Am Freitag startete die MotoGP mit den ersten beiden Trainingssessions des Jahres endlich in die Saison 2023. Ein heftiger Sturz von Pol Espargaro im 2. Training trübt die Freude über die Rückkehr der MotoGP-Bikes auf die Strecke jedoch massiv. Der GasGas-Pilot zog sich dabei multiple Verletzungen zu.

Espargaro war rund 15 Minuten vor dem Ende des 2. Trainings am Freitagnachmittag in Kurve zehn des Algarve International Circuit zu Sturz gekommen. Ihm war das Heck seiner GasGas-gebrandeten KTM RC16 beim Anbremsen ausgebrochen, woraufhin er von seiner Maschine geworfen wurde. Nach einer unsanften Landung rutschte der Spanier mit hoher Geschwindigkeit ins Kiesbett.

Dort angekommen wurde Espargaro heftigst durchgeschüttelt, er flog mehrfach mehrere Meter durch die Luft und überschlug sich, ehe er in die Reifenstapel krachte. Sein Motorrad schlug nur knapp neben ihm ein. Espargaro blieb regungslos liegen, sofort eilten Helfer herbei. Der GasGas-Pilot wurde minutenlang noch an der Unfallstelle behandelt, die Session folgerichtig mit einer Roten Flagge unterbrochen.

Kurze Zeit später gab die Rennleitung leichte Entwarnung: Espargaro sei bei Bewusstsein und ansprechbar. Nach rund 15 Minuten medizinischer Erstversorgung an der Unfallstelle wurde der Spanier schließlich unter Sichtschutz auf einer Trage in einen Krankenwagen verladen. Das 2. Training wurde anschließend fortgesetzt. Nach dessen Ende informierte die Rennleitung, dass Espargaro beim Sturz Traumata in Rücken und Brustkorb erlitten habe. Der GasGas-Pilot wurde in ein Krankenhaus in Faro gebracht, rund eine Stunde von Portimao entfernt. Dort fanden weitere Untersuchungen statt.

Espargaro bestritt in Portimao sein erstes Rennwochenende für GasGas, Foto: GasGas Tech3 Media
Espargaro bestritt in Portimao sein erstes Rennwochenende für GasGas, Foto: GasGas Tech3 Media

Update zu Pol Espargaro: Lungenquetschung, Wirbel- und Kieferbruch

Gegen 21 Uhr mitteleuropäischer Zeit am Freitagabend verkündete die MotoGP ein Update zu Espargaros Zustand. Neurologisch gesehen ist der GasGas-Pilot völlig in Ordnung, es liegen keine Verletzungen im Hals und Nackenbereich vor. Auch die Sauerstoffwerte sind gut. Allerdings hat Espargaro eine beträchtliche Lungenquetschung erlitten.

Dr. Angel Charte, medizinischer Leiter der MotoGP, wird auf der Webseite der Königsklasse wie folgt zitiert: "Er hat ein schweres Wirbelsäulentrauma und eine Prellung der Lunge erlitten, die wir genau beobachten müssen. Obwohl ich denke, dass er sich gut erholen wird, müssen wir die entsprechenden Tests durchführen, um das Ausmaß seiner Verletzungen zu bestimmen. Er ist bei Bewusstsein, aufmerksam und reagiert gut. Aufgrund der Schmerzmittel, die wir ihm verabreicht haben, ist er leicht sediert. Er kann seine Füße, Beine und Arme sehr gut bewegen, so dass keine dauerhaften Verletzungen der Wirbelsäule zu befürchten sind."

Später wurde bekanntgegeben, dass sich Espargaro bei seinem Unfall neben der Lungenquetschung auch einen Bruch eines Rückenwirbels sowie eine Kieferfraktur zugezogen hat. Am Samstagmorgen lieferte Teamchef Herve Poncharal die neuesten Infos: "Pol wird wieder völlig fit werden, ein normales Leben führen können und wieder MotoGP fahren. Wann es so weit sein wird, lässt sich aber nicht sagen. Er wird in etwa zwei Tagen zurück nach Barcelona fliegen, wo es weitere Checks geben wird. Fraglich ist, ob er eine Operation am Kiefer benötigt. Die restlichen Verletzungen sollten kein Problem sein, er braucht nun einfach nur Zeit, um sich zu erholen. Wenn wir Genaueres wissen, werden wir das kommunizieren. Das sollte in der kommenden Woche der Fall sein."

Zahlreiche Stürze in kurzer Zeit: Außentemperatur Schuld?

Fast zeitgleich mit Espargaro war auch Miguel Oliveira in Turn zehn abgeflogen, allerdings erst am Kurvenausgang. Wenige Momente zuvor stürzte außerdem Raul Fernandez in Kurve 14. Nach dem Restart stürzten auch noch Luca Marini und Marc Marquez. Fernandez vermutet einen Gripverlust durch stark gesunkene Außen- und Asphalttemperaturen als ausschlaggebend für die zahlreichen Stürze binnen kürzester Zeit.

"Das 2. Training findet jetzt sehr spät statt. Verglichen mit den normalen Zeiten in Europa sind wir hier zudem eine Stunde hintendran. Dann hatten wir noch eine 30-minütige Verzögerung", erklärt Fernandez auf Nachfrage von Motorsport-Magazin.com . Durch die Einführung der Sprints wurde das MotoGP-Wochenendformat bekanntlich verändert. Das 2. Training beginnt nun knapp zwei Stunden später als in den vergangenen Jahren und läuft zudem 15 Minuten länger.

Zusammen mit der einstündigen Zeitverschiebung in Portugal und einer 30-minütigen Unterbrechung des 2. Trainings - Grund dafür waren technische Probleme an der Strecke - endete die zweite MotoGP-Session des Tages erst um 16:59 Uhr Ortszeit. " Das war ein Desaster. Der Grip war dann schon um mindestens 50 Prozent gesunken", kritisiert Fernandez.

Aleix Espargaro sorgt sich um seinen Bruder

Pols Bruder Aleix wusste am Freitagabend noch nichts Genaues über das Befinden seines Bruders zu berichten: "Ich weiß immer noch nichts zu Pols Zustand. Meine Frau ist mit Carlotta [Frau von Pol Espargaro, Anm. d. Red.] bei ihm. Hoffentlich gibt es bald Neuigkeiten." Der ältere der beiden Espargaro-Brüder wollte sich noch nicht in die Sicherheitsdebatte rund um Uhrzeit und Temperaturen, die nach dem Unfall aufkam, einmischen. Die Gesundheit seines Bruders hatte erst einmal Priorität: "Ich bin nicht wütend, ich will niemanden beschuldigen. Meine Gedanken sind bei Pol und ich hoffe er ist okay. Es wird noch Zeit geben, die Verantwortlichen zu stellen, aber nicht jetzt."

In den Fernsehbildern war zu sehen, wie der Aprilia-Pilot nach dem Unfall bangend in der Box saß. Dennoch machte der 33-Jährige eine erstaunliche Aussage: "Nach der Roten Flagge war es hart, aber leider gewöhnst du dich mit der Zeit daran. Es ist schön, mit ihm um die Welt zu reisen, aber das gehört auch dazu. Pol hatte in seiner Karriere leider schon viele Verletzungen und ich war an seiner Seite. Daran musst du dich leider gewöhnen und weiterarbeiten."