Lewis Hamilton klang verzweifelt. "Er ist viel schneller als ich", teilte der 27-Jährige seinem Team beim Großen Preis von Großbritannien in Runde 32 über Boxenfunk mit. Gemeint war Romain Grosjean, der den vor ihm fahrenden Mclaren-Piloten heftig attackierte. Drei Runden später war es dann soweit. Der Lotus-Pilot zog nahezu problemlos an seinem britischen Widersacher vorbei und ließ Hamilton bei seinem Heimspiel einfach stehen. Grosjean war zugegebenermaßen schnell unterwegs, aber vor nicht allzu langer Zeit galten die Chrompfeile noch als die schnellsten Autos im Feld. Die Szene spiegelt den bisherigen Saisonverlauf des Teams aus Woking nahezu perfekt wieder.

Rückblende: Beim Saisonauftakt in Melbourne ist McLaren das alles überragende Team. Jenson Button sicherte sich nach einer bärenstarken Vorstellung den ersten Saisonerfolg, Pole-Setter Hamilton wird Dritter; der MP4-27 galt unter Experten als das stärkste Auto im Feld. Von dieser Herrlichkeit ist allerdings nicht mehr viel übrig. Die Konkurrenz von Red Bull und Ferrari scheint enteilt, die anderen Teams kommen mit rasenden Schritten näher. "Red Bull und Ferrari sehen sehr gut aus", sagte Button nach den für McLaren enttäuschenden Plätzen acht und zehn in Silverstone. "Aber auch Lotus, Sauber und Williams waren heute schneller als wir. Es ist wirklich überraschend, wie viele Autos vor uns liegen."

Zumal der Silverstone Circuit eigentlich als McLaren-Strecke galt. "Eigentlich dachten wir, wir wären auf dieser Strecke konkurrenzfähig", meinte Button. Von der WM ist bei den hochgewetteten McLaren-Piloten inzwischen keine Rede mehr. "Wie viele Punkte haben wir geholt?", fragte Lewis Hamilton nach dem frustrierenden Heimrennen. "Nur vier? Das ist nicht gerade viel. Wenn wir nicht mehr Speed finden, wird es schwierig, auch weiterhin um den Titel mitzukämpfen." Auch die Fachleute haben ihre Meinung über McLaren mittlerweile revidiert. "Ich denke, im Moment kristallisiert sich heraus, dass die WM zwischen Webber, Alonso und Vettel entschieden wird", sagte TV-Experte Christian Danner im Interview mit Motorsport-Magazin.com. "Die McLaren fallen immer weiter zurück."

Jenson Button (l.) und Lewis Hamilton hatten sich ihr Heimspiel sicherlich anders vorgestellt, Foto: Sutton
Jenson Button (l.) und Lewis Hamilton hatten sich ihr Heimspiel sicherlich anders vorgestellt, Foto: Sutton

Neben fehlender Pace machte der 54-Jährige auch taktische Fehler für das unbefriedigende Resultat verantwortlich. "Die Hamilton-Strategie war heute nicht besonders clever", konstatierte er. "Bei einem Grosjean, der nach seinem frühen Reifenwechsel fast noch Kimi Räikkönen auf Platz fünf hätte angreifen können, sieht man, was auch für McLaren möglich gewesen wäre." Dass beim Team von Martin Whitmarsh kurzzeitig Besserung eintritt, erwartet Danner hingegen nicht. "Das ist eine Enttäuschung, die auch anhält", stellte er klar.

Ganz so eindeutig fiel das Urteil der Konkurrenz von Red Bull und Ferrari noch nicht aus, Fernando Alonso und Sebastian Vettel wollten McLaren nach dem Rennen in Silverstone noch nicht abschreiben. "Man muss immer mit McLaren rechnen", meinte Alonso und Vettel hieb in die selbe Kerbe. "Wenn ich Jenson oder Lewis wäre, würde ich mir keine Sorgen machen. Beide haben in den Trainings am Freitag und am Samstag einen starken Eindruck gemacht", gab der Weltmeister zu Protokoll. "Und im Qualifying war halt Chaos."

Die Aufmunterungsversuche der Kontrahenten in allen Ehren - doch Danner könnte Recht behalten. Denn bislang scheint McLaren keinen blassen Schimmer zu haben, wo der Hebel anzusetzen ist. "Ich fuhr mir das Herz aus dem Leib und gab bis zum Ende Vollgas", berichtete Hamilton. "Aber die anderen fuhren eine Pace, die ich nicht mitgehen konnte. Unser Auto hat sich nicht schlecht angefühlt, ihres muss sich unglaublich angefühlt haben." Buttons Resümee fiel ähnlich aus. "Wir haben eigentlich nicht viel falsch gemacht", erzählte er. "Wir hatten eine gute Balance und das Auto hat sich gut angefühlt, und auch die Pitstops waren in Ordnung." Irgendwie hörte sich das ratlos an.