Es war das große Thema des Rennens: Hätte Lewis Hamilton ohne seinen Dreher den Brasilien GP gewonnen? Hamilton ist sich sicher: "Der Dreher hat den Sieg gekostet. Ich war bis zu diesem Punkt deutlich schneller und etwa eine Sekunde vor Nico." Nico Rosberg sieht das natürlich naturgemäß anders. Doch wie sieht es wirklich aus? Wäre Hamilton ohne seinen Dreher wieder vor Nico Rosberg auf die Strecke gekommen?

Berechnungen des Teams hätten ergeben, dass beide Piloten genau nebeneinander wieder auf die Strecke gekommen wären. Stimmt das, oder wollte das Team nur keinem der beiden Piloten auf den Slips treten? Motorsport-Magazin.com hat sich die Szene genauer angesehen.

Für die genaue Analyse stehen uns nicht nur Sektorzeiten zur Verfügung. In den Rennstrecken sind im Abstand von jeweils 200 Metern Induktionsschleifen eingelassen, wodurch Positionen und Geschwindigkeiten der Autos noch deutlich genauer aufgezeichnet werden können. Somit können wir auch Abstände herausfiltern, die auf der offiziellen Zeitnahme gar nicht ersichtlich sind.

Der letzte offiziell gemessene Rückstand von Hamilton auf Rosberg eine Runde vor Rosbergs Boxenstoppt betrug 1,099 Sekunden. Doch auf Rosbergs Inlap (Runde 26) konnte der Brite noch einmal gewaltig aufholen. Unmittelbar bevor Rosberg in die Box abbog, betrug sein Vorsprung nur mehr 0,627 Sekunden.

RosbergHamilton
Runde 26Inlap
Rückstand (Anfang Runde)+1,099
Rundenzeit1:20,6151:15,139
Sektor 118,89318,586
Sektor 239,30139,281
Sektor 322,42117,272
Rückstand (Ende Runde)+0,627
Runde 27Outlap
Rundenzeit1:32,3261:14,303
Sektor 136,26118,481
Sektor 238,83038,518
Sektor 317,23517,304
Rückstand (Ende Runde)+22,400
Runde 28Inlap mit Dreher
Rückstand (Maximum)+22,499
Rundenzeit1:15,6731:26,598
Sektor 118,744 18,644
Sektor 239,379 45,676
Sektor 317,550 22,278
Rückstand (Ende Runde)+16,429
Runde 29Outlap
Rundenzeit1:15,4411:34,379
Sektor 119,037 37,439
Sektor 239,004 39,517
Sektor 317,400 17,420
Rückstand (Ende Runde)+7,460

In Runde 27 hatte dann Hamiltons-Hammer-Time zum ersten geschlagen: Der Brite fuhr die bis dato mit Abstand schnellste Runde. Mit 1:14,303 fuhr er fast eine Sekunde schneller als in der Runde zuvor. Vor allem im Mittelsektor konnte er die clean Air nutzen und sogar deutlich schneller fahren als Rosberg auf neuen Reifen - auch weil Rosberg Button vor sich hatte.

Rosberg lieferte von Anfang an eine fehlerfreie Leistung, Foto: Sutton
Rosberg lieferte von Anfang an eine fehlerfreie Leistung, Foto: Sutton

Doch die ultra-schnelle Runde wurde Hamilton zum Verhängnis. Denn seine Crew holte ihn nicht gleich zum Stopp rein. "Wenn mir das Team sagt, dass ich pushen soll, bedeutet dies normalerweise, dass sie mich in dieser Runde hereinholen. Genau das habe ich gemacht. Aber sie ließen mich eine weitere Runde draußen und davon wurde ich überrascht", so Hamilton. In dieser einen Runde hatte er seine Reifen bereits dermaßen hergenommen, dass sie eine zweite Runde in diesen Zeitenregionen nicht mehr zuließen.

Hamilton aber pushte weiter. Sein erster Sektor war trotz fehlenden DRS' noch extrem schnell. Doch dann passierte der Fehler. "Ich habe die Hinterräder blockiert und das hat mich den Sieg gekostet", meint der WM-Leader. Unmittelbar vor dem Dreher betrug der Vorsprung auf Nico Rosberg 22,499 Sekunden - es war der größte Vorsprung, den Hamilton auf Rosberg in diesem Rennen hatte.

