Und plötzlich fuhr da dieses gelbe Auto an der Spitze... Spektakulärer hätte Simona de Silvestros erster Auftritt in der IndyCar-Serie kaum sein können. Sao Paulo, erstes Rennen der Saison 2010: Die junge Schweizerin war gerade als Gesamtdritte der US-Nachwuchsformelserie Atlantic Championship zu den IndyCars aufgestiegen und schon sammelte sie ihre ersten Führungskilometer. Auf dem engen und rutschigen Stadtkurs inmitten der brasilianischen Metropole war de Silvestro mit vollem Tank an den Start gegangen und tat sich zu Beginn gegen die Konkurrenz schwer. Als ein Großteil des Feldes während einer Gelbphase zum Nachtanken die Boxengasse ansteuerte, blieb de Silvestro auf der Strecke - und übernahm somit die Spitze.

Der Ausgang ihres ersten Rennens in Amerikas Top-Serie war weniger spektakulär. Bremsprobleme und einsetzender Regen zu einem ungünstigen Zeitpunkt spülten de Silvestro auf Platz 16 zurück. Doch die junge Dame aus dem schweizerischen Thun hatte mächtig Eindruck hinterlassen. Die Motorsportwelt fragte sich: War diese de Silvestro nur eine weitere Fahrerin, die mehr aus PR-Gründen als aus sportlicher Sicht verpflichtet wurde? Ein Blick in ihre Vergangenheit zeigte schnell: Sie hatte sich den Platz bei den Großen redlich verdient. In der Saison 2009, ihrem dritten Jahr in der Feeder-Serie Atlantic Championship, fuhr sie der männlichen Konkurrenz um die Ohren: Nach vier Siegen und insgesamt neun Podiumsplatzierungen reiste sie als Meisterschaftsführende zum Finale nach Laguna Seca. Ein Unfall während der ersten Runde begrub ihre Titelhoffnungen jedoch abrupt.

De Silvestro und Nico Hülkenberg beim US Grand Prix 2013, Foto: Sutton
De Silvestro und Nico Hülkenberg beim US Grand Prix 2013, Foto: Sutton

"Wenn wir Helme tragen, sehen wir sowieso alle gleich aus", antwortete de Silvestro einige Male auf die Frage nach ihrem Geschlecht in Verbindung mit der rauen Welt des Motorsports. "Ich möchte, dass die Leute mich anfeuern, weil ich Rennen gewinnen und konkurrenzfähig sein will." Als Frau hat man es sowieso schon nicht einfach im Motorsport - als Schweizerin umso mehr, das Rundstreckenverbot der Eidgenossen lässt grüßen. Vorteil de Silvestro: Sie besitzt eine doppelte Staatsbürgerschaft, geht trotz italienischer Wurzeln aber unter der Schweizer Flagge an den Start. Im Jahr 2006 wagte sie im Alter von 17 Jahren den Schritt über den großen Teich. Ziel: die US-amerikanische Formel BMW. Mit Kart-Erfolgen aus Frankreich und Italien sowie ein wenig Formel-Erfahrung im Gepäck, unternahm de Silvestro so den nächsten Schritt auf der Karriereleiter.

Mit Platz vier im Debütjahr setzte sie ein erstes Zeichen in der Nachwuchsszene. Es folgte der Aufstieg in die Atlantic Championship zur Saison 2007. "Miss Swiss", diesen Spitznamen trägt de Silvestro seit dieser Zeit, musste sich jedoch erst einmal an die höheren Aufgaben gewöhnen. Mehr als Platz 19 war in ihrem ersten Jahr nicht drin. Highlight in diesem Jahr war ein GP2-Test in Le Castellet. Dort traf sie unter anderem auf Giedo van der Garde, ihren neuen Teamkollegen bei Sauber. Der Niederländer sitzt nach seinem Aus bei Caterham ebenfalls beim Schweizer Rennstall auf der Ersatzbank.

2008 setzte de Silvestro ihr erstes Ausrufezeichen auf dem US-Markt: Beim ersten Rennwochenende der Atlantic Championship in Long Beach gelang ihr der Debütsieg - es war das gleiche Wochenende, an dem eine gewisse Danica Patrick einige tausend Kilometer entfernt in Motegi ihren ersten Sieg in der IndyCar-Serie erzielte; der Serie, in die de Silvestro zwei Jahre später aufsteigen sollte. Neben den Führungskilometern sorgte de Silvestro in der Top-Klasse in der Saison 2010 für ein weiteres Spektakel: In Forth Worth musste sie nach einem Unfall rund eine halbe Minute in ihrem brennenden Boliden ausharren, bis die Streckenposten das Feuer löschen konnten. Angesprochen auf die Brandverletzungen an ihrer rechten Hand, entgegnete sie tough: "Schade um das schöne Auto."

Mit ihrer kompromisslosen Herangehensweise verschaffte sich de Silvestro Respekt im Fahrerlager. Nach Platz 19 im Gesamtklassement in ihrer Debütsaison, blieb de Silvestro ihrem Team HVM Racing treu - und erste Erfolge stellten sich ein. Gleich beim Saisonauftakt in St. Petersburg erzielte die damals 23-Jährige mit Platz vier ihr bis dahin bestes Ergebnis. Nach einem heftigen Unfall beim Training zum Indy 500 - wieder fing ihr Auto Feuer - sowie einem Crash bei einem späteren Rennen in West Alis endete ihr zweites Jahr bei den IndyCars auf Platz 20.

Platz 2 in Houston: De Silvestros bestes IndyCar-Finish, Foto: IndyCar
Platz 2 in Houston: De Silvestros bestes IndyCar-Finish, Foto: IndyCar

Es sollte zwar unfallfreier, aber auch erfolglos weitergehen: Zur Saison 2012 stieg Lotus bei HVM-Racing ein, doch der neue Motor erwies sich als nicht konkurrenzfähig. Tiefpunkt: Beim Indy 500 wurde de Silvestro wegen der 105-Prozent-Regel nach nur zehn Runden aus dem Rennen genommen. "Ich glaube, dass viele Leute in meiner Situation ziemlich demotiviert wären, aber ich habe einfach weiter hart gearbeitet", hatte de Silvestro nach der Klatsche lediglich gesagt.

Wo es runter geht, geht es manchmal auch wieder bergauf - bei de Silvestro sollte sich dies in Verbindung mit dem Wechsel zu KV Racing bewahrheiten. An der Seite von Superstar Tony Kanaan schaffte de Silvestro zehn Podiumsplatzierungen in 19 Rennen, ihr Höhepunkt war der zweite Platz beim Houston-Rennen. Damit geht sie nach Sarah Fisher und Danica Patrick als dritte Frau in die Geschichte der IndyCars ein, die es aufs Podium geschafft hat. Gesamtplatz 13 war ihr bestes Resultat in ihrem vierten Jahr in der Serie. Nun also der Sprung in die Formel 1 zu Sauber - ob sich der Aufwärtstrend der jungen Schweizerin fortsetzt?