Gut zwanzig Sekunden fehlten Sebastian Vettel am Ende des China GPs auf seinen Teamkollegen Daniel Ricciardo. 20 Sekunden, die nicht etwa durch einen zusätzlichen, unplanmäßigen Boxenstopp, einer Fahrt mit viel Verkehr oder anderen profanen Dingen zu erklären sind. Ganz im Gegenteil: Nach der Startphase lag der Heppenheimer sogar vor dem Australier, der seinerseits zwei Plätze in Runde eins einbüßte.

Lange sah Vettel Ricciardo nicht, Foto: Sutton
Lange sah Vettel Ricciardo nicht, Foto: Sutton

Erst in Runde 24 war Ricciardo wieder an den amtierenden Weltmeister herangefahren. Dann ging es aber richtig zur Sache: "Lass ihn vorbei", wurde Sebastian Vettel ins Cockpit gefunkt. Doch ganz so einfach wollte der das nicht hinnehmen und so fragte er ersteinmal bei seiner Crew nach, ob sie auf unterschiedlichen Reifen unterwegs wären.

"Ich habe das nicht verstanden, weil wir beide auf den gleichen Reifen unterwegs waren", so Vettel nach dem Rennen. Der einzige Unterschied: Vettel holte sich seinen ersten Satz Mediums schon in Runde 13 ab, Ricciardo kam erst drei Umläufe später. Weil Vettel schon am gesamten Wochenende mit höherem Reifenverschleiß zu kämpfen hatte, visierte Red Bull zu diesem Zeitpunkt unterschiedliche Strategien an.

Ricciardo sollte einmal weniger zum Reifenwechsel kommen als sein Teamkollege. "Es ist schwer einzusehen, dass man so langsam ist", versuchte Vettel später um Verständnis dafür zu werben, nicht sofort Platz gemacht zu haben. "Ich musste dann aber einsehen, dass es keinen Sinn macht, dagegen zu halten."

Teamorder nicht verstanden

In Runde 26 machte Vettel schließlich Platz. Dass es gut anderthalb Runden dauerte, bis die Reihenfolge hergestellt wurde, wollte Vettel am Ende niemand übelnehmen: "Er ist ein Racer. Beide waren auf den gleichen Reifen und natürlich wollte er ihn nicht vorbeilassen. Als er dann gesagt bekam, dass sie auf unterschiedlichen Strategien waren, war es für ihn okay", erzählte Teamchef Christian Horner die Situation aus seiner Sicht.

Schnell konnte Ricciardo eine Lücke zu Vettel aufmachen. Weil Vettels Pace langsamer als gedacht war, entschied man sich, die Strategie zu ändern. "Wir haben auf zwei Stopps umgestellt, weil wir sonst einen Mercedes überholen hätten müssen, was wir aber nicht können", erklärte Dr. Helmut Marko, der sich sicher ist, dass die Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt getroffen wurde.

Sebastian Vettel eierte derweil so sehr mit seinen gebrauchen Mediums herum, dass sich sogar Kamui Kobayashi auf frischeren Reifen zurückrunden konnte. "Wollt ihr mir verarschen?", fragte er daraufhin seine Box und wollte sofort zum Reifenwechsel kommen.

Da wollten Christian Horner und Co. aber noch nicht sagen, dass die Strategie umgestellt wurde. "Es ist besser für uns, wenn du noch mit diesen Reifen fährst", wurde Vettel nur gesagt. "Wir wollten über Funk unsere Strategie nicht bekanntgeben", gibt Marko offen zu.

Was ist mit Vettel los?

Schon in Bahrain duellierten sich Vettel und Ricciardo, Foto: Sutton
Schon in Bahrain duellierten sich Vettel und Ricciardo, Foto: Sutton

Auch wenn die Strategie noch rechtzeitig umgestellt werden konnte: Der Rückstand auf Ricciardo war beträchtlich. Schon im Qualifying nahm der Australier dem Deutschen eine halbe Sekunde ab und führt im Trainingsduell nun mit 3:1. Der Trend im Rennen sieht ähnlich aus. Schon in Bahrain sagte Ex-Weltmeister Jacques Villeneuve gegenüber Motorsport-Magazin.com, dass der Red-Bull-Neuling für ihn die größte Überraschung der Saison sei.

"Ricciardo war immer ein guter Qualifyer und nicht so schnell im Rennen", gab der Kanadier noch zu bedenken. Dass er aktuell der schnellere der beiden Red-Bull-Piloten ist, überrascht ihn umso mehr. Und schön langsam gehen dem Weltmeisterteam die Erklärungen für die ungewöhnliche Reihenfolge aus.

Bisher hieß es einmal Benzinfluss, einmal Software-Update, dann plötzlich Motoren-Mapping. Dass Daniel Ricciardo derzeit einfach schneller ist, wollte niemand glauben oder aussprechen. Nach dem China GP gab es zumindest Andeutungen in diese Richtung. Auch von Teamchef Horner: "Daniel kommt mit dem Auto besser klar."

Marko, der sich mit Einschätzungen selten zurückhält, gibt sich diesmal vorsichtig: "Das Teamduell beurteilen wir derzeit nicht." Ganz um eine Einschätzung kam der Doktor aber nicht herum. "Dani kommt mit dem Auto besser zurecht, sein Reifenverschleiß ist geringer. Bei Sebastian muss man schauen, dass man Einstellungen findet, dass er wieder zum Reifenflüsterer wird."

Vettel selbst wirkt ebenfalls etwas ratlos. "Generell habe ich das Fahren nicht verlernt. Ich komme nicht ganz so klar, aber weiß nicht, woran das liegt", so der vierfache Weltmeister nach dem Rennen. Niki Lauda pflichtet ihm teilweise bei: "Vettel hat nicht das Fahren verlernt, aber das Fahren mit diesen Autos."

2013 platzte der Knoten nach der Sommerpause, Foto: Red Bull
2013 platzte der Knoten nach der Sommerpause, Foto: Red Bull

Vettel scheint sich an die neue Formel 1 nicht so schnell gewöhnt zu haben, wie das Ricciardo schaffte. Neue Reifen, mehr Drehmoment, der Wegfall des angeblasenen Diffusors - alles Faktoren, die großen Einfluss auf den Fahrstil nehmen. Gerade das Fahren mit angeblasenem Diffusor zählte zu Vettels Paradedisziplin.

Allerdings darf eine Sache nicht vergessen werden: Als im vergangenen Jahr das Anblasen des Diffusors stark reglementiert wurde und sich die sensiblen Pirelli-Pneus nach wenigen Runden auflösten, hatte Vettel zunächst auch Probleme, Webber im Zaum zu halten. Am Ende gewann er neun Rennen in Folge und sicherte sich überlegen den Weltmeistertitel.