Als er am Ende der Runde - zwei Runden nach Rosberg - dann zu seinem zweiten Stopp kam, betrug der Vorsprung nur mehr 16,429 Sekunden. Der Fehler hat ihn ziemlich genau sechs Sekunden gekostet. Die nächste Rückstandsmessung erfolgte erst am Ende von Runde 29. Auf der Start- und Zielgeraden hatte Hamilton 7,460 Sekunden Rückstand auf Rosberg. Zieht man die sechs Sekunden für den Dreher ab, ist Hamilton also noch immer hinter Rosberg.

RosbergHamilton
1. Stopp23,73023,351
2. Stopp23,34624,224
3. Stopp23,24022,874
Gesamt70,31670,449

Doch ganz so einfach ist es nicht: Hamilton verlor beim zweiten Boxenstopp rund neun Zehntelsekunden auf Rosberg. Durch den Dreher war es jedoch egal, wie lang Hamilton in der Box stand, deshalb gab es einen Sicherheitsstopp bei Mercedes. Zieht man diese neun Zehntelsekunden für den Boxenstopp genauso wie die sechs Sekunden des Drehers vom Rückstand ab, bleibt Rosberg noch eine halbe Sekunde Vorsprung.

Schaut man sich dann Hamiltons Outlap an, findet man schnell eine halbe Sekunde, die er im Mittelsektor auf Rosberg verloren hat. Der letzte Sektor war etwa identisch mit jenem von Rosberg, der erste aufgrund des Boxenstopps langsamer als Rosbergs erster Sektor in seiner Outlap.

Werden also alle Faktoren gemeinsam gewertet, wäre Hamilton ohne den Dreher bei seinem zweiten Stopp direkt neben Nico Rosberg wieder auf die Strecke gekommen. Allerdings muss auch berücksichtigt werden, dass Rosberg schon in Runde 28 vom Dreher Hamiltons erfuhr. Somit wusste er, dass er gar nicht mehr voll auf Angriff fahren muss.

Hamiltons Aufholjagd beginnt

Mit 7,5 Sekunden Rückstand begann Hamilton dann in Runde 29 seine Aufholjagd. Und Hamilton holte schnell auf. "Es war eindeutig, dass ich die Pace hatte", meint Hamilton. Motorsportchef Toto Wolff stimmt zu: "Obwohl Lewis heute den besseren Speed zu haben schien, konnte Nico dem Druck bis zur Ziellinie standhalten."

Doch Rosberg will das nicht so auf sich sitzen lassen, spricht vielmehr davon, den Vorsprung verwaltet zu haben: "Nach seinem Dreher konnte ich mich etwas entspannen und meine Reifen ein wenig für das Ende des Stints schonen. Das hat perfekt funktioniert."

Die Abstandsentwicklung gibt Rosberg recht: Der Deutsche hat kontinuierlich so viel auf seinen Konkurrenten verloren, dass Hamilton bis zu seinem nächsten Boxenstopp nie in das DRS-Fenster gekommen ist. Als es eng wurde, konnte Rosberg seine Rundenzeiten vor dem Stopp noch einmal etwas anziehen.

Doch fast wäre es noch einmal knapp geworden. Vor ihren letzten Stopps trennten Rosberg und Hamilton ziemlich genau zwei Sekunden. Hamilton konnte in der einen Runde, die er länger draußen blieb nicht mehr zulegen. Dafür war aber Rosbergs Outlap nicht ideal. Gleichzeitig büßte er noch eine halbe Sekunde beim Boxenstopp ein, so dass es am Boxenausgang eng wurde - Rosberg bliebt aber knapp vorne.

Um noch einmal Hamiltons Dreher ins Spiel zu bringen: Sein maximaler Vorsprung auf Rosberg vor dem Dreher betrug 22,499 Sekunden. Vor seinem letzten Boxenstopp hatte Hamilton 20,964 Sekunden Vorsprung auf Rosberg. Allerdings war Hamiltons letzter Stopp schneller als Rosbergs. Und somit beginnen Rechnereien und Spekulationen von vorne.