Während beim Test am Montag in Misano die Aufmerksamkeit der MotoGP-Fans auf die neuen Bikes für 2024 gerichtet war, war es auch ein wichtiger Tag für Reifenlieferant Michelin. Insbesondere die Vorderreifen der Franzosen werden in Zeiten immer weiter ausufernder Aerodynamik an den Motorrädern stark beansprucht. Die Folge sind immer wieder Stürze über die Front und Überhitzung der Reifen beim Hinterherfahren, was das Überholen deutlich erschwert. Michelin versucht nun mit der rasanten technischen Entwicklung der MotoGP durch neue Reifenentwicklungen schrittzuhalten.

Michelins Motorsport-Manager Piero Taramasso gab bereits am Rennsonntag in Misano Auskunft über den neuen Vorderreifen beim Test und die Pläne des Reifenherstellers. Erstmals seit 2018 werden bei Vorderreifen nicht nur neue Gummimischungen, sondern auch eine neue Konstruktion mit neuer Karkasse und ein anderes Reifenprofil entwickelt. Die Pneus werden im Radius dadurch einen Millimeter größer, wodurch die Geometrie der Bikes aber nicht geändert werden muss. Das Profil wird runder und dadurch größer.

Stefan Bradl beim Misano-Test
Stefan Bradl fuhr die neuen Reifen schon vor dem Misano-Test, Foto: LAT Images

Eine Einführung der neuen Reifen ist für die Saison 2025 geplant. Noch befinden sie sich in der Entwicklungsphase. "Die neue Frontkarkasse wurde schon von den MotoGP-Testfahrern ausprobiert: Pirro, Pedrosa und Bradl. Sie haben drei Prototypen getestet, der letzte davon war eine gute Basis. Bei der Front geht es mehr um das Gefühl als um Leistungsfähigkeit. Es braucht also viel Laufleistung, da müssen wir den Testfahrern Zeit geben", erklärte Taramasso den angepeilten Termin.

Michelins Ziel: Verbesserung beim Bremsen und am Kurveneingang

Die Entwicklungsziele sind genau die, die sich die MotoGP-Fahrer seit längerem wünschen: "Diese Karkasse ist da, um auf die Weiterentwicklung der Bikes zu reagieren. Die Front wird immer mehr gefordert. Es geht darum Bike und Fahrer zu helfen, besonders bei harten Bremsmanövern. Außerdem geht es um bessere Kontrolle der Temperatur und der Reifendrücke im Windschatten." Auch das Problem der vielen Stürze könnte so gemildert werden: "Wonach wir mit der neuen Karkasse suchen ist, dass es mehr Rückmeldung gibt, wenn du bremst und in die Kurve hineinfährst. Wir versuchen eine größere Kontaktfläche am Kurveneingang herzustellen. Wir blicken nicht auf die Leistung."

Piero Taramasso von Michelin in Valencia
Piero Taramasso gibt stets gern Auskunft über die Michelin-Reifen der MotoGP, Foto: LAT Images

Doch es braucht nicht nur eine neue Konstruktion: "Was wir außerdem machen müssen, ist unsere Gummimischungen härter zu gestalten. Die aktuellen Bikes belasten die Front zu sehr, da müssen wir im Härtegrad höher gehen. Im Prinzip wird der harte Reifen von heute zum Medium werden und dann müssen wir eine neue Mischung darüber produzieren." Im Test in Misano hatten die Fahrer den neuen Medium erstmals zur Verfügung. Die Neuentwicklung des harten Reifens wird dann beim Test in Sepang (6. Bis 8. Februar 2024) erstmals von den Stammpiloten gefahren.

MotoGP-Fahrer positiv: Neuer Medium-Vorderreifen überzeugt

Die Rückmeldung der Piloten nach dem Test in Misano war, wenn auch zu unterschiedlichen Graden, positiv. GASGAS-Pilot Augusto Fernandez bestätigte mit seinen Aussagen die Ankündigungen Michelins: "Ich habe den neuen Vorderreifen getestet. Das Gefühl ist positiv. Er fühlt sich zwischen Medium und Hard an." Und auch vom Tagesschnellsten Luca Marini gab es Lob: "Ich habe morgens den Vorderreifen ausprobiert. Es ist ein Reifen zwischen Medium und Hart. Er hat sich nicht schlecht angefühlt. Auf dieser Strecke ist der in Ordnung. Wir müssen uns das noch unter anderen Bedingungen ansehen, aber es war ein guter Reifen. Ich denke, dass Michelin in die richtige Richtung arbeitet."

Während Fernandez und Marini es eher nach einer moderaten Verbesserung klingen ließen, war Pol Espargaro sogar begeistert: "Ich habe den neuen Vorderreifen von Michelin ausprobiert. Ehrlicherweise war der wirklich gut. Es ist ein Medium, der den aktuellen Medium ersetzen kann. Er war stabiler. Er hat mir wirklich gefallen. Und auch allen Jungs bei uns im Werk hat er gefallen. Der Reifen funktioniert ziemlich gut."

Der Spanier hofft, dass Michelin seine alte Reifenpalette mit den neuen Modellen austauscht: "Diese Strecke ist anspruchsvoll [für den Reifen, Anm. d. Red.] und der Medium war dafür zu schwach, für mich, aber auch für alle anderen. Wir benutzten daher den harten Reifen, der aber vielleicht morgens etwas zu hart war. Dieser neue wäre da gut, besonders am Morgen." Dabei glaubt er sogar, dass Misano nicht einmal das richtige Pflaster für die Neuentwicklung war: "Dieser neue Medium nähert sich dem harten an. Wir brauchen hier [in Misano, Anm. d. Red.] immer noch eine Steigerung in der Härte, aber auf vielen anderen Strecken, wo der Medium zu weich ist, würde dieser neue sehr gut funktionieren."

Trotz Entwicklungsbemühungen: Michelin lässt Fahrer-Kritik kalt

Für 2025 gibt es als tatsächlich Grund zur Hoffnung an der Reifenfront. 2024 werden die Beschwerden über die Gummis angesichts vermutlich noch schnellerer MotoGP-Maschinen aber kaum weniger werden. Taramasso lassen die Klagen der Fahrer kalt. Der Italiener schickt eine klare Botschaft an Michelins Kritiker: "Der Reifen ist momentan, wie er ist. Wir sind ein Einheitsausrüster. Also müssen sie [die Teams, Anm. d. Red.] ihr Bike auch dem Reifen entsprechend entwickeln. Wir geben ihnen den Reifen und sie müssen die Lösungen finden, um ihn gut zum Arbeiten zu bringen. Die Wahrheit ist, dass manche Teams und manche Fahrer das besser managen. Die Probleme treten ja nicht immer und überall auf. Es sind einzelne Strecken, einzelne Bikes und einzelne Fahrer. Und manche Teams haben Lösungen gefunden. Es gibt einige Fahrer, die sich nie darüber beschweren. Andere klagen die ganze Zeit."