Die Schlagzeilen gingen seit Montagabend Hand in Hand: 'Audi steigt nach 2020 aus - das Ende für die DTM?' Die Ankündigung des Autobauers aus Ingolstadt, die Tourenwagenserie zum Jahresabschluss zu verlassen, erschütterte die DTM in ihren Grundfesten. Selbst Gerhard Berger machte in einer ersten Reaktion auffällig deutlich, dass die Zukunft nun sehr stark von der Reaktion der Partner auf das Audi-Beben abhänge.

Hört man seit Montagabend in die deutsche Motorsport-Szene hinein, glaubt derzeit kaum jemand, dass die traditionsreiche DTM den nächsten Hersteller-Ausstieg über 2020 hinaus verkraften kann. Und falls doch, dann in einer anderen Form als der bisherigen.

"Wenn ich ehrlich bin, sehe ich jetzt nicht mehr eine so wahnsinnige Zukunft", sagt Timo Scheider zu Motorsport-Magazin.com. Der zweifache DTM-Champion sowie heutige Sat.1-Experte hat seit seinem Einstieg im Jahr 2000 zahlreiche Krisen hautnah miterlebt. Ein zweiter Tod wie nach 1996 blieb der geschichtsträchtigen Tourenwagenserie jedoch bislang erspart.

Audi-Ausstieg: Das Ende der DTM? (23:15 Min.)

Scheider: Leider keine großartige Perspektive

In der aktuellen Situation rund um das Coronavirus - das Audi als einen Grund für den Ausstieg angab - sieht die Lage jedoch anders aus. "Das ist dramatisch, weil diese Serie seit vielen Jahren ihren Lebenswillen gezeigt hat und dass es wert ist, zu kämpfen. Man muss leider sagen, dass es gerade keine großartige Perspektive gibt, die jetzt realistisch erscheint. Das macht mich unglaublich traurig, auch, weil ich ein Teil der DTM-Geschichte bin."

Scheider ging von 2000 bis 2016 bei 181 Rennen an den Start, zunächst für Opel und ab 2006 für Audi. Mit den Ingolstädtern gewann er 2008 und 2009 die Meisterschaft. Scheider: "Ich würde mich freuen, wenn es in irgendeiner Form die Rettung geben könnte. Die DTM hat immer wieder bewiesen, dass sie ein Überlebenskünstler war und ist. Aber wir müssen auch realistisch sein. Wir haben mit zwei Herstellern gekämpft, dass es irgendwie weitergeht. Jetzt haben wir nur noch BMW."

Neuer Hersteller wie Sechser im Lotto

DTM-Boss Berger befindet sich seit seinem Einstieg 2017 und der wenig später folgenden Ausstiegsankündigung von Mercedes-Benz fieberhaft auf der Suche nach neuen Herstellern. Gefunden hat der Österreicher bislang R-Motorsport, das sich nach nur einer Saison mit seinen vier eingesetzten und von HWA aufgebauten Aston Martin Vantage wieder zurückzog.

Nicht nur Scheider hält es für Utopie, dass sich in der derzeitigen Krisen-Situation und der Kürze der Zeit ein neuer Hersteller aus dem Hut zaubern lässt: "Das wäre wie ein Sechser im Lotto. Ich würde es mir wünschen und ein Funke Hoffnung ist noch da. Aber es gibt auch andere Stimmen, die sagen, dass so ein harter Einschnitt vielleicht mal sein muss."

1996 erlag der damalige DTM-Nachfolger mit dem Kürzel ITC dem Kosten-Tod. Auch jetzt sind die Finanzen ein großes Thema: Mit WRT aus Belgien und Neueinsteiger ART Grand Prix fanden sich bislang nur zwei private Teams. Die leise Hoffnung, dass weitere Privatteams die Zukunft der DTM sichern könnten, betrachten zahlreiche Insider mit Skepsis.

Scheider meint: "Es gibt im GT-Sport viele professionelle Teams, die das eigenfinanziert über Partner und Sponsoren machen. Aber die DTM befindet sich auf solch einem Top-Niveau, dass man hinterfragen muss, ob das für einen Privatier Sinn machen würde. Die Finanzierung ist in der aktuellen Wirtschaftslage - unabhängig von Corona - extrem schwierig."

Großer Teil der DTM-Geschichte: Der zweifache Champion Timo Scheider, Foto: Audi
Großer Teil der DTM-Geschichte: Der zweifache Champion Timo Scheider, Foto: Audi

Gesamter Motorsport auf dem Prüfstand

Mit schnellen Entscheidungen ist hier erst einmal nicht zu rechnen. Zu ungewiss ist das wirtschaftliche Ausmaß der Coronavirus-Pandemie. Aktuell im Motorsport involvierte Teams ächzen angesichts der laufenden Kosten und ohne die Möglichkeit, Rennsport zu betreiben. "Nach so einem Kollaps wird der gesamte Motorsport auf dem Prüfstand stehen und alle werden sich fragen, wohin die Reise geht", bestätigt Scheider.

Audi wird sich nach dem DTM-Aus zunächst werksseitig nur noch in der Formel E engagieren. Die Elektro-Rennserie passt auch zum eingeschlagenen Weg des VW-Konzerns, Audi hat angekündigt, im Jahr 2025 rund 40 Prozent seines Absatzes mit Elektroautos und Plug-in-Hybriden erzielen zu wollen.

Scheider: Heute auch nicht mehr mit Schlaghosen in die Disko

Dem eingeschlagenen Weg der Elektrifizierung will sich Scheider nicht verwehren, er selbst zählt zum Fahrerpool der neuen Extreme-E-Rennserie aus der Feder von Formel-E-Gründer Alejandro Agag. Ab 2022 sollen zudem in der Rallycross-WM, in der Scheider weiter antritt, Rennautos mit Elektro-Motoren eingeführt werden.

Der 41-Jährige glaubt: "Wir müssen mit der Zeit gehen. Das ist einfach eine Entwicklung, die im Motorsport stattfindet. Anders haben wir keine Chance. Wir gehen heute auch nicht mehr mit Schlaghosen in die Disko."

Für die Saison 2020 hofft Scheider, der sehr emotional auf das Audi-Aus reagierte und von einem Schock spricht, trotz Corona-Krise zumindest auf ein paar Rennen auf realen Strecken. "Das ist mein ganz großer Wunsch", sagt der siebenfache DTM-Rennsieger. "Die Situation ist brutal schwierig, aber so einen Abschied hätte die DTM nicht verdient. Ich würde gern einen richtigen geilen Abschied feiern, wenn es denn einer sein sollte."