Der Circuit Gilles Villeneuve ist einzigartig im Rennkalender der Formel 1. Die Strecke ist ein klassischer Stop-and-go-Kurs, auf dem die Fahrer pro Runde mehrmals aus hohen Geschwindigkeiten stark abbremsen und dabei auf die Asphaltunebenheiten achten müssen. Weil es sich nicht um eine permanente Rennstrecke handelt, verbessert sich das Grip-Niveau kontinuierlich während des Wochenendes. "Von Runde zu Runde kannst du immer ein bisschen mehr pushen", verrät Robert Kubica.

Dabei balancieren die Fahrer immer an der Mauer entlang. "Die Streckenbegrenzung ist sehr nah, auch kleine Fehler können daher große Folgen haben", weiß Kubica. Am Ausgang der Schikane in Kurve drei und vier kommen die Fahrer der Streckenbegrenzung sehr nahe - noch näher als an der berüchtigten Wall of Champions am Ende der Runde.

"Wenn du bis auf wenige Millimeter an sie heran fährst, bist du 0,2 Sekunden schneller, als wenn du 50 Zentimeter Sicherheitsabstand lässt", erklärt Kubica. "Du bekommst schnell ein Gefühl dafür, wie nah du tatsächlich heran kannst. Aber du musst aufpassen, denn bei einer Berührung kann leicht etwas am Auto kaputtgehen." Auch Lewis Hamilton weiß, dass der Kurs keinen Fehler verzeiht. "Die Strecke ist unglaublich hart - selbst wenn man die Mauern meidet, ist die Streckenoberfläche abseits der Ideallinie sehr rutschig. Auf dieser Strecke darf du dir nicht den geringsten Fehler erlauben."

Besonders wichtig ist eine fehlerfreie Fahrt in den Kurven 8 und 9, die zur 180-Grad-Haarnadel führen - dem einzigen und besten Überholpunkt auf der Ile de Notre Dame. "In der Vergangenheit gab es dort immer wieder Probleme mit der Asphaltdecke, die öfters aufbrach", erinnert sich Kubica. Die Probleme sollen durch eine neue Asphaltdecke aber behoben worden sein. "Am besten fährst du die Haarnadel wie ein V", verrät der Renault-Pilot. "Das heißt, du gehst am Kurveneingang einen Kompromiss ein, um am Ausgang eine gute Linie mit viel Traktion zu haben, um auf die lange Gerade zu beschleunigen."

So wenig Flügel wie möglich

Mit einem Mix aus langen, schnellen Geraden und engen Schikanen, eingerahmt von unnachgiebigen Betonmauern, fühlt sich der Kurs an wie eine Mischung aus Monaco und Monza. Entsprechend vielfältig sind die Herausforderungen bei der Fahrzeugabstimmung. "Die Rennstrecke ist in vielerlei Hinsicht einzigartig", sagt Sauber-Technikchef James Key. "Wir fahren zum ersten Mal in diesem Jahr ein mittleres Abtriebsniveau und werden deshalb den Luftwiderstand reduzieren, um die Rundenzeit zu optimieren."

Aufgrund des Stop-and-Go-Charakters und der hohen Randsteine in den Schikanen muss viel beim Setup beachtet werden. Darüber hinaus können Reifenverschleiß und Grip-Niveau in Montréal ungewöhnlich sein. "Das Grip-Niveau kann sehr niedrig sein, und wir haben in der Vergangenheit schon erlebt, dass es sich im Laufe eines Trainings nicht verbesserte", so Key. "Gleichzeitig kann man heftigen Reifenverschleiß haben und jede Menge Gummiabrieb, der neben der Ideallinie herumliegt." Angesichts der starken Bremsmanöver müssen die Fahrer sehr sorgfältig mit ihren Reifen umgehen.

Beim Aerodynamik-Setup wählen die Teams den geringsten Abtrieb der bisherigen Saison. "Nur in Monza werden wir noch flachere Flügelstellungen sehen", erklärt Vitaly Petrovs Renningenieur Mark Slade. "Wir treten mit ganz speziellen Flügeln an, die wir sonst auf keiner Strecke einsetzen. Sie zeichnen sich vor allem durch geringen Luftwiderstand aus, um uns eine gute Höchstgeschwindigkeit auf den Geraden zu ermöglichen."

Beim mechanischen Setup kommt es in Montreal auf eine gute Traktion an - und darauf, dass der Wagen mit den vielen Bodenwellen gut zurecht kommt. "Wenn das Auto auf den Unebenheiten anfängt zu springen, verlierst du Grip", erklärt Slade. "Damit die Räder unter allen Bedingungen Bodenkontakt behalten, verwenden wir eine weichere Abstimmung. Die kommt darüber hinaus dem Grip in den Schikanen zugute. Das ist wichtig, weil die Fahrer dort sehr aggressiv ans Werk gehen müssen. Denn dort lässt sich viel Zeit gewinnen oder verlieren."

Schwerstarbeit für die Bremsen

Die Bremsen werden in Montreal ganz besonders hart gefordert. "Wir werden den Bremsverschleiß und die Bremstemperaturen sehr genau beobachten und auch der Bremsstabilität viel Aufmerksamkeit widmen", erklärt Key. "Montreal ist mit Abstand der härteste Kurs für die Bremsen", betont Slade. "Unsere Fahrer stehen 16 Prozent der Runde auf der Bremse, in Monza sind es nur zwölf Prozent."

In Montreal gibt es in jedem Umlauf vier Stellen, an denen aus über 300 km/h auf rund 120 km/h heruntergebremst wird. Das Bremssystem nimmt dabei riesige Mengen Energie auf. "Und weil die Strecke zudem noch relativ kurz ist, wiederholt sich diese Tortur im Rennen 70 Mal", sagt Slade. Weil die Boliden in diesem Jahr randvoll getankt an den Start gehen, steht den Bremsen ein noch härterer Job bevor als bislang schon. Im Vergleich zum letzten Rennen in Kanada 2008 wird das Verzögerungssystem nochmals rund zehn Prozent mehr kinetische Energie aufnehmen.

Gute Bremsen sind auch bei Tierfreunden gefragt, die den Murmeltieren ausweichen wollen, Foto: Sutton
Gute Bremsen sind auch bei Tierfreunden gefragt, die den Murmeltieren ausweichen wollen, Foto: Sutton

Ein weiterer Faktor kommt hinzu: Wegen der auf Topspeed statt auf Downforce getrimmten Flügel können diese - anders als auf konventionelleren Kursen - den Geschwindigkeitsabbau nicht unterstützen. Die Bremsen müssen die gesamte Arbeit allein übernehmen. "In Montreal erreichen die Bremsscheiben nicht nur sehr hohe Spitzentemperaturen, sie müssen diese auch noch sehr viel länger aushalten als anderswo", fährt Slade fort.

Mehr Power vom Motor

Neben den Bremsen müssen auch die Motoren in Montreal leiden. Die Mischung aus langen Geraden und langsamen Kurven verlangt nach einem guten Motordrehmoment am Kurvenausgang. Damit das Auto so schnell wie möglich aus den Kurven heraus beschleunigen kann, müssen die Ingenieure die Motorleistung optimieren. Dabei wird der F-Kanal eine wichtige Rolle spielen - sofern er einsatzbereit und funktionstüchtig is.

Eine Runde ist in weniger als 80 Sekunden beendet. Die Motoren laufen dabei nur für rund 60 Prozent einer Runde mit Volllast. Wichtiger wird die Spitzenleistung auf den langen Geraden. "Hier sind vor allem Höchstgeschwindigkeit und über die gesamte Renndauer gut funktionierende und leistungsfähige Bremsen gefragt", bestätigt Norbert Haug. "Und natürlich verlangt der Hochgeschwindigkeitskurs von Montreal auch Motorleistung."