Es ist die Sensation des Jahres: Daniel Ricciardo durchbricht in Kanada die Siegesserie der Silberpfeile. Doch wie kam der Australier von Platz sechs auf eins? Und wieso siegte nicht Vettel, immerhin war der Heppenheimer von Rang drei gestartet? Wie konnte Nico Rosberg trotz enormer technischer Probleme das Rennen fast noch gewinnen? Motorsport-Magazin.com nimmt den Kanada GP unter die Lupe.

Rosberg kommt in den Problem-Rhythmus

In Runde 36 respektive 37 begann das große Mercedes-Drama: Zunächst verlor Lewis Hamilton die 160 Zusatz-PS der MGU-K, eine Runde später auch Teamkollege Rosberg. "Bislang war es schwierig, ohne KERS schnell zu sein. In dieser Saison ist es unmöglich, ohne ERS schnell zu sein", sagte Mercedes Motorenchef Andy Cowell vor der Saison. Vor der Saison wurden die Techniker häufig gefragt, ob es möglich wäre, ein Auto ohne Energierückgewinnung trotzdem ins Ziel zu bringen.

Hintergrund der Frage: In den vergangenen Jahren versagte oftmals KERS. Ein Weiterfahren war meist möglich, es fehlten nur wenige Zehntel pro Runde. In diesem Jahr, bei der zehnfachen Menge an elektrischer Energie, sei das quasi unmöglich, so die einhellige Meinung. Vielleicht würde nicht das ganze Auto kaputt gehen, aber ohne die Zusatzleistung wäre man so langsam, dass man gar es gar nicht mehr versuchen müsste. Rosberg fuhr 23 Runden mit einem 160-PS-Manko und hätte das Rennen noch fast gewonnen.

Nachdem die Einheit ausfiel, sanken die Rundenzeiten zunächst erheblich ab. Statt 1:19 Minuten fuhr Rosberg plötzlich Zeiten im 1:22er Bereich, zeitweise sogar 1:23er Runden. Zu diesem Zeitpunkt hatte Rosberg gut 46 Sekunden Vorsprung auf Sergio Perez. Bei einem Zeitverlust von rund drei Sekunden pro Runde und einem zusätzlichen Boxenstopp hätte sich das niemals mit dem Sieg, geschweige denn mit einer Spitzenposition ausgehen können.

Doch Rosberg erholte sich, passte seinen Fahrstil auf die Gegebenheiten an. Nach dem Boxenstopp folgte der nächste Schock: Durch den Ausfall der MGU-K überhitzten zudem die Hinterbremsen. Rosberg musste die Bremsbalance so stark Richtung Vorderachse stellen, dass er sich in Runde 48 extrem verbremste, er fuhr in besagter Runde 1:24,168 Minuten. Perez fuhr gleichzeitig eine hohe 1,19er, also über vier Sekunden schneller und war nun am Mercedes-Piloten dran.

In 22 Runden sollte es eigentlich nicht allzu schwierig sein, den angeschlagenen Rosberg zu überholen. Rund 30 Stundenkilometer verlor Rosberg auf der langen Geraden. Doch die Rundenzeiten des WM-Führenden pendelten sich wieder ein. Mit 160 PS weniger und einer alles andere als optimalen Bremsbalance fuhr er plötzlich Rundenzeiten im hohen 1:19er Bereich.

"Es hat gedauert, bis ich den Rhythmus gefunden habe. Als ich dann im Rhythmus war, war es eine coole Phase, weil ich gesehen habe, dass ich es schaffen kann und attackieren konnte", so Rosberg. Und Rosberg perfektionierte seinen Verteidigungsmodus gegen Perez. Das musste er auch. "Ich wusste, wenn mich einer überholt, dann überholt mich die ganze Meute." Denn hinter Perez hatte sich bereits eine Schlange gebildet.

Im langsamen, kurvenreichen ersten Sektor fuhr Rosberg sensationell schnell, konnte sogar in Runde 63 eine persönliche Bestzeit setzen. Im letzten Sektor jedoch verlor er wegen der langen Geraden enorm. Zuvor Rosbergs Parade-Stück, verlor er dort pro Umlauf rund 1,2 Sekunden auf seine persönliche Bestzeit.

Rosberg nahm Perez im ersten Sektor regelmäßig so viel Zeit ab, dass er sich immer wieder aus dem DRS-Fenster fahren konnte. 10 Runden frischere Reifen halfen ihm dabei. Und der DRS-Messpunkt: Der befindet sich nämlich deutlich vor der eigentlichen DRS-Zone. Schon 110 Meter nach Kurve 9 wird der Abstand gemessen. An dieser Stelle ist von den vier langen Geraden erst eine durchfahren.

Perez war somit nie im DRS-Fenster und zu weit weg, um einen Angriff starten zu können. Unglücklicherweise für Rosberg kam Daniel Ricciardo vier Runden vor Schluss am Mexikaner vorbei. Der Red Bull lag im ersten Sektor ähnlich gut wie der Mercedes und so ging die Taktik am Ende nicht mehr ganz auf.

Warum hat Ricciardo gewonnen - und nicht Vettel?

Hinter den Mercedes ging es das gesamte Wochenende über eng zu. Red Bull und Williams fuhren auf Augenhöhe gegeneinander. Die vier Boliden der beiden Teams trennten im Qualifying nur 0,041 Sekunden. Ähnlich eng ging es auch im Rennen zu. Valtteri Bottas kam aus der Verfolgergruppe als Erster zum Stopp. In Runde 14 wechselte der Finne auf Softs.

Um Bottas zu covern musste Vettel eine Runde später ebenfalls stoppen. Das Problem: Der Vorsprung auf die langsameren Fahrzeuge ohne Stopp war noch nicht groß genug, um vor ihnen zu bleiben. Also reihte sich Vettel hinter Hülkenberg ein. Wegen des enormen Topspeeds des Force India fand Vettel aber keinen Weg am Deutschen vorbei. Runde um Runde verlor der Weltmeister Zeit hinter dem Force India.

Weil Hülkenberg auf einer Einstopp-Strategie unterwegs war, erledigte sich das Problem so schnell nicht von alleine. Das wusste auch Vettel und forderte eine alternative Strategie. "Ich denke, dass es möglich gewesen wäre, etwas anderes zu machen und die Pace, die wir zweifelsfrei hatten, zu nutzen", so Vettel nach dem Rennen.

PositionFahrerRückstand
1Nico RosbergRunde 34
2Lewis Hamilton+ 1,121
3Nico Hülkenberg+ 27,2016
4Sebastian Vettel+ 27,701
5Valtteri Bottas+ 28,115
6Daniel Ricciardo+ 28,911
7Felipe Massa+ 32,758

Doch als Bottas in Runde 35 die nächste Boxenstopprunde eröffnete, zog Red Bull eine Runde später nach und holte Vettel rein - wieder um Bottas zu covern. Vettel hätte gerne gewartet bis Hülkenberg an die Box kommt, um dann von der freien Fahrt profitieren zu können, doch der Einstopper kam erst in Runde 41. Trotz eines starken Stopps kam Vettel wieder im Verkehr raus, diesmal hinter Hülkenbergs Teamkollegen Sergio Perez, der ebenfalls auf einer Einstopp-Strategie unterwegs war und bereits gestoppt hatte.

Wiederum eine Runde später kam Ricciardo an die Box. Trotz eines ähnlich schnellen Stopps ging der Australier am Deutschen in der Box vorbei. Der Grund: Vettel verlor in seiner Outlap enorm viel Zeit hinter Perez.

Das Massa-Drama

Felipe Massa hatte gute Chancen auf den Rennsieg, Foto: Sutton
Felipe Massa hatte gute Chancen auf den Rennsieg, Foto: Sutton

Bitter lief das Rennen auch für Felipe Massa. Der Brasilianer hätte zweifellos die Pace gehabt, das Rennen nach den Mercedes-Defekten zu gewinnen. Allerdings patzte seine Crew beim ersten Boxenstopp, was den Williams-Piloten schon früh im Rennen vier Sekunden kostete. Dadurch kam er im Verkehr wieder raus und verlor weiter Zeit. Bedenkt man, wie nah Massa am Ende des Rennens noch an die Spitzengruppe herankam, besonders bitter. Das Pech perfekt machte dann die Kollision mit Sergio Perez, bei der die Stewards die Schuld dem Mexikaner zusprachen.

Warum konnte Valtteri Bottas für Williams nicht die Kohlen aus dem Feuer holen? Der Finne war schließlich nach Massa verpatztem Stopp deutlich vor dem Brasilianer. Bottas kam im Renntrimm nicht so gut mit dem FW36 zu recht wie Massa. Außerdem kam Hülkenberg nach seinem Stopp direkt vor ihm zurück auf die Strecke. Bottas verlor ähnlich wie zuvor Vettel Zeit und sorgte mit einem missglückten Überholversuch nicht nur dafür, dass Teamkollege Massa an beiden vorbeikam, sondern ruinierte sich dabei auch noch die Reifen.