Reifen-Poker in Shanghai! Sebastian Vettel und Red Bull wählten im Qualifying zum China Grand Prix einen anderen Ansatz als der Großteil der restlichen Top-10: Während die ersten Sieben der Startaufstellung auf den heiklen weichen Mischungen ins dritte Rennen des Jahres starten, wird Vettel höchstwahrscheinlich auf die Medium-Reifen setzen. Der Weltmeister hat freie Wahl, da er im Q3 keine gezeitete Runde fuhr, also kommen wohl seine Mediums aus der letzten Qualifying-Runde zuerst zum Einsatz. Auf diesem Reifen fuhr Vettel lediglich die ersten beiden Sektoren, bevor er die Runde wegen eines Verbremsers - bedingt durch Verlust des Bremsdrucks - vorzeitig abbrach und in die Box zurückkehrte.

Red Bull hatte diesen alternativen Plan bereits vor Beginn des Qualifyings ausgeheckt. In den Trainings sah das Team, dass vor allem Ferrari und Mercedes sehr stark auf den Softs unterwegs waren - mit der Pole hatte Red Bull also sowieso nicht kalkuliert. "Wir sahen gestern, dass jeder Probleme auf den weichen Reifen hatte, also entschieden wir, etwas anderes zu machen", erklärte der Heppenheimer. Hintergrund: Die Top-7 werden mit ihren gebrauchten Soft-Reifen wohl innerhalb der ersten fünf bis maximal zehn Runden ihren ersten Boxenstopp absolvieren, während Vettel selbst wesentlich länger draußen bleiben kann.

Vettel wird dadurch nach vorne durchgereicht und muss schauen, dass er auf seinem ersten Satz Mediums möglichst lange auf der Strecke bleibt. Wahrscheinlich kommt der softe Reifen an seinem RB9 erst im letzten Stint zum Einsatz, wenn das Auto weniger wiegt und das Potenzial des schnelleren Reifens voll nutzen kann und sich der Abbau etwas verbessern dürfte. Die Zeichen in Shanghai stehen klar auf Drei-Stopp-Strategie, sodass die Konkurrenz ihm hier nicht in die Quere kommen sollte. "Ich wäre überrascht, wenn jemand auf Zwei-Stopp fährt", sagte Vettel. "Die Range auf den Medium-Reifen ist sehr gut, besser als wir und Pirelli es erwartet hatten. Aber der weiche Reifen ist kritisch und um mit zwei Reifenwechseln durchzukommen, müsste man einen Großteil auf diesen Mischungen absolvieren."

Eine Alternative wäre gewesen, im Qualifying die gleiche Strategie wie die meisten anderen Piloten zu wählen und sich auf den Speed des RB9 zu verlassen. Doch Red Bull konnte an diesem Wochenende nicht mit Dominanz glänzen, die Konkurrenz fährt mindestens auf gleichem Niveau. "Mercedes sieht allgemein am stärksten aus", meinte Vettel. "Sie waren hier auch 2012 am besten und es gibt etwas an dieser Strecke, das sie mögen. Es wird schwierig, sie zu besiegen." Dabei vermutete Vettel zunächst, dass die Silberpfeile auf den weichen Reifen gar nicht so stark sein würden - Lewis Hamiltons erste Pole für den neuen Arbeitgeber strafte ihn jedoch Lügen.

"Mercedes sah zumindest zu Beginn des Wochenendes sehr konkurrenzfähig auf den härteren Reifen aus, nicht so sehr auf den Softs", so Vettel. "Vielleicht hatten sie aber auch eine andere Benzin-Strategie." Neben Hamilton und Nico Rosberg hinterließ auch Ferrari einen starken Eindruck und zählt zu den direkten Gegnern von Vettel. "Vor allem Ferrari war sehr stark auf den weichen Reifen", stellte Vettel anerkennend fest. Im Q2 konnte Vettel Fernando Alonso und Felipe Massa zumindest noch Paroli bieten: "Da lief es auf den neuen Reifen gar nicht so verkehrt und wir konnten die Ferraris splitten."

Im Rennen könnte alles wieder ganz anders aussehen, wenn die Autos randvoll mit Benzin geladen werden. Deshalb hielt sich Vettel auch damit zurück, eine Einschätzung bezüglich der Rennpace abgeben zu wollen. "Das ist schwer zu sagen, weil die Reifen hier so eine große Rolle spielen", meinte der 25-Jährige. "10 oder 20 Kilo mehr oder weniger im Auto können einen großen Unterschied ausmachen." Was Vettel persönlich von der neuen Reifen-Generation von Pirelli hält, daraus machte er kein großes Geheimnis. Auf die Frage, welche Schulnote er den Reifen geben würde, antwortete er unumwunden: "Soll ich ehrlich sein? Eine 6."