Schön sind sie nicht, etablierte aber (leider) schon lange. In der modernen MotoGP sind Motorräder ohne ausufernde Aerodynamikteile wie Flügel an und Front, Seite und Heck nicht mehr vorstellbar. Zumindest bis zum Ende der Saison 2026 wird das auch weiterhin so bleiben, erst dann wird die Aerodynamik an den MotoGP-Maschinen mit einem neuen Reglement beschnitten. Wie die Königsklasse auf zwei Rädern ab 2027 dann aussehen könnte, zeigte der Australien Grand Prix.

Dort dürfte sich nämlich so mancher MotoGP-Zuschauer verdutzt die Augen gerieben haben, als er am Sonntag erstmals die Aprilia RS-GP von Trackhouse-Racing-Pilot Raul Fernandez erblickte. Im Gegensatz zu seinen Aprilia-Kollegen Aleix Espargaro, Maverick Vinales und Lorenzo Savadori war der 23-jährige Spanier im Warm Up und Grand Prix ohne Flügelelemente an seinem Motorrad unterwegs und ließ damit Erinnerungen an die guten alten MotoGP-Zeiten ohne komplexe Aero aufkommen. Nein, das war kein Traum zur frühen Stunde!

MotoGP-Tragödie nur eine Frage der Zeit? (06:47 Min.)

MotoGP-Sonderfall Phillip Island: Reglement erlaubt Aero-Abbau

Doch was hatte es damit auf sich, wieso verzichtete das Trackhouse-Team bei Fernandez auf die Aero-Anbauten? "Aprilia vertraut mir und ich habe mich als Versuchskaninchen angeboten, um ein gutes Motorrad zu entwickeln", erklärte der Spanier am Sonntag in seiner Medienrunde. Fernandez ist bekanntlich der einzige Fahrer des 2024er-Line-Ups, der Aprilia auch in der kommenden Saison noch erhalten bleibt und wird deshalb immer stärker in das Entwicklungsprogramm für 2025 eingebunden. Vinales (Tech3), Espargaro (Honda) und Miguel Oliveira (Pramac) verlassen den Hersteller.

Nach starkem Saisonstart mit einem Grand-Prix- und zwei Sprintsiegen aus den ersten drei Rennwochenenden des Jahres hat Aprilia den Anschluss an MotoGP-Dominator Ducati in den vergangenen Monaten komplett verloren, wartet seit dem Österreich-GP auf eine Podiumsplatzierung. Immer wieder hatten die Piloten der Italiener zuletzt deshalb Alarm geschlagen, dass der positive Entwicklungstrend der vergangenen drei Jahre in die falsche Richtung zeige. Um die Trendwende zu schaffen und 2025 wieder näher an Ducati heranzukommen, lässt Aprilia deshalb nun nichts mehr unversucht, um Daten zu sammeln und entschloss sich auf Phillip Island zu besonderen Maßnahmen.

Raul Fernandez wurde auch ohne Flügel Zehnter, Foto: LAT Images
Raul Fernandez wurde auch ohne Flügel Zehnter, Foto: LAT Images

Der Grand-Prix-Kurs im Süden Australiens ist nämlich die einzige Strecke im MotoGP-Kalender, auf der es per Reglement erlaubt ist, ohne Aerodynamik-Paket an den Start zu gehen. Hintergrund sind die starken Windböen, die über den direkt an der Pazifik-Küste gelegenen Kurs peitschen und die MotoGP-Bikes damit besonders schwer fahrbar machen können. Nicht selten mussten in den vergangenen Jahren deshalb Sessions auf Phillip Island ausfallen oder verschoben werden, weil der starke Wind kein sicheres Fahren zuließ, etwa 2019 oder 2023.

Raul Fernandez fliegt ohne Flügel: Platz vier war möglich!

Aprilia nutzte die Gelegenheit, um Vergleiche zur RS-GP mit Aero-Elementen zu ziehen und Verbesserungspotenziale zu entdecken. "Es lief ziemlich gut für uns", zieht Raul Fernandez ein positives Fazit und strahlt: "Ich bin noch nie ein Motorrad ohne Flügel gefahren, aber es war großartig. Ich hatte eine tolle Zeit. Es ist schon lange her, dass sich ein Motorrad beim Fahren so angefühlt hat." Als der 23-jährige Spanier 2022 mit Tech3-KTM in der Königsklasse debütierte, waren Flügelelemente längst Gang und gäbe. Eine lange Eingewöhnungszeit auf der flügellosen RS-GP brauchte er jedoch nicht: "Ohne die Flügel zu fahren, lief wirklich gut und die Wahrheit ist, dass [das Motorrad] geflogen ist."

Fernandez beendete den Australien-GP mit nur 19 Sekunden Rückstand auf Platz zehn, sein bestes Einzelresultat seit dem Umstieg auf eine Aprilia des Jahrgangs 2024 in Silverstone. Auf Aprilia-Speerspitze Vinales fehlten nur zweieinhalb Sekunden, Aleix Espargaro wurde deutlich geschlagen. Und theoretisch wäre sogar noch mehr möglich gewesen: "Es ist ärgerlich, dass ich einen schlechten Start hatte und weit zurückgefallen bin, denn ich hatte die Pace, um Vierter zu werden."

Neben Marc Marquez erwischte auch Raul Fernandez einen schlechten Start, Foto: LAT Images
Neben Marc Marquez erwischte auch Raul Fernandez einen schlechten Start, Foto: LAT Images

Raul Fernandez erfreut: Wichtige Daten für 2025 gesammelt

Ähnlich wie Marc Marquez vor ihm war auch Fernandez vom sechsten Startplatz nur schlecht weggekommen, das Aprilia-Starting-Device funktionierte nicht wie erhofft. Nach den ersten Kurven lag der Trackhouse-Pilot dann nur noch auf Platz 13, kämpfte sich aber eindrucksvoll zurück. Im sechsten Umlauf war er bereits wieder Neunter, zur Gruppe um Franco Morbidelli, Brad Binder, Enea Bastianini, Fabio Di Giannantonio und Vinales vor ihm fehlten zu diesem Zeitpunkt aber schon zweieinhalb Sekunden. Ein Rückstand, den Fernandez nicht mehr aufholen, bis zum Rennende aber konstant halten konnte und damit implizierte, dass er mit einem besseren Start wohl wirklich um einen Platz in den Top Fünf hätte mitkämpfen können.

"Ich bedauere es wirklich, dass wir beim Start so viele Positionen verloren haben", kommentiert Fernandez erneut, sieht gleichzeitig aber auch das Positive: "Als wir ins Rollen gekommen sind, waren die Gefühle auf dem Motorrad unglaublich. Wir haben gute Arbeit geleistet und viele wichtige Daten für das nächste Jahr sammeln können." Bleibt nur zu hoffen, dass Aprilia die Erkenntnisse aus Australien auch umsetzen und Ducati in der kommenden Saison wieder stärker fordern kann. Zuvor steht Fernandez und Co. aber nochmal ein hartes Wochenende bevor. Denn im Vorjahr wurden die Piloten in Thailand von ihrer RS-GP an den Rand des körperlichen K.O. gebracht.