Der zweite Silberpfeil der Neuzeit erlebte gleich in seinen ersten vier Testwochen eine Achterbahnfahrt: Erst kritisiert, dann aktualisiert und plötzlich Spitzenreiter. "Das Team hat definitiv viele Fortschritte gemacht, es war toll, wie viel da gekommen ist", lobte Nico Rosberg die von Anfang an geplante Weiterentwicklung des MGP W02. An deren Ende standen beim Abschlusstest in Barcelona Bestzeiten für beide Fahrer - im Trockenen und im Nassen.

"Wir haben unser Pulver verschossen", sagte Ross Brawn hinterher. Sein Ziel war es, mit dem neuen Upgrade-Paket eine Sekunde aufzuholen, dies ist dem Team offensichtlich gelungen. "Natürlich sind wir noch nicht ganz am Ziel, da wir die Weltmeisterschaft gewinnen wollen und noch nicht das schnellste Auto haben", betont Rosberg. Aber das Team sei auf dem richtigen Weg.

Wohin dieser führen soll, steht für Michael Schumacher schon lange fest: "Ich bin überzeugt, dass wir dieses Jahr um Siege mitkämpfen können und vielleicht sogar um die WM." Darin sieht er sich in seiner Bestzeit in Barcelona bestätigt: "Ich glaube nicht, dass wir jetzt über das Siegauto reden müssen. Aber Faktum ist, uns ernst zu nehmen, ist nicht allzu verkehrt."

Nico Rosberg sieht noch Verbesserungspotenzial, Foto: Sutton
Nico Rosberg sieht noch Verbesserungspotenzial, Foto: Sutton

Das Team Das erste Jahr als Silberpfeil-Werksteam verlief nicht nach Wunsch. Für die Saison 2011 soll der neue Technische Direktor Bob Bell frischen Schwung bringen, allerdings beginnt der ehemalige Renault-Mann erst am 1. April mit seiner Arbeit in Brackley. Sein Einfluss wird also erst im Laufe des Jahres und beim Boliden für 2012 zu bemerken sein.

Trotzdem ist das Team besser gerüstet für die Saison als vor einem Jahr: Damals litt die Vorbereitung auf 2010 unter dem Titelkampf von Brawn GP und den geringen finanziellen Mitteln, die Ross Brawn und seiner ehemaligen Honda-Truppe zur Verfügung standen. In dieser Saison ist das Budget zwar nicht unerschöpflich, immerhin betont Mercedes GP stets, dass sein Team äußerst kosteneffizient arbeitet, doch durchaus besser aufgestellt als zu Brawn-Zeiten. "Da gibt es überhaupt keine Entschuldigungen", betont Norbert Haug.

Die Fahrer Keine Veränderung bei den Piloten: Auch 2011 tritt Mercedes GP mit Michael Schumacher und Nico Rosberg an. Um die ganz großen Erfolge zu erzielen, sind beide darauf angewiesen, dass ihr Silberpfeil den Ansprüchen genügt. Davon abgesehen wird auch das interne Teamduell wieder mit Argusaugen beobachtet werden.

Der neue Silberpfeil kam erst spat in Fahrt, Foto: Mercedes GP
Der neue Silberpfeil kam erst spat in Fahrt, Foto: Mercedes GP

Michael Schumacher muss seinen Aufwärtstrend der letzten Saisonrennen 2010 bestätigen. Nach einem durchwachsenen Start in seine Comebacksaison schien der Rekordweltmeister gegen Saisonende immer besser in Fahrt zu kommen. Das muss er allerdings auch, denn Nico Rosberg war auch zu diesem Zeitpunkt meist schneller unterwegs und hätte in Korea sogar auf das Podium fahren können. Norbert Haug traute ihm bei diesem Rennen sogar den ersten Sieg zu. Wenn das Auto gut genug ist, sollten Siege auch für beide Mercedes-Piloten das Ziel sein.

Das Auto Die mediale Ernüchterung war groß, als der neue Silberpfeil bei den ersten Testfahrten nicht viel besser zu sein schien als sein Vorgänger. Doch das Team berief sich immer wieder darauf, dass der MGP W02 nur eine Basisversion sei, die bis zum Saisonstart noch mit etlichen Upgrade-Paketen aufgewertet werden würde. Das scheint sich beim letzten Test in Barcelona bestätigt zu haben: Plötzlich mischte das Auto mit neuen Teilen ganz vorne mit. Dennoch sind die Mercedes-Zeiten, ebenso wie alle anderen, mit Vorsicht zu genießen. Was sie wirklich wert sind, wird sich erst in Australien zeigen.

Zumindest die Zuverlässigkeit des Autos scheint schon jetzt zu stimmen. Während McLaren mit 4.719 km die viertwenigsten Testkilometer absolvierte, nur Virgin, Lotus und HRT fuhren weniger, absolvierte Mercedes mit 5.778 km die viertmeisten Testkilometer - nur Ferrari, Red Bull und Sauber waren fleißiger. Mit dem erprobten Mercedes-V8 und der Rückkehr des wohl besten KER-Systems ist der MGP W02 an dieser Front gut gerüstet.

Wie hell glänzt der Stern in dieser Saison?, Foto: Mercedes GP
Wie hell glänzt der Stern in dieser Saison?, Foto: Mercedes GP

Saisonziel: Siege und Titelkampf

PRO: Die Töne sind etwas leiser geworden als vor einem Jahr, doch die Ansprüche von Mercedes GP sind dieselben geblieben: das Team möchte siegen und spätestens 2012 um den WM-Titel kämpfen. Die letzten Eindrücke bei den Testfahrten versprechen, dass sie dieser Zielsetzung in dieser Saison sehr viel näher kommen als noch 2010. Ob es am Ende tatsächlich reicht, um Ferrari und Red Bull ernsthaft unter Druck zu setzen, bleibt abzuwarten, aber die Ressourcen und die Grundlage sind in diesem Jahr vorhanden. (Stephan Heublein)

CONTRA: Schon früh war 2010 klar, dass der MGP W01 eher einer Krücke als einem Siegauto glich. Deshalb konzentrierte sich Mercedes vorzeitig auf den Nachfolger, doch bisher merkte man nichts von dem Entwicklungsvorsprung gegenüber Red Bull und Ferrari. Zuletzt konnte Michael Schumacher mit einer Bestzeit die Kritiker verstummen lassen, doch die Frage ist wie lange? In Australien muss Mercedes GP beweisen, dass man immer noch zu den Spitzenteams zählt. (Kerstin Hasenbichler)