Zum ersten Mal seit 1994 standen beim Amerika GP in Austin mit Stefan Bradl und Jonas Folger zwei Deutsche Fahrer in der Startaufstellung eines Grand Prix der Königsklasse. Das MotoGP-Highlight für die deutschen Fans kam aber nur durch die Verletzungen von Marc Marquez und Pol Espargaro zustande, denn sowohl Bradl als auch Folger sind eigentlich als Test- bzw. Ersatzfahrer angestellt. Ansonsten herrscht in der Motorrad-WM aus deutscher Sicht die größte Tristesse seit Jahren.

Bradl war es daher vor dem Sprintrennen in Austin ein Anliegen, sich über diesen Zustand Luft zu machen. Beim Interview mit ServusTV überging er einfach die Frage nach den sportlichen Aussichten auf seiner Honda und legte los: "Ich will an dieser Stelle auch nochmal ein anderes Thema aufgreifen. Okay, es stehen zwei Deutsche am Start. Halt ganz hinten, aber man muss halt auch dazusagen, dass für den Zweiradsport in Deutschland so gut wie nichts gemacht wird. Die Föderationen pushen und machen nichts. Das ist die deutsche Bürokratie. Es dauert alles viel zu lange."

Bradl vs ADAC begann schon 2015

"Ich fühle mich gerade für dieses Thema verantwortlich und wäre sehr dankbar, wenn sich die Leute nicht immer nur beschweren und schimpfen würden - so typisch deutsch - sondern sich auch mal darum bemühen würden, dass etwas passiert", forderte Bradl. Es ist bei weitem nicht das erste Mal, dass der Bayer solche Töne anschlägt. Schon 2015 lieferte sich der Moto2-Weltmeister von 2011 das erste Gefecht mit dem ADAC und dem deutschen Motorsportbund. Motorsport-Magazin.com war damals live dabei. Nachdem Bradl bei uns seine Kritik aussprach, rief der ADAC in der Redaktion an, um eine Gegendarstellung auszuführen. Bradl wiederum ließ dies nicht auf sich sitzen und legte im Interview mit MSM noch einmal nach.

Der Vorwurf des Aushängeschildes des deutschen Motorradsportes bleibt bis heute bestehen: Nachwuchsförderung ist quasi nicht existent. Junge Fahrer müssten sich alles in Eigenregie finanzieren und erarbeiten. Bradl selbst erhielt 2003 und 2005 zwar ein paar Fördergelder, doch führte er seinen Fortschritt in den Nachwuchsserien auf das Engagement von KTM und Red Bull zurück. Der deutsche Automobilclub habe nur seine Logos auf ohnehin schon erfolgreiche Projekte für Werbezwecke geklebt und selbst nicht entscheidend gefördert. Schon damals warf er dem ADAC vor, dass in Deutschland nur der Vierradsport zähle. Die teure Übernahme der DTM durch den ADAC scheint diesen Eindruck aktuell nur noch zu verstärken.

Stefan Bradl spricht zumeist Klartext, Foto: Tobias Linke
Stefan Bradl spricht zumeist Klartext, Foto: Tobias Linke

Bestandsaufnahme: Aktueller Zustand des deutschen Motorradsports katastrophal

Als Bradl 2015 erstmals seine Kritik äußerte, waren noch sechs deutsche Stammfahrer in den Klassen der Motorad-WM vertreten. 2023 ist mit Moto2-Pilot Lukas Tulovic nurmehr einer übrig. Der letzte Moto3-Stammfahrer war Phillip Öttl 2018. Den letzten Einsatz in der kleinsten Klasse kann Dirk Geiger als Ersatzmann beim Saisonauftakt 2020 Katar vorweisen. In der MotoGP konnte Jonas Folger 2017 zuletzt einen Stammplatz vorweisen. Bradl ist seitdem als Honda-Ersatzfahrer aufgrund der vielen Verletzungspausen von Marc Marquez bei zahlreichen Grand Prix am Start gewesen, doch weder Bradl mit 33 noch Folger mit 29 Jahren gehört die Zukunft.

Im Northern Talent Cup sind 2023 nurmehr zwei deutsche Fahrer, Foto: LAT Images
Im Northern Talent Cup sind 2023 nurmehr zwei deutsche Fahrer, Foto: LAT Images

Wer glaubt, es handle sich nur um eine kurze Flaute und die nächste Generation stünde schon in den Startlöchern, der irrt. 2020 ging der nationale ADAC Junior Cup im länderübergreifenden Northern Talent Cup auf. Der blick auf die Starterliste für 2023 weist mit Rocco Caspar Sessler und Anakin Zelenak nur zwei Deutsche bei 23 Meldungen auf. Zum Vergleich: Die deutschsprachigen Nachbarn Österreich und die Schweiz haben trotz nur etwa einem Zehntel der Einwohner jeweils vier Junioren am Start. Die Tendenz ist ebenfalls klar negativ: 2022 waren noch fünf Deutsche dabei. Der wahrscheinlichste Weg in die Moto3 führt aber aktuell über den Red Bull Rookies Cup und dort ist - wie kaum anders zu erwarten - 2023 kein einziger Deutscher am Start.

Bradl engagiert, aber einer allein reicht nicht

Aufgrund dieser Tristesse hat Bradl nicht nur Worte, sondern auch Engagement am Start. 2021 gründete er zusammen mit seinem erfahrenen Förderer, Ex-Grand-Prix-Pilot Adi Stadler, ein eigenes Projekt zur Unterstützung ausgewählter deutscher Nachwuchsfahrer. Auch darauf wurde er im Grid-Interview bei ServusTV angesprochen. "Allein auf weiter Flur zu kämpfen, ist ganz, ganz schwierig. Das habe ich festgestellt. Entweder es helfen alle mit oder es wird sich hier bald erledigt haben, dass wir Deutsch sprechen in irgendeiner Startaufstellung der Motorrad-Weltmeisterschaft", stieß Bradl einen erneuten Hilferuf aus. Wenn nicht bald etwas passiert, dann sind die einzigen Deutschen in der Motorad-WM in Zukunft womöglich wirklich nur noch Journalisten und Mechaniker.