Nach dem Malaysia GP sollte es eigentlich keine große Überraschung sein, dass Ferrari nahe an Mercedes dran ist. Ist es aber doch: Denn während in Malaysia der Asphalt mit 64 Grad förmlich glühte und die Luft mit 35 Grad auch nicht für Abkühlung sorgte, sind die Bedingungen in China komplett anders: Auf dem Asphalt wurden Temperaturen im hohen 30er Bereich gemessen, die Luft war mit 16 Grad relativ kühl.

Der Reifenverschleiß war für Mercedes in Malaysia noch das große Problem. Die Hinterreifen gaben am F1 W06 Hybrid deutlich früher auf, als am Ferrari SF 15-T. Doch Temperaturen und Streckencharakteristik in Shanghai sollten den Silberpfeilen eigentlich entgegenkommen. Doch das Rennen an der Spitze ist enger als gedacht.

Lewis Hamilton war auf eine schnelle Runde auf den weichen Reifen gut vier Zehntelsekunden schneller als Kimi Räikkönen. Das ist von der Größenordnung her in etwa der Abstand, den Mercedes auch in Malaysia auf Ferrari hatte - auf eine Runde. "Lewis hat gezeigt, welche Pace im Auto steckt", fügt Nico Rosberg an. Auf eine Runde kann sich Mercedes relativ sicher sein - auch wenn Rosberg gezeigt hat, dass man sich auch da keine großen Schnitzer mehr erlauben darf.

Beim Blick auf die Rennpace ist man bei Mercedes vorsichtig geworden. "Für den Long Run müssen wir erst die Daten analysieren, um zu sehen, wo wir stehen, aber Ferrari scheint wieder sehr stark zu sein", meint Rosberg. Hamilton stimmt zu: "Es war ziemlich eng zwischen Ferrari und uns. Sie sehen genauso schnell aus wie beim letzten Mal."

Der Blick auf die Longruns verrät, dass das keine Tiefstapelei ist, sondern eine realistische Einschätzung. Leider wurden im zweiten Freien Training einige Longruns von der roten Flagge unterbrochen, die Daniil Kvyat mit seinem kleinen Einschlag verursacht hatte. Dennoch stehen genügend Daten zur Verfügung, die verschiedenen Rundenzeiten miteinander zu vergleichen.

Auch der neue Frontflügel brachte Mercedes nicht entscheidend weg, Foto: Sutton
Auch der neue Frontflügel brachte Mercedes nicht entscheidend weg, Foto: Sutton

Weil der Unterschied zwischen Soft und Medium auf dem Shanghai International Circuit besonders groß ist, entschieden sich Ferrari und Mercedes dazu, die Longruns zu splitten. Mercedes ließ sogar bei den Freitagstrainings zuletzt - wenn möglich - beide Fahrer auf den gleichen Reifen ausrücken. Am Ende wurden dann Reifen getauscht: Räikkönen und Rosberg durften Soft ausprobieren, Vettel und Hamilton Medium. Allerdings war die Zeit dann recht knapp.

Pirelli freute sich am Freitag über den erstaunlich geringen Reifenverschleiß. Das für China so typische Graining trat bei den Medium-Reifen quasi gar nicht, bei den Soft-Reifen nur in geringem Maße auf.

Auf den Medium-Reifen wusste Kimi Räikkönen zu überzeugen. Der Finne begann seinen Run mit hohen 1:42er und niedrigen 1:43er Runden. Rosberg konnte diese Pace anfangs nicht mitgehen. Während Räikkönen allerdings federn lassen musste, konnte der Deutsche zulegen. Die Schwankungen sind wohl auch durch Verkehr und kleinere Fehler zu erklären. Über den gesamten Longrun gesehen sind die Zeiten - aus Mercedes-Sicht - erschreckend dicht beieinander.

Auf den Soft-Reifen sieht es anders aus: Lewis Hamilton kann hier Sebastian Vettel sukzessive Zeit abnehmen. Zehn Runden lang fährt Hamilton im Schnitt eine halbe Sekunde schneller als der Malaysia-Sieger. Doch plötzlich scheinen die Reifen am Silberpfeil schlagartig einzubrechen, während Vettel seinen Run relativ gleichmäßig beenden kann. Die Analyse der Sektorzeiten verrät aber, dass die Reifen nicht einbrechen. Fehler und Verkehr sorgten dafür, dass Hamilton in einzelnen Sektoren Zeit verlor. Die anderen Sektorzeiten waren okay.

Wegen des großen Unterschieds zwischen Soft und Medium wird die Strategie am Sonntag wieder besonders spannend. Zwar erwartet Pirelli, dass sich mit der Streckenentwicklung über das Wochenende auch der Unterschied etwas verringert, doch die Differenz wird drastisch bleiben. Auf einer schnellen Runde war der Soft-Pneu fast zwei Sekunden schneller.

Im Dauerlauf war der Unterschied geringer. Zu Beginn konnte Hamilton auf Soft Rosberg auf Medium knapp eine Sekunde aufbrummen. Nach neun Runden glichen sich die Rundenzeiten allerdings an. Weil Hamiltons Soft-Run mit Problemen zu Ende ging, wissen wir leider nicht, wie sich die Soft-Reifen am Mercedes entwickeln. Aber trotzdem bleibt dieser Punkt Ferraris Hoffnung.

Kann Williams Mercedes und Ferrari angreifen?

Williams glaubt, in China wieder näher an Ferrari dran zu sein. Das würde bedeuten, dass Williams auch an Mercedes dran ist. Das leidige Problem mit überhitzenden Hinterreifen hat Williams in China zwar nicht mehr, allerdings fehlt schlichtweg die Pace. Im Schnitt fehlte Bottas auf den Soft-Reifen rund eine Sekunde auf Hamilton. Wegen Massas Crash gibt es leider keinen Longrun auf den Mediums.

Auf den ersten Blick sahen auch die Zeiten von Daniel Ricciardo auf dem Prime-Reifen ganz gut aus. Allerdings müssen die Runden des Australiers mit Vorsicht genossen werden. Während Hamiltons Medium zu Beginn des Longruns schon sechs Runden auf dem Buckel hatten, ging Ricciardo mit fast ungebrauchten Pneus in seinen Run. Trotzdem: Red Bull wirkt in China stärker.

Fazit: Mercedes scheint in China kein übermäßiges Problem mit den Reifen zu haben. Allerdings war Hamiltons Soft-Run nicht besonders lange. Normalerweise hat Mercedes die Nase aber vor Ferrari, auch wenn es am Sonntag etwas wärmer wird. Trotzdem ist Ferrari näher dran, als von vielen angenommen. Dahinter klafft allerdings eine Lücke auf Williams. Die Briten müssen zusehen, nicht von Red Bull eingeholt zu werden. Dahinter wird es wie immer schön eng.