Herr Haug, wenn ich Ihnen noch zum Gewinn des Konstrukteurstitels des Mercedes AMG Formel-1-Teams gratuliere, nehmen Sie die Glückwünsche an?
Norbert Haug: Diese Leistung ist eine des ganzen Teams und dafür sind über tausend überaus engagiert und konzentriert arbeitende Menschen verantwortlich. Als das Programm vor weniger als fünf Jahren gestartet wurde, waren es noch deutlich weniger, weil sich unsere Mannschaft an die vereinbarten "Ressource Restrictions" hielt. Es freut mich jetzt, dass die Idee von damals, im Jahr 2010 zu ausgesprochen preisgünstigen Konditionen ein Silberpfeil-Werksteam aufzustellen, viereinhalb Jahre danach mit dem überzeugenden Gewinn des Konstrukteurs-Weltmeistertitels gekrönt wird. Dass dafür schon zu Beginn Weichen richtig gestellt worden sind, daran hat auch Michael Schumacher ganz großen Anteil. Ross Brawn hat mit der Techniker-und Mitarbeitermannschaft in seiner Verantwortung als Team Principal in steter Abstimmung mit Stuttgart die Grundlagen geschaffen.

Viereinhalb Jahre nach dem ersten Start den ersten WM-Titel zu gewinnen ist eine reife Leistung. Es gibt Weltmeister-Mannschaften, die fünf Jahre auf ihren ersten Sieg warten mussten und solche, die seit über einem halben Jahrzehnt keinen Titel mehr gewannen, was nur zeigt, wie schwierig siegen oder gar dominieren in der Formel 1 ist. Die Silberpfeile dominieren in dieser Saison wie selten eine Mannschaft zuvor in der Geschichte der Formel 1-Weltmeisterschaft und dazu gratuliere ich, stellvertretend für alle in den Teams in Brackley, Brixworth und Stuttgart, den Teamchefs Toto Wolff und Paddy Lowe genauso wie Niki Lauda - sie alle haben großartige Arbeit geleistet.

Sie waren in diesem Jahr als DTM-Experte für die ARD tätig. Wie lautet ihr Fazit nach einer Saison? Fiel Ihnen die Umstellung schwer?
Norbert Haug: Dieses Urteil fällt der Zuschauer. Mir hat die Arbeit großen Spaß gemacht und ich war mit viel Freude in meinem erlernten Journalistenberuf unterwegs. Hinter jeder Übertragung steckt enorm viel Arbeit, großer Professionalismus und größte Disziplin der Verantwortlichen. Das DTM-Team vom Ersten arbeitet nicht weniger engagiert als ein erfolgreiches Rennteam. Und deshalb hat es auch den Ehrgeiz, im Sinne des Zuschauers besser und besser zu werden. Das hohe Niveau wird so bestimmt weiter gesteigert werden.

Nico Rosberg und Lewis Hamilton eilen der Konkurrenz meilenweit voraus, Foto: Sutton
Nico Rosberg und Lewis Hamilton eilen der Konkurrenz meilenweit voraus, Foto: Sutton

Zurück zur Formel 1: Worauf führen Sie die drückende Überlegenheit des Mercedes-Teams in dieser Saison zurück? Andere Teams haben auch eine Mercedes Power Unit, Red Bull hat zumindest ein gutes Chassis...
Norbert Haug: Mercedes liefert ganz offensichtlich die beste Arbeit aller Wettbewerber ab. Anders wäre eine Dominanz wie die 2014 gezeigte nicht möglich. Chassis und Antrieb bilden beim Silberpfeil im wahrsten Sinne des Wortes eine Einheit. Es gab nicht ein Rennen ohne Siegchance für Mercedes und bis auf drei wurden bisher alle gewonnen. Bedenkt man, dass das neue Motorenreglement ganz besonders auch auf Drängen von Renault und Ferrari zustande kam und erst 2014 statt wie ursprünglich beschlossen 2013 debütierte, wird die Leistung der Mercedes-Mannschaft noch beeindruckender.

Glauben Sie, die Konkurrenz kann diesen großen Rückstand über den Winter aufholen?
Norbert Haug: Das wird, glaube ich, schwierig werden. Mercedes startet auf einem höheren Niveau in die neue Saison, das Reglement bleibt weitestgehend unverändert, und man wird statt langem Schulterklopfen nur kurz Durchatmen und dann wieder angreifen wie in der Saison 2014, um beide WM-Titel zu verteidigen.

Ferrari und Renault wollen die Regeln bezüglich des Motoren-Entwicklungsstopps während der Saison lockern, Mercedes wehrt sich dagegen. Sollte Mercedes zum Wohle des Sports einlenken?
Norbert Haug: So sehr ich in meiner aktiven Zeit in derlei Entscheidungsprozesse eingebunden war, so wenig bin ich es heute und so sehr ich damals über Medien verbreitete Ratschläge nicht Verantwortlicher von draußen für unangebracht hielt, so wenig werde ich heute öffentliche Tipps zur möglichen Problemlösung geben. Das müssen stets die Beteiligten gemeinsam regeln. Es gab Lösungen im Sinne des Sports und damit des interessierten Zuschauers in der Vergangenheit und ich bin zuversichtlich, die werden auch für die Zukunft gefunden werden.

Die Frage zu Mercedes ist etwas pikant, weil Mercedes in der DTM selbst vom Einlenken der Konkurrenz profitiert hat. Sind die beiden Dinge überhaupt miteinander vergleichbar?
Norbert Haug: Wie ja ausgeführt - aber ein Entgegenkommen in der DTM bedeutet per se nicht die Aufforderung für ein Entgegenkommen in der Formel 1.

Haug: Ein Entgegenkommen in der DTM bedeutet per se nicht die Aufforderung für ein Entgegenkommen in der Formel 1, Foto: Mercedes-Benz
Haug: Ein Entgegenkommen in der DTM bedeutet per se nicht die Aufforderung für ein Entgegenkommen in der Formel 1, Foto: Mercedes-Benz

Sie gelten als großer Bewunderer von Sebastian Vettel. Sind sie überrascht, dass er in dieser Saison so große Probleme hat?
Norbert Haug: Wer vier Weltmeister-Titel in Folge gewinnt, hat Klasse. Aber ein Abonnement auf Siege gibt es eben auch für einen Vierfach-Weltmeister in der Formel 1 nicht. Von sieben Meistern der DTM hat 2014 nur Matthias Ekström Rennen gewonnen. Von fünf Weltmeistern in der Formel 1 mit Lewis Hamilton ebenfalls nur einer.

Weltmeister-Fluch? Nur Hamilton konnte 2014 Rennen gewinnen, Foto: Red Bull
Weltmeister-Fluch? Nur Hamilton konnte 2014 Rennen gewinnen, Foto: Red Bull

Vettel-Kritiker sehen sich nach dem Abschied von Red Bull bestätigt. Können Sie Vettels Schritt nachvollziehen, Red Bull nach nur einer durchwachsenen Saison zu verlassen?
Norbert Haug: Sebastian weiß sicher, was er tut. Er ist analytisch und weitblickend und ich würde mich wundern, wenn er seinen letzten Formel 1-Sieg bereits hinter sich hätte. Was zu seiner Entscheidung geführt hat, weiß letztlich nur er und das ist aus meiner Sicht auch gut so. Wechsel gibt es im Sport und im Beruf - Gottseidank. Wechsel bringen in der Regel neue Herausforderungen und Farbe ins Spiel und bunt ist im Beruf wie im Sport nach meinem Geschmack immer besser als grau.

Fernab der Rennstrecke kämpft Jules Bianchi weiterhin um sein Leben. Die Umstände seines Unfalls sorgen für Diskussionen: Waren die Bedingungen zu gefährlich?
Norbert Haug: Zunächst gilt es an Jules und seine Familie zu denken, wie es die Formel 1 und Motorsportwelt auf der ganzen Welt in beeindruckender Weise tat und tut. Ich bin sicher, es ist richtig, für eine Beurteilung die Expertise der von der FIA eingesetzten Kommission mit Ross Brawn und Stefano Domenicali abzuwarten.

In den letzten 20 Jahren, seit dem schrecklichen Wochenende in Imola mit den tödlichen Unfällen von Roland Ratzenberger und Ayrton Senna wurden fortlaufend ganz immense Verbesserungen an den Fahrzeugen und an den Rennstrecken umgesetzt. Wir alle wissen, dass es absolute Sicherheit nicht im Straßenverkehr, nicht beim Skifahren, nicht beim Bergwandern, nicht beim Radfahren und schon gar nicht auf der Rennstrecke gibt. Die Aktivitäten, die Sicherheit fortlaufend zu verbessern, waren und sind im Motorsport immens. Was die Ursachen für den tragischen Unfall von Jules Bianchi waren, wird die Kommission klären und daraus werden die richtigen Schlüsse gezogen und gegebenenfalls entsprechende Maßnahmen eingeleitet werden.