Nach dem sportlichen Desaster scheint Ferrari jetzt auch wieder organisatorisch in alte Chaos-Zeiten zu verfallen. Erst sagt Montezemolo er bleibt, wenige Tage danach der Rücktritt. Wie ist das alles zu werten?
Christian Danner: Die Ära Montezemolo war ja eigentlich schon längst abgelaufen. Die Tatsache, dass er so lange so fest im Sattel saß, hatte er nicht seiner gnadenlosen Führungsfähigkeit zu verdanken, sondern vier Menschen: Jean Todt, Michael Schumacher, Ross Brawn und Rory Byrne. Sie haben Ferrari für ihn zum Erfolg geführt. Alles, was danach kam, war klassisches Ferrari-Management, wie wir es in der Ära vor Todt, Brawn und Schumacher gesehen haben. Montezemolo hat Stefano Domenicali durch tägliche Anrufe und Stiften von permanentem Chaos in den Wahnsinn getrieben. Eine unglaublich charismatische Grand-Seigneur-Persönlichkeit ist letztendlich über ihre eigene Arbeitsweise gestolpert und wurde von Sergio Marchionne, einem ganz pragmatischen, uneitlem, Pullover-tragenden Vorstandsvorsitzenden von Fiat-Chrysler, verabschiedet.

Christian trifft Christian: Experte Danner mit Redakteur Menath, Foto: Motorsport-Magazin.com
Christian trifft Christian: Experte Danner mit Redakteur Menath, Foto: Motorsport-Magazin.com

Aber war Montezemolo nicht die falsche Person, die ausgewechselt wurde? Sein Tagesgeschäft war ja nicht unbedingt die Formel 1.
Christian Danner: Das glaube ich nicht, weil ein etwas weniger theatralischer Umgang mit diesem Thema sehr angebracht wäre. Ich glaube schon, dass man irgendwann den obersten Kopf hinterfragen sollte und das hat Marchionne gemacht. Ich sehe Montezemolo als schillernde, außerordentlich charismatische Gestalt, die aber extrem eitel ist und ihre Auftritte genossen hat und im Tagesgeschäft etwas mehr Chaos gestiftet hat, als es den Beteiligten lieb war.

Was kann Marchionne bei Ferrari erreichen und wie lange wird es dauern, bis die Änderungen greifen?
Christian Danner: Teamchef Marco Mattiacci ist bereits ein Fiat-Mann und kein Montezemolo-Mann. Er muss jetzt analytisch an die Sache herangehen und dem Team aufzeigen, ob etwa der Windkanal nicht funktioniert oder es ein fundamentales Motorenproblem gibt. Montezemolo war ja direkt an der Einführung der neuen Power Units beteiligt. Damit ist Ferrari an seine Technologiegrenzen gestoßen. Das ist mit Geld nicht zu beheben, denn bei Chrysler in Amerika gibt es keine Hybridtechnologie. Ein Konzept zu entwerfen, wie man aus einer normalen Motorenabteilung ein High-End-Leistungszentrum macht, ist schwierig.

Musste Montezemolo seinen Platz räumen, um Ferrari wieder auf die Beine zu helfen?, Foto: Sutton/Motorsport-Magazin.com
Musste Montezemolo seinen Platz räumen, um Ferrari wieder auf die Beine zu helfen?, Foto: Sutton/Motorsport-Magazin.com

Demnach muss man das neuaufgestellte Ferrari-Team als Langzeitprojekt sehen?
Christian Danner: Absolut, denn die Infrastruktur ist nicht da. James Allison hat einen super Lotus konstruiert, warum soll er also auch nicht einen super Ferrari konstruieren? Die Teile, die in Maranello entworfen und an das Auto gebaut werden, funktionieren auch, das Chassis ist ja nicht hoffnungslos. Aber die Power Unit ist eine Baustelle, die man nicht von heute auf morgen beheben kann.

Fehlt Montezemolo künftig in seiner Rolle als Motivator? Seine Ansprachen bei der Ferrari-Weihnachtsfeier waren legendär...
Christian Danner: Seine theatralische und von Emotionen durchtränkte Art, sich auszudrücken, hat natürlich damit zu tun, mit wem er spricht. Wenn er der Chef eines englischen Rennteams wäre, würde es bei einer Weihnachtsfeier mit relativ großem Unverständnis aufgenommen werden. Nachdem es aber Italien ist, finde ich, hat er es für das Team und die Leute, mit denen er zu tun hatte, schon richtig gemacht.

Verliert Ferrari mit Montezemolo und den anderen Personalentscheidungen Charisma? Mattiacci hat sich in seinen ersten Monaten auch nicht als Sympathieträger erwiesen...
Christian Danner: Definitiv, aber vielleicht gewinnt Ferrari damit auch etwas Analytik, verliert Tagespolemik und wird als Rennteam etwas pragmatischer geführt. Das ist Marchionnes Stil.

Ferrari ist nicht nur Formel 1, Ferrari ist auch ein Unternehmen in der FIAT-Chrysler-Gruppe. Kann der Wechsel auch etwas damit zu tun haben?
Christian Danner: Inwiefern das Unternehmen umgestaltet werden soll, kann ich nicht beurteilen. Aber es kann schon sein, dass es nicht so sehr mit dem Misserfolg von Ferrari zu tun hatte, sondern ein reiner firmenpolitischer Schachzug war. Unter dem Strich war Montezemolo fast ein Bilderbuch-Italiener, eine herrliche Gestalt. Auch wenn er sich dazu geeignet hat, als italienische Karikatur herzuhalten, ist er durchaus eine interessante Persönlichkeit, die in der Urzeit mit Enzo Ferrari und Niki Lauda das Charisma der Marke Ferrari mitkreiert hat. Ich will ihm nicht sein Lebenswerk absprechen, es ist nur so, dass wirklich große Leute in bestimmten Momenten in der Geschichte eines Unternehmen genau richtig und in anderen Momenten fehl am Platz sind. Er hat dem Unternehmen sicherlich sehr viel geholfen und Ferrari charismatisiert, aber wir befinden uns jetzt in einer ganz pragmatischen Zeit, in der für solche Sentimentalitäten nicht mehr so viel Platz ist.