdings hörten sich die 2016er Ferrari-Aggregate noch etwas leise an, gut möglich, dass Ferrari erst Daten sammeln will, bevor die volle Leistung freigegeben wird.

Honda mit eklatantem Rückstand

Der Rückstand von Ferrari auf Mercedes hält sich mit 1,0 bis 3,4 Stundenkilometer noch in Grenzen. Renault liegt hingegen mit 6 Stundenkilometern schon deutlich zurück. Auffällig: Das Werksteam war deutlich schneller unterwegs als Red Bull. Das mag an anderem Material bei der Power Unit liegen oder am aerodynamischen Konzept und der Getriebeübersetzung.

Power Unit Spezifikation Topspeed Mittelwert Differenz
Mercedes 2016 333,9 km/h
Ferrari 2015 332,9 km/h 1,0 km/h
Ferrari 2016 330,5 km/h3,4 km/h
Renault 2016 327,9 km/h 6,0 km/h
Honda 2016 322,8 km/h 11,1 km/h

Schlusslicht ist wieder einmal Honda. Mit mehr als zehn Stundenkilometern ist der Rückstand gravierend. Das japanische Aggregat lief die ersten beiden Testtage zwar schon etwas zuverlässiger, an der Leistung hapert es aber noch erheblich.

Allerdings steht hier für den Vergleichswert nur McLaren zur Verfügung, das kann das Bild etwas verzerren. Bei Mercedes ergibt sich der Mittelwert aus vier verschiedenen Fahrzeugen. Außerdem soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Höchstgeschwindigkeit meist einen guten Richtwert gibt, aber nicht überbewertet werden sollte. Die Beschleunigung hat auf die Rundenzeit einen größeren Einfluss als der Höchstwert.