Genau so ungewöhnlich wie der Zeitplan in Singapur präsentierte sich auch das Ergebnis der Freitagstrainings im südostasiatischen Stadtstaat. Nicht die Mercedes-Piloten Lewis Hamilton und Nico Rosberg, die die Bestzeiten in dieser Saison bislang gepachtet hatten, gaben den Ton an, sondern Red-Bull-Fahrer Daniil Kvyat sicherte sich vor Ferrari-Mann Kimi Räikkönen die Spitzenposition. Hamilton und Rosberg? Mehr als die Plätze vier und sieben war für das Silberpfeil-Duo nicht drinnen.

Motorsport-Magazin.com nimmt unter die Lupe, ob sich dieses Bild auch mit vollen Tanks bestätigt und präsentiert die Longrun-Analyse zum Großen Preis von Singapur.

Ferrari und Red Bull geben den Ton an

Dass Red Bull und Ferrari in Singapur näher an Mercedes dran sind, ist nicht wirklich verwunderlich, schließlich spielt der winkelige Straßenkurs beiden Teams in die Karten. Zählte zuletzt in Monza und Spa beinahe ausschließlich die reine Motor-Power, kommt nun der Aerodynamik ein entscheidender Faktor zu. Damit, dass Mercedes nur die dritte Geige spielt, war jedoch nicht zu rechnen gewesen.

"Wir werden von diesen Jungs vor eine wirkliche Herausforderung gestellt", gab Lewis Hamilton nach dem Training unumwunden zu Protokoll. "Ferrari ist sehr schnell und Red Bull sieht so aus als wären sie noch schneller", zog der WM-Leader den Hut vor der Konkurrenz.

Mercedes präsentierte sich auch bei den Volltanktests auf den superweichen Reifen, die im Rennen vermutlich die erste Wahl darstellen werden, langsamer als Ferrari und Red Bull. Und das ziemlich deutlich, wie aus dem Diagramm gut hervorgeht. Allerdings muss berücksichtigt werden, dass Sebastian Vettel seine Zeiten auf den Option-Reifen gegen Ende der Session fuhr und die Strecke zu diesem Zeitpunkt über einen erheblich höheren Griplevel als zu Beginn des Trainings verfügte.

"Wir werden jetzt versuchen, das Auto auf einer Runde sowie auf Long Runs zu optimieren", kündigte Mercedes-Technikchef Paddy Lowe an. "Es scheint, dass es sehr eng gegen Ferrari und Red Bull wird. Sie sehen an diesem Wochenende beide stark aus." Die Longruns auf den Soft-Reifen boten ein ähnliches Bild, wenngleich von Hamilton und Rosberg nur relativ wenige Rundenzeiten vorliegen. Geht es nach den Freitags-Zeiten, ist Mercedes also ordentlich unter Druck.

Konkurrenz rechnet mit Mercedes

Doch ist dem tatsächlich so? In Anbetracht des enormen Vorsprungs in den letzten Rennen mutet es unwahrscheinlich an, dass Mercedes sämtliches Guthaben auf die Gegnerschaft verspielt hat und sogar ins Hintertreffen geraten ist - Streckencharakteristik hin oder her. Diese Sicht der Dinge vertritt man auch bei Ferrari und Red Bull, wo man von einem silbernen Bluff ausgeht.

"Mercedes wird wie gewohnt schnell sein. Ich weiß nicht, was da heute los war, sie sahen langsam aus, aber ich bin mir sicher, dass sie das bis morgen ändern", ist Sebastian Vettel fester Überzeugung. "Wir wissen ja, dass die Mercedes-Teams nicht alles am Freitag herzeigen, und Red Bull war wie erwartet sehr schnell, es wird wohl sehr eng."

Daniil Kvyat, der zum ersten Mal überhaupt Trainingsschnellster war, konnte sich dieser Sicht der Dinge nur anschließen. "Wir wussten, dass wir auf dieser Strecke etwas bessere Chancen haben. Aber wir wissen nicht, was Mercedes alles gemacht hat. Warten wir es bis morgen mal ab", gab sich der Red-Bull-Pilot vorsichtig.

Vettel will sich nicht blenden lassen, Foto: Sutton
Vettel will sich nicht blenden lassen, Foto: Sutton

Mercedes sucht das Setup

Für die Zweifel der Konkurrenz spricht, dass Mercedes noch auf der Suche nach dem richtigen Setup war und im zweiten Training, als die Longruns auf dem Programm standen, mit Einstellungen fuhr, die man nicht beibehalten wird, da sie in die falsche Richtung gingen. "Das lässt sich erst heute Nacht zurück bauen. Es war auf jeden Fall eine interessante Erkenntnis", erklärte Nico Rosberg.

Zwischen den beiden in Singapur eingesetzten Reifenmischungen liegen laut Angaben von Pirelli rund 1,5 bis 1,6 Sekunden. Ein Schlüssel zum Erfolg im Rennen wird nicht zuletzt sein, die Pneus am Leben zu halten. Vor allem die superweichen Reifen neigen zum starken Abbau, weshalb wie im Vorjahr mit Drei-Stopp-Strategien zu rechnen ist. "Es wird nicht einfach, aber jeder wird es versuchen", glaubt Carlos Sainz im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com dennoch, dass ein Stopp weniger die bevorzugte Wahl der Teams sein wird.

Fazit: Wie viele Reserven hat Mercedes? Das ist die Frage, um die sich in Singapur alles dreht. Dass die Silberpfeile noch Luft nach oben haben, liegt auf der Hand, doch gelingt es Ferrari und/oder Red Bull tatsächlich, sie zu schlagen, wenn es darauf ankommt? Eine erste Antwort darauf wird es schon am Samstag geben, denn obwohl in Singapur stets viel passiert und das es statistisch gesehen eine Safety-Car-Garantie gibt, ist das Qualifying aufgrund der wenigen Überholmöglichkeiten immens wichtig. Mercedes wird am Samstag nicht mehr bluffen, sondern die Karten aufdecken.