Während Francesco Bagnaia in den vergangenen Monaten immer erst mit Verlauf des Wochenendes langsam ins Rollen kam, flog WM-Rivale Jorge Martin zuletzt von Session-Bestzeit zu Session-Bestzeit. Ausgerechnet in Katar, wo der Pramac-Pilot ein starkes Rennwochenende braucht, um den Titelkampf zum Saisonfinale nach Valencia zu verlagern, geriet er nun aber in größere Probleme. Nach den Trainings am Freitag stand nur Platz sieben für den 'Martinator' zu Buche. "Das war unser schlechtestes Training im ganzen Jahr. Es wird schwer, das Rennen [Sprint, Anm.] morgen zu beenden, unsere Pace war katastrophal", fand Pramac-Teamchef Gino Borsoi schon unmittelbar nach Trainingsende im offiziellen MotoGP-Livestream deutliche Worte.
Der ehemalige 125ccm-Rennfahrer verriet auch gleich, warum er am Freitagabend trotz des direkten Q2-Einzugs seines Schützlings so schlecht gelaunt war. "Wir hatten von Beginn an Problem, wir haben mit diesen Reifen extrem gelitten. Erst am Ende haben wir etwas gefunden, gut war das aber noch immer nicht. So werden wir im Rennen morgen [Sprint, Anm.] nicht konkurrenzfähig sein", beschrieb er. Tatsächlich hatte sich Martin im Training lange Zeit schwergetan, den Anschluss zur Spitze herzustellen, nachdem er vormittags noch Schnellster war. Während sich die Konkurrenz im 1:53er- und 1:54er-Bereich bewegte, fuhr er nur 1:56er-Zeiten. Erst in den finalen Momenten des Freitags gelang es dem gebürtigen Madrilenen, sich mit einer Rundenzeit von 1:53.195 Minuten in die Top Ten zu schieben.
"Es war ein harter Tag. Ich hatte zu Beginn des Trainings wirklich zu kämpfen und weiß immer noch nicht, warum", berichtete Martin selbst am Freitagabend in seiner Medienrunde. Der Pramac-Pilot äußerte anschließend aber einen ähnlichen Verdacht wie sein Teamchef: "Ich denke, dass ich 'schlechte' Reifen erwischt habe und deswegen in fast jeder Kurve beinahe gestürzt bin. Ich wollte ruhig bleiben, aber das war nicht einfach. Schließlich habe ich verstanden, dass etwas falsch war und ich mit 'normalen' Reifen schnell sein würde."
Jorge Martin: Datenanalyse soll Katar-Wende bringen
Grundsätzlich stattet Einheitshersteller Michelin die Piloten der MotoGP mittlerweile recht konstant mit hochwertiger Reifenqualität aus, hin und wieder kann es, wie bei jedem anderen Produkt auch, aber zu Qualitätsverlusten kommen. Das ist in den vergangenen Jahren selten geworden, jetzt könnte Martin allerdings wieder einmal von solch "schlechten" Reifen getroffen worden sein. Garantiert ist das jedoch nicht. Dagegen spricht: Der Spanier verwendete den identischen Reifensatz schon am Vormittag und fuhr damit Bestzeit, der Eindruck folgte erst danach. Das lässt ihn rätseln: "Sie hatten nur zwei Runden drauf. Daher ist es merkwürdig, dass sie abends nicht mehr funktioniert haben. Ich war drei oder vier Sekunden langsamer als die Spitze."
Ist also doch etwas beim Setup schiefgelaufen, wodurch der Pramac-Pilot extrem hohen Reifenverschleiß zu beklagen hat? Eine eindeutige Erklärung gibt es bislang nicht. Positiv stimmt Martin jedenfalls, dass mit frischem Gummi der Sprung in Top Ten gelang. "Ich war nur Siebter, aber es geht eng zu. Das gibt mir Selbstvertrauen. Ich denke, dass ich die Situation ziemlich erwachsen gemanagt habe. Es wäre leicht gewesen, Fehler zu machen", sagt er. Dennoch wiegt das über weite Strecken verpatzte Training schwer. "Wir haben dadurch die ganze Session verloren", klagt der Pramac-Pilot, der sich dadurch kaum auf die Feinabstimmung für Sprint und Grand Prix konzentrieren konnte. Kurios: Vergangene Woche klagte Martin noch über den offenen Datenaustausch im Hause Ducati, sechs Tage später soll genau dieser ihn retten: "All die Informationen zu haben, wird mir heute sehr helfen, vieles zu verstehen. Die anderen Fahrer haben alle unterschiedliche Reifen ausprobiert. Wir werden das analysieren und uns morgen für den Sprint entsprechend aufstellen."
Francesco Bagnaia am Freitag stark wie lange nicht mehr
Dennoch: Auf Martin wartet im Sprint unbekanntes Terrain. Für WM-Rivale Bagnaia könnte sich dadurch die einmalige Chance bieten, für den Grand Prix am Sonntag den ersten Matchball im Titelkampf 2023 vorzubereiten. Dazu darf der Ducati-Pilot im Sprint maximal zwei Punkte auf Martin verlieren. Kann er sogar Zähler gutmachen, steigen seine Chancen natürlich noch mehr. Die Vorzeichen dazu stehen nicht schlecht, denn der gebürtige Turiner erlebte, verglichen mit den vergangenen Wochen, einen starken Freitag.
Letztlich stand zwar nur Platz acht hinter Martin, aber Bagnaia weiß: "Wäre meine Rundenzeit nicht gestrichen worden [wegen Gelber Flaggen, Anm.] wäre ich in den Top Drei gewesen. Da war ich an einem Freitag schon lange nicht mehr. Wir haben zum ersten Mal nichts am Bike verändert, das war großartig." Nach dem rätselhaften Highsider in Barcelona Anfang September war der Ducati-Pilot seiner Form von zuvor langezeit hinterhergelaufen. "In Malaysia ist uns ein großer Fortschritt gelungen. Gestern konnten wir ein perfektes Setup für den Start in das Wochenende herausarbeiten. Das Bike hat dann heute genauso funktioniert, wie ich das wollte", freute er sich.
Das Ziel für das restliche Wochenende ist damit klar: Sieg in Sprint und Grand Prix, maximaler Schaden auf WM-Rivale Martin ausüben. Dass die Aprilias am Freitag ebenfalls einen starken Eindruck machten - Raul Fernandez fuhr die Tagesbestzeit - beunruhigt Bagnaia dabei nicht. Er sieht sich in der Favoritenrolle: "Ich habe gestern mit meinem Team gesprochen und gesagt, dass Aprilia heute sicher am schnellsten sein wird, weil das Grip-Niveau ziemlich gering ist. Da haben sie einen Vorteil." Im weiteren Wochenend-Verlauf dürfte der Losail International Circuit aber mit jeder weiteren Session an Grip gewinnen. "Dann zerstören sie ihre Reifen stärker als wir", prophezeit der Titelverteidiger.
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