1. - Wieso steigt Audi nach 2020 aus der DTM aus?

Beim Ausstieg handelt es sich effektiv um die Entscheidung, den auslaufenden Vertrag mit der DTM nicht über 2020 hinaus zu verlängern. Damit ist nach der werksseitigen Rückkehr 2004 und bislang elf Fahrer-Meisterschaften seit 1990 erst einmal Feierabend für die Marke mit den vier Ringen. Audi führte zwei Argumente an: Neuausrichtung des Motorsportprogrammes mit Blick auf angepeilte CO2-neutrale Markenstrategie und wirtschaftliche Auswirkungen der Corona-Krise.

Drei Tage nach dem Vorstandsbeschluss legte Audi die Zahlen für das erste Quartal 2020 vor. Die Auslieferungen gingen um 21,1 Prozent zurück. Mit Blick auf das Gesamtjahr erwarten Audi und Co. signifikante Auswirkungen und Erlöse deutlich unter dem Vorjahresniveau. Es war absehbar, dass die DTM, die jährlich einen hohen zweistelligen Millionenbetrag verschlingt, der Krise zum Opfer fallen würde. Das Formel-E-Werksprogramm hingegen bekam grünes Licht im Vorstand.

Der amtierende und zweifache DTM-Meister Rene Rast brachte es bei Motorsport-Magazin.com auf den Punkt: "Wir müssen uns immer vor Augen führen, warum Motorsport betrieben wird. Natürlich wollen wir auf der einen Seite tollen Sport sehen, auf der anderen ist es aber ein Marketinginstrument, um die Leute für Autos zu begeistern. Die mittel- und langfristige Ausrichtung der Hersteller ist einfach elektrisch, und da passt die Formel E perfekt ins Bild. Das muss man einfach so sagen."

2. - Warum fiel die Entscheidung zu diesem Zeitpunkt?

Szene-Kenner hatten mit einer (negativen) Entscheidung des Audi-Vorstandes erst im Herbst dieses Jahres gerechnet. Die Corona-Krise war letztendlich der Brandbeschleuniger für den Ausstieg, wie es ein Audi-Sprecher formulierte. Auch Audi-Motorsportchef Dieter Gass zeigte sich nach dem Ausstieg von Aston-Martin-Lizenz-Nehmer R-Motorsport sowie den ersten Auswirkungen der Covid-19-Pandemie nicht mehr allzu überrascht.

Der DTM-Beschluss war zudem der erste große Eingriff des neuen Audi-Vorstandsvorsitzenden Markus Duesmann, der sein Amt zum 01. April aufgenommen hatte. Gass zu Motorsport-Magazin.com: "Wir hatten seit Jahresbeginn bis in den April einen größeren Wechsel im Vorstand der Audi AG. Deshalb fand ich persönlich es gut, dass man vorher keine negative Entscheidung getroffen und den neuen Vorstand vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Es kann ja immer mal sein, dass neue Leute anders denken."

Audi-Entwicklungsvorstand Hans-Joachim Rothenpieler sprach im Zuge der Entscheidung von "ausreichend Vorlauf" für die ITR, Partner und die eigenen Fahrer und Teams, um sich für die Zeit nach 2020 neu aufzustellen. Auf der Gegenseite monierte DTM-Boss Gerhard Berger die Kurzfristigkeit und hätte sich "ein Vorgehen im Sinne unserer gemeinsamen Gesellschaft gewünscht". Auch BMW-Entwicklungschef Klaus Fröhlich fand deutliche Worte und empfand es von Audi als unsportlich, nicht vorher das Gespräch gesucht zu haben.

3. - Wird Audi auf jeden Fall 2020 in der DTM antreten?

In der Szene gab es Gerüchte, dass Audi unter Umständen sofort den Stecker ziehen könnte angesichts des weiterhin ungewissen Saisonverlaufes 2020. Das hätte zu einem sofortigen Ende der DTM geführt. Dem wiedersprach Audi-Motorsportchef Dieter Gass: "Wenn es 2020 die Rennserie DTM gibt, wollen wir auf alle Fälle dieses Projekt zu einem erfolgreichen Abschluss bringen. Wenn möglich mit der Titelverteidigung, das ist unser Ziel."

Alle sind sich einig: Sollte die DTM aufgrund der Corona-Krise keine Rennen austragen können, wäre das der traurigste aller Abschiede. "Das hätte die DTM nicht verdient", sagte der zweifache Champion Timo Scheider zu Motorsport-Magazin.com.

Zustimmung gab's vom heutigen Audi-Aushängeschild Rene Rast, der aufgrund des Großveranstaltungsverbots bis mindestens 31. August Rennen ohne Zuschauer fürchtete. "Ich fahre auch fünf Rennen an einem Wochenende, das ist mir alles egal", so der 33-Jährige zu Motorsport-Magazin.com. "Und wenn es erst am 31. Dezember möglich wäre, vor Publikum zu fahren, dann würden wir alles dafür tun, um das zu realisieren."

Zurück zu den Wurzeln: Letzte Rettung für die DTM? (36:25 Min.)

4. - Wie reagiert BMW auf den Ausstieg?

Aus München folgte eine böse Schelte für den scheidenden ITR e.V.-Partner in Form eines langen Interviews des in diesem Jahr scheidenden Vorstandsmitglied Klaus Fröhlich. In der Süddeutschen beklagte er sich über die Art und Weise, wie Audi mit den Partnern umgegangen sei und sprach von der Möglichkeit einer Unterbrechung der DTM. Audi habe die DTM wissentlich und mit vollem Bewusstsein in eine existenzielle Krise gestürzt, obwohl Schritte hin zu einer elektrifizierten Zukunft vereinbart worden seien.

"Ich finde das nicht besonders langfristig gedacht. Aber ich erwarte bei den aktuellen Akteuren auch nicht allzu viel", sparte Fröhlich nicht mit Kritik und verwies darauf, dass die DTM ab 2025 vollelektrisch werden sollte. Auf der Gegenseite sprach Audi-Motorsportchef Dieter Gass von einer optimistischen Planung bezüglich der Elektrifizierung der DTM, die Diskussionen steckten noch in den Kinderschuhen.

Auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com entgegnete Gass auf die Fröhlich-Kritik: "Die Flughöhe von Herrn Duesmann (Vorstandsvorsitzender der AUDI AG; d. Red.) ist Herr Zipse (Vorstandsvorsitzender der BMW AG, d. Red.), nicht der Herr Fröhlich. Da hat es einige Initiativen gegeben, das Gespräch zu suchen, die nicht positiv beantwortet wurden. Da muss man vielleicht mal ein bisschen in den eigenen Spiegel schauen, anstatt über Audi herzuziehen."

5. - Könnten 2021 Audi-Kundenteams in der DTM starten?

Das ist nach aktuellem Stand seitens Audi nicht vorgesehen. Damit wäre die Variante, dass BMW ab 2021 als Hersteller oder in Form von Kundenteams gegen private Audis antritt, vom Tisch. "Bislang gab es keine Anfrage an uns. Geplant ist es aktuell nicht", sagte Dieter Gass zu Motorsport-Magazin.com.

Gass weiter: "Ich weiß auch nicht, ob nach den Erfahrungen mit WRT (aktuelles Audi-DTM-Kundenteam: d. Red.) eine Anzahl von Leuten sich das wirklich leisten möchte." Der belgische Rennstall war 2019 das einzige Kundenteam in der DTM, BMW fand zunächst keinen Partner.

Die Münchner präsentierten für 2020 mit dem Orlen Team ART und Robert Kubica ein Privatauto, während WRT mit Ferdinand Habsburg auf einen dritten privaten Audi aufstockte, um das Feld zu vergrößern. Für den Einsatz von zwei Fahrzeugen werden in der DTM bis zu fünf Millionen Euro fällig - eine Summe, die nur sehr wenige Teams auf diesem Niveau auftreiben können.

6. - Wie geht es für die Audi Sport Teams weiter?

"Die meisten Teams fahren nicht nur in der DTM, vielleicht ergeben sich in den weiteren Projekten Anwendungsmöglichkeiten für Audi", ließ Audi-Motorsportchef Dieter Gass durchblicken. Audi setzt werksseitig zunächst nur auf die Formel E, Vorstandschef Markus Duesmann kündigte an, "progressive Motorsport-Formate" für die Zukunft prüfen zu wollen. Das müssen nicht zwingend reinelektrische Engagements sein, wie es zuletzt Volkswagen für das eigene Programm vollzogen hatte.

Die langjährigen Audi-Teams Abt, Phoenix und Rosberg verlieren durch das DTM-Aus wichtige und gesicherte Einnahmequellen. Abt Sportsline ist weiterhin in das Formel-E-Programm engagiert, das Audi zur Saison 2017/18 werksseitig von den Kemptenern übernahm. Zudem betätigen sich die Äbte seit vielen Jahren erfolgreich im Veredelungs- und inzwischen E-Mobility-Umfeld.

Phoenix Racing unter der seit 21 Jahren andauernden Leitung von Ernst Moser und Teammanager Dirk Theimann hat für 2020 ein großes GT-Programm auf die Beine gestellt. Mit Audi-Rennwagen plant der Rennstall aus Meuspath dieses Jahr Einsätze in der neuen DTM Trophy sowie in der GTC Race-Serie (ehemals DMV GTC), die beide im DTM-Rahmenprogramm starten sollen. Zudem tritt Phoenix in der VLN sowie beim 24-Stunden-Rennen Nürburgring an.

Das 1994 gegründete Team Rosberg verliert mit der DTM sein Motorsport-Hauptgeschäft, andere Programme waren bislang nicht vorgesehen. In der Vergangenheit engagierte sich das erfolgreichste DTM-Team der letzten drei Jahre mit Lamborghini im ADAC GT Masters. Unter Arno Zensen, der sich nach 25 Jahren Amtszeit in den Ruhestand verabschiedet hat, hat sich Rosberg mit dem Tochterunternehmen TRE samt Prüfständen und einem eigenen Simulator ein zweites Standbein aufgebaut. Audi-Kundenteam WRT liebäugelt unterdessen mit einem LMDh-Engagement ab 2022 neben dem zum Teil werksunterstützten GT3-Programm.

7. - Was wird aus den Audi-DTM-Werksfahrern?

Champion Rene Rast, Vize-Meister Nico Müller, der frühere DTM-Champ Mike Rockenfeller, Jamie Green, Robin Frijns und Loic Duval müssen sich nach 2020 andere Betätigungsfelder suchen. Am attraktivsten innerhalb des Konzerns wäre ein Platz in der Formel E, wo aktuell Daniel Abt und Lucas di Grassi starten.

Laut Rast sei es aktuell zu früh, um für die Zukunft zu planen. Ein Wechsel in die Formel E sei eine Option. Rast zu Motorsport-Magazin.com: "Ich will es nicht ausschließen. Ich bin ja 2016 schon ein Rennen gefahren in Berlin und das hat extrem viel Spaß gemacht." Dort könnte er unter anderem auf Müller und Frijns treffen, die aktuell für Dragon Racing beziehungsweise Audi-Kundenteam Virgin fahren.

Rockenfeller hat sich ein zweites Standbein mit Langstreckenrennen aufgebaut und kehrte dieses Jahr nach kurzer Pause zu Corvette Racing zurück, um die neue C8.R weiterzuentwickeln. Gemeinsam mit Jan Magnussen bestritt der 36-Jährige das WEC-Rennen in Austin, der nachfolgende Lauf in Sebring fiel wegen der Corona-Krise in den USA flach.

Der 37-jährige Duval ist seit Jahren ebenso eine feste Größe auf der Langstrecke und fuhr zu Beginn des Jahres in Daytona aufs Podium. Green, mit 37 Jahren ebenfalls im Herbst seiner Karriere, schnupperte in den letzten drei Jahren verstärkt in Audis GT3-Sport und testete das Formel-E-Auto der Ingolstädter.

Timo Scheider: So einen Abschied hat die DTM nicht verdient (19:04 Min.)

8. - Bedeutet der Audi-Ausstieg das Ende der DTM?

Nicht zwingend, aber größer könnte die Krise dank Audi und Corona kaum sein. DTM-Boss Gerhard Berger glaubte weiterhin fest an eine Zukunft der DTM. "Die Millionen von Fans, die hinter der Plattform stehen" würden ihn zuversichtlich stimmen, die taumelnde wie traditionsreiche Tourenwagenserie wieder tüchtig zu bekommen. Wie genau und zu welchem Zeitpunkt, das ließ der Österreicher offen. Vieles hänge davon ab, wie die involvierten Partner auf den Audi-Ausstieg reagieren, merkte er im Zuge der Ankündigung an.

Fakt ist: BMW wird die DTM nicht als Einzelkämpfer am Leben halten. Ansage von Entwicklungsvorstand Klaus Fröhlich: "Kurzfristig hat der bisherige Ansatz der DTM ein Problem, und wir müssen vielleicht querdenken. Es wird sicher erst mal eine Nachdenkpause und vielleicht eine Unterbrechung geben - aber die DTM hat in ihrer Geschichte ja schon einmal ausgesetzt und ist zurückgekommen."

Nach 1996 erlag die internationaler aufgestellte DTM-Nachfolgeserie ITC dem Kostentod, im Jahr 2000 erlebte sie auch dank tatkräftiger Unterstützung von Machern wie dem langjährigen ITR-Vorsitzenden Hans Werner Aufrecht und dem früheren Mercedes-Motorsportchef Norbert Haug eine Wiedergeburt. Bis zur BMW-Rückkehr traten von 2006 bis 2011 nur Mercedes und Audi gegeneinander an.

9. - Wie könnte es nach 2020 mit der DTM weitergehen?

Ein neuer Hersteller als Nachfolger ist in Zeiten der Corona-Krise nicht in Sicht. Und die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass der Einsatz von DTM-Autos für Privatteams zu teuer ist. Ein Wechsel der Fahrzeug-Kategorie auf GT3- oder GTE-Autos wäre höchstens eine Zwischenlösung, würde aber den Tod der gemeinsamen, internationalen Class-1-Idee bedeuten.

Ein Einsatz von Hybrid und/oder synthetischem Kraftstoff dürfte für 2021 zu früh kommen. Am realistischsten erscheint für die Zukunft ein Zusammenschluss mit den Japanern und möglicherweise Amerikanern, die Super GT setzt seit diesem Jahr ebenfalls weitestgehend auf das Class-1-Reglement. Die ITR hat sich nach Informationen von Motorsport-Magazin.com Ende vergangenen Jahres die Wortmarke 'Series One' sichern lassen.

Der frühere Formel-1- und DTM-Fahrer Christian Danner zu Motorsport-Magazin.com meint: "Es wäre eine Voll-Katastrophe, wenn die DTM gegen die Wand fahren würde. Wenn die Deutschen - BMW löblich ausgenommen - nicht mitspielen wollen, muss ich doch als Nissan, Honda oder Toyota sagen: 'Auf die Bühne springe ich sofort drauf! Wenn nur noch ein Deutscher da ist, habe ich eine Bühne, auf der ich mich richtig zeigen kann'."