Williams im Umbruch: Nach dem Ende der letzten Saison musste das britische Traditionsteam zwei prominente Abgänge auf der Führungsebene verkraften. Toto Wolff, Anteilseigner, Geschäftsführer und designierter Nachfolger von Sir Frank Williams, verließ den Rennstall in Richtung Mercedes. Streckenchef Mark Gillan kehrte der Truppe aus Grove aus privaten Gründen den Rücken. Hinzu kam die angeschlagene Gesundheit von Teamgründer Williams. Und so steht der neunmalige Konstrukteurs-Weltmeister zu Beginn der neuen Saison am Scheideweg. Lässt sich der Aufwärtstrend der vergangenen Saison trotz des Verlustes einiger Schlüsselfiguren fortsetzen, oder verliert Williams im Kampf um die besten Plätze in der Königsklasse an Boden?

Das Team: Dem Nachwuchs eine Chance. Anstatt nach den medienwirksamen Abgängen von Toto Wolff und Mark Gillan spektakuläre Neuverpflichtungen zu tätigen, entschied sich Williams die Schlüsselpositionen mit Leuten aus den eigenen Reihen zu besetzen. Xevi Pujolar, bislang Renningenieur von Pastor Maldonado, stieg zum neuen Chef-Rennigenieur auf und ist von nun an Hauptverantwortlicher für die Performance an den Grand-Prix-Wochenenden.

Und auch auf den zu Mercedes abgewanderten Wolff folgt offenbar kein Mann mit einem großen Namen. "Nein, keinesfalls", antwortete Technik-Direktor Mike Coughlan auf die Frage, ob Wolff eins zu eins ersetzt werden würde. "Immer wenn sich eine Tür schließt, geht eine neue auf. Das ist eine großartige Chance für einige junge Leute." Die Gefahr, dass Williams durch den Verlust seiner Führungsfiguren ins Schlingern gerät, sieht Coughlan dabei nicht. "Was wir an Erfahrung einbüßen, werden wir durch Einsatz wettmachen", kündigte er an.

Wie schnell ist der FW35?, Foto: Sutton
Wie schnell ist der FW35?, Foto: Sutton

Die Fahrer: Große Hoffnungen ruhen auf Pastor Maldonado. Der Venezolaner fuhr mit seinem Sieg beim Großen Preis von Spanien nach fast achtjähriger Durststrecke endlich wieder einen Erfolg für Williams ein. Im weiteren Verlauf der Saison machte er aber vor allem durch seinen riskanten Fahrstil und einige selbst verschuldete Unfälle, denn als Punktelieferant von sich reden. Nach seinem Triumph in Barcelona fuhr er in den folgenden 15 Rennen nur noch dreimal in die Punkte. Technik-Chef Mike Coughlan hält trotzdem große Stücke auf den Heißsporn aus Maracay. Es sei vor allem die fehlende Entwicklung des Autos gewesen, die Maldonado im letzten Drittel der Saison ausgebremst hätte. "Pastor ist am Ende der Saison hervorragend gefahren, die Leute haben nicht realisiert, mit welchen Problemen er sich herumschlagen musste", erklärte der Brite.

Mit dieser Meinung steht Coughlan nicht alleine da. Motorsport-Magazin.com Experte Christian Danner hat bei dem 27-Jährigen eine stetige Lernkurve ausgemacht. "Maldonado hat sich in seiner Formel-1-Zeit sichtbar weiterentwickelt", meinte er. "Im Vergleich zu seiner ersten Saison ist er viel stärker geworden. Williams hat ihm eingetrichtert, was er machen muss. Irgendwann hat er es kapiert und kann es jetzt auch entsprechend umsetzen." Und Maldonado wird seine neu gewonnene Reife wohl auch in Zukunft zeigen können. Die Befürchtungen, dass die staatliche venezolanische Ölgesellschaft PDVSA, die ihn mit kolportierten 35 Millionen jährlich unterstützt, ihr Engagement nach dem Ableben von Maldonados Förderer Hugo Chavez beendet, bestätigten sich nicht.

Viel erwartet sich die Williams-Führung auch von Neuling Vallteri Bottas. Der 23-Jährige wurde nach dem Ende der vergangenen Saison anstelle von Bruno Senna zum zweiten Stammfahrer befördert. Für viele Experten der richtige Schritt, an dem fahrerischen Talent des letztjährigen Testfahrers besteht offenbar kein Zweifel. "Bottas wird sofort schnell sein", meinte Danner. "Er weiß, was er am Steuer macht, und er hat unheimlichen Spaß am Rennfahren. Natürlich bekam er Unterstützung durch Toto Wolff, aber Bottas ist ganz konsequent seinen eigenen Weg gegangen. Dem muss man nichts mehr erklären."

Der frühere Williams-Boss Adam Parr traut dem Rookie aus Finnland sogar zu, sich auf lange Sicht zu einem der besten Piloten des Fahrerfeldes zu entwickeln. "Bottas ist einer der talentiertesten Fahrer, die ich je gesehen habe", urteilte er im Gespräch mit Motorsport-Magazin.com. "Meiner Meinung nach hat er das Potenzial, ein ganz großer Fahrer zu werden." Auch wenn es ihm für Senna leid täte, in diesem Fall habe Williams überhaupt keine andere Wahl gehabt, als Bottas einen Sitz zuzusprechen, erklärte er. "Hätte Williams ihn nicht in ein Auto gesetzt, hätten sie ihn wahrscheinlich verloren. Das wäre eine Katastrophe gewesen."

Kann Valtteri Bottas die vielen Vorschlusslorbeeren bestätigen?, Foto: Sutton
Kann Valtteri Bottas die vielen Vorschlusslorbeeren bestätigen?, Foto: Sutton

Das Auto: Als einziges Team brachte Williams seinen neuen Boliden noch nicht zum ersten Test nach Jerez mit. Der FW35 erblickte erst beim Barcelona-Test das Licht der Welt, doch einige Teile des neuen Fahrzeugs waren schon in Jerez zu sehen. So testeten die Briten bereits zwei verschiedene Nasen-Varianten und verglichen den Semi-Coanda-Auspuff mit der herkömmlichen Variante beim Testauftakt. Also wiegt der Verlust der ersten vier Testtage nicht so schwer, wie Experten zunächst annahmen.

Wie schon im vergangenen Jahr setzt Williams beim FW35 auf ein extremes Heck. Bei keinem anderen Auto fällt die Motorabdeckung so kurz aus, bei keinem anderen Renner ist das Getriebe so schön zu sehen. Wie Red Bull und Lotus rüstete die Mannschaft von Frank Williams den Boliden mit einem Voll-Coanda-Auspuff aus, jedoch fehlt in diesem Bereich noch etwas Erfahrung, schließlich kam die Voll-Coanda-Variante nur am letzten Testtag zum Einsatz. Die Pace des FW35 hinkt noch ein wenig hinterher, allerdings sollten die Tests nicht unbedingt als Gradmesser dafür dienen. Bei der Zuverlässigkeit gibt es hingegen wenig auszusetzen. Gleich beim ersten Barcelona-Test absolvierten Maldonado und Bottas mehr Runden als jedes andere Team-Gespann.

Saisonziel: Platz sechs in der Konstrukteurs-WM, ein Sieg

PRO: Der große Pluspunkt von Williams ist die Fahrerpaarung. Dass Maldonado den Speed hat, um die Top-Fahrer zu fordern, hat er schon mehrere Male unter Beweis gestellt. Und in seinem dritten Jahr gesellt sich nun auch die nötige Erfahrung hinzu. Positiv sollte sich auch auswirken, dass er mit Bottas einen teaminternen Rivalen hat, der ihn deutlich mehr fordert als im letzten Jahr Senna. Positiv ist auch zu beurteilen, dass sich Williams nach den prominenten Abgängen auf Führungsebene dazu entschloss, den Verlust teamintern aufzufangen. Das Team ist nach wie vor gut aufgestellt. Gillan hat ein bestelltes Feld hinterlassen, mit Coughlan steht nun ein äußerst erfahrener und fähiger Mann an der Spitze der Technik-Abteilung. Demnach sollte der große Aderlass nach dem Ende der letzten Saison dem Traditions-Rennstall keine allzu großen Probleme bereiten. (Olaf Mehlhose)

CONTRA: Auch wenn Williams durch Diversifikation versucht, sich breiter aufzustellen, besteht die Gefahr, dass beim Traditionsrennstall das Geld knapp wird. Nach dem Tod von Maldonado-Förderer Hugo Chavez sind die Venezuela-Millionen nicht mehr sicher - und die Sponsoren-Millionen von Senna fließen nach der Verpflichtung von Bottas schon jetzt nicht mehr. Ein großes Fragezeichen steht auch hinter der Fahrerpaarung: Kann Maldonado seine Pace endlich regelmäßig ins Ziel bringen? Ist Bottas das große Talent, für das ihn die Experten halten? Zudem bereitet der Gesundheitszustand von Teamchef und Gründer Sir Frank Williams große Sorgen. Die Krankenhausaufenthalte des 70-Jährigen häufen sich leider in letzter Zeit, ein Nachfolger steht nach den zahlreichen Abgängen in der Führungsriege nicht in den Startlöchern. (Christian Menath)