Ferrari Präsident Sergio Marchionne wurde in der Winterpause nicht müde, zu betonen, dass nur der Titel zählt. Alles andere als ein Auftakt-Sieg in Melbourne wäre für ihn eine Enttäuschung. Am neuen Boliden lassen sich die Worte des Präsidenten förmlich ablesen: In der jüngeren Vergangenheit ging Ferrari selten so aggressiv zu Werke wie beim neuen SF16-H - was nicht nur durch die neu Farbgebung sofort deutlich wird. Motorsport-Magazin.com macht den ersten Technik-Check des Jahres.

Die Nase

Zuerst fällt die neue Nase ins Auge. Ferrari war im abgelaufenen Jahr das einzige Team, das die gesamte Saison über mit der ultra-langen Nase fuhr. Toro Rosso und McLaren präsentierten ihre Boliden ebenfalls mit einer langen, weit nach unten gezogenen Nase, rüsteten aber recht früh in der Saison auf andere Lösungen um.

Ferrari ist auf eine kurze Nase umgestiegen, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com
Ferrari ist auf eine kurze Nase umgestiegen, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com

Ferrari aber blieb eisern und fuhr die lange Nase bis Abu Dhabi, weil man sich von einer kürzeren Version nicht besonders viel Performance versprach und zusätzlich die Balance des Autos nicht verändern wollte. Beim SF16-H setzen die Italiener nun von Anfang an auf eine kürzere Front nach Vorbild von Williams.

Die Nase endet so früh wie möglich, aus ihr wächst vorne nur ein kleiner Schönheitsfehler heraus. Der ist nötig, um dem Reglement zu entsprechen. Nach den Bananen-artigen Auswüchsen 2014 wurde das Reglement zwar angepasst, ganz verhindern kann es aber auch heute die Verschandelung nicht.

Der Vorteil dieser Variante ist klar: Ferrari kann mehr Luft unter das Auto leiten. Je mehr Luft unter dem Auto ist, desto besser kann der Diffusor arbeiten. Der Wechsel ist nicht so einfach, wie es den Anschein macht: Auf der einen Seite muss der Crashtest bestanden werden, auf der anderen Seite muss die restliche Aerodynamik angepasst werden.

Red Bull machte im vergangenen Jahr die leidvolle Erfahrung: Der einstige Dauerweltmeister brachte eine kürzere Nase, verstand dann aber das Auto nicht mehr richtig. Erst bei den Testfahrten nach dem Österreich Grand Prix scheinen die Ingenieure den Fehler gefunden zu haben, ab Silverstone gehörte der RB11 wieder zu den besten Chassis.

Die Vorderradaufhängung

Ferrari setzt aber nicht nur bei der Nase auf einen Philosophiewechsel: Nach vier leidvollen Jahren setzt die Scuderia wieder auf Push- statt Pullrods an der Vorderradaufhängung. Die Unterschiede sind recht schnell erklärt: Beim Einfedern wirkt eine Kraft auf das Feder-Dämpfer-System. Diese Kraft ist eine Druck-Kraft, die Feder und Dämpfer werden zusammengestaucht.

Pullrod und Pushrod im direkten Vergleich, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com
Pullrod und Pushrod im direkten Vergleich, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com

Bei Pushrods, also Druckstreben, führt ein Karbonrohr von der Unterseite des Radträgers an die Oberseite des Chassis. Die Strebe drückt auf einen Umlenkhebel, im Fachjargon als Rocker bekannt, der die Kraft auf das Feder-Dämpfer-System umlenkt. Bei den Pullrods, also den Zugstreben, ist es genau umgekehrt: Die Strebe führt von der Oberseite des Radträgers zur Unterseite des Chassis. Beim Einfedern zieht der Pullrod am Umlenkhebel. Der Rocker lenkt die Kraft aber so um, dass eine Druckkraft auf Feder und Dämpfer wirkt.

Funktionell unterscheiden sich die Systeme also nicht. Was macht aber den Unterschied? Bei Pullrods liegt das Aufhängungssystem unten im Chassis. Das ist gut für den Schwerpunkt des Fahrzeugs. Da das Chassis an dieser Stelle recht hoch ist, liegt die Zugstrebe fast waagrecht. Das wirkt sich positiv auf die Aerodynamik aus. Kein Vorteil ohne Nachteil: Die waagrechte Lage der Pullrods hat negative Auswirkungen auf die Kinematik. Beim Einfedern mit einer fast waagrechten Strebe wird der Umlenkhebel nur minimal bewegt.

Das ist schlecht, weil die Abstimmung des Fahrzeugs sehr knifflig wird. Minimale Änderungen haben größere Auswirkungen. Sebastian Vettel und Kimi Räikkönen sind bekannt dafür, genaues Feedback von der Vorderachse zu brauchen. Im vergangenen Jahr war diese Änderung wegen Zeitmangels noch nicht möglich. Nun wird den beiden Star-Piloten der Wunsch erfüllt.

Size-Zero jetzt bei Ferrari

Die nächste große Änderung gibt es im Heck. Im Vergleich zum SF16-H wirkt der Vorgänger wie ein Sumo-Ringer, der es mit einer Ballett-Tänzerin aufnimmt. Die Flaschenhalsform im Heck ist nun deutlich ausgeprägter, die Seitenkästen ziehen sich früh zusammen. Dazu ist auch die Einlass-Seite der Seitenkästen geschrumpft, was gut an einer kleinen Beule zu erkennen ist. Das Crash-Element ist ein Standard-Teil und darf von den Teams nicht angepasst werden. Beim alten Boliden hatte es noch im Seitenkasten Platz, die neue rote Göttin braucht eine kleine Ausbuchtung dafür.

Die neue rote Göttin ist deutlich erschlankt, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com
Die neue rote Göttin ist deutlich erschlankt, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com

Ziel der Ingenieure ist es natürlich immer, das Heck so schmal wie möglich zu gestalten. Es ist ein ewiger Kampf zwischen Motoren-Leuten und Aerodynamikern. Die Motorenleute wollen Platz für die Power Unit und die entsprechende Kühlung. Bei McLaren wurde dieser Kampf im vergangenen Jahr offensichtlich, als die Briten mit ihrer 'Size-Zero-Philosophie' Motorenpartner Honda dazu zwangen, die Power Unit an kleinen Bauraum anzupassen.

Das McLaren-Ergebnis ist bekannt. Ferrari geht mit dem extrem engen Karbonkleid auf Risiko. Eine derart große Änderung im Vergleich zum Vorjahr kann nur mit Änderungen am Antrieb einhergehen. Auf der einen Seite scheint der Kühlbedarf geringer zu sein. Auf der anderen Seite muss wohl auch das Packaging der Power Unit geändert werden.

Hat Ferrari beim Antrieb nicht einen riesen Sprung gemacht, ist das Konzept gewagt. Eine enge Bauweise ist anfällig für Defekte. Die Thermodynamik bei den Power Units ist extrem kompliziert. Oder Ferrari erkauft sich Aerodynamik mit Motorleistung. Das muss nicht unbedingt heißen, dass die 2016er Power Unit schwächer ist als ihre Vorgängerin, aber vielleicht fällt der Performance-Sprung nicht so signifikant aus wie bei der Konkurrenz.

Auffällig ist auch ein kleiner Einzug hinter der Airbox. Direkt unter dem Einheitsgehäuse für die Kamera experimentieren die Teams mit kleinen Luftleitelementen. Ferrari hat nun direkt darunter eine kleine Einbuchtung in die Motorabdeckung gemacht. Im Vergleich zu den Seitenkästen dürfte diese Einbuchtung den Motor-Ingenieuren deutlich weniger Kopfschmerzen bereitet haben.

Ferrari setzt auf zwei kleine Wastegate-Pipes, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com
Ferrari setzt auf zwei kleine Wastegate-Pipes, Foto: Ferrari/Motorsport-Magazin.com

Beim Auspuff lässt sich eine ähnliche Lösung wie bei Mercedes erahnen: Ferrari setzt auf zwei kleine Wastegate-Pipes, die unter dem Hauptrohr angeordnet sind. Das ist einfacher für das Packaging, bringt aber etwas mehr Gewicht als ein einzelnes Rohr.

Bei den Details gilt es noch abzuwarten. Auch wenn sich im direkten Vergleich Frontflügel, Bardge-Boards und Co. bei den Launch-Versionen deutlich unterscheiden: Der am SF16-H montierte Flügel kam so auch schon 2015 zum Einsatz. Gleiches gilt für die Bardge-Boards und die zahlreichen Löcher im Unterboden. Auch die durchblasene Radnabe ist wieder zu erkennen. Bei diesen Details muss wohl noch bis zum zweiten Barcelona-Test gewartet werden.

Fazit: Der SF16-H ist keine einfache Weiterentwicklung seines Vorgängers. Ferrari ging beim neuen Boliden äußerst aggressiv zu Werke. Fraglich, ob bei anderen Teams ähnlich große Änderungen zu sehen sein werden. Ferrari steht nun vor zwei großen Herausforderungen: Die vielen Änderungen schnell zu verstehen und die Zuverlässigkeit trotz des engen Karbon-Kleidchens sicherzustellen